SPD-Parteitag:Drohsel: "Wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem"

Juso-Chefin Franziska Drohsel gibt sich vor dem SPD-Parteitag kämpferisch: Sie fordert die Vermögenssteuer und stärkere Eingriffe in die Wirtschaft.

Thorsten Denkler, Berlin

sueddeutsche.de: Frau Drohsel, Ottmar Schreiner, einer der letzten Kämpfer für die Arbeiter in der SPD, hat nach der verkorksten Europawahl gesagt, die Parteilinie der SPD stimme ganz grundsätzlich nicht. Sie gehören auch zum linken Flügel der Partei. Hat er recht?

franziska drohsel, spd; AP

Franziska Drohsel: Die 29-Jährige Berlinerin ist seit November 2007 Bundesvorsitzende der Jusos.

(Foto: Foto: AP)

Franziska Drohsel: Die Grundrichtung des Wahlprogramms ist richtig. Die Politik der freien Märkte war ein Fehler, die soziale Ungleichheit ist gewachsen. Da müssen wir politisch gegenwirken. Wir brauchen eine Reregulierung der Wirtschaft und müssen Chancengleichheit verwirklichen.

sueddeutsche.de: Aber?

Drohsel: Die SPD hat immer noch ein Glaubwürdigkeitsproblem ...

sueddeutsche.de:... das mit der Agenda 2010 und der Rente mit 67 zusammenhängt?

Drohsel: Ja. Darum würde ich mir an einigen Stellen wünschen, dass wir klarer und konsequenter auftreten. Wenn wir die Vermögenssteuer ablehnen, passt das nicht zu einer klaren Linie. Wir werden deshalb als Jusos auf dem Parteitag dafür kämpfen, dass die Vermögenssteuer in das Wahlprogramm aufgenommen wird.

sueddeutsche.de: Es gibt doch schon einen Kompromissvorschlag. Die Formulierung lautet in etwa so, dass Vermögende sich gemäß ihrer Leistungsfähigkeit am Gemeinwohl beteiligen sollen. Steckt in dieser Formulierung die Klarheit und Konsequenz, die Sie sich wünschen?

Drohsel: Ich finde schon mal gut, dass wir überhaupt in die Richtung gehen. Aber natürlich reicht uns das nicht. Wir müssen konkrete Antworten darauf geben, wie wir die Vermögenden stärker in die Pflicht nehmen wollen.

sueddeutsche.de: Laut Programmentwurf will die SPD eine Börsenumsatzsteuer und den Spitzensteuersatz anheben. Ist das nicht genug?

Drohsel: Das sind richtige Mittel, aber noch kein Grund, die Vermögenssteuer nicht einzuführen.

sueddeutsche.de: Und wenn sie ins Wahlprogramm kommt, dann gewinnt die SPD die Bundestagswahl?

Drohsel: Das hoffe ich doch. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass wir mit inhaltlich überzeugenden Positionen Wahlen gewinnen. Darum ist es schlicht und ergreifend richtig, für neue Regeln an den Finanzmärkten zu kämpfen und dafür, die Schere zwischen arm und reich wieder zu schließen.

sueddeutsche.de: Aber Sie erreichen damit offenbar die Menschen nicht. Liegt das an dem von Ihnen beschriebenen Glaubwürdigkeitsproblem?

Drohsel: Das ist nach wie vor ein großes Problem. Sowohl für die Mobilisierung unserer Mitglieder als auch unser Wählerinnen und Wähler. Bei der Europawahl haben wir die meisten Stimmen an die Gruppe derer verloren, die gar nicht mehr zur Wahl gehen.

sueddeutsche.de: Warum ist das so?

Drohsel: Viele haben offenbar die Hoffnung aufgegeben, dass sich mit der SPD in der Regierung irgendetwas für sie verbessert.

sueddeutsche.de: Dann ist die Frage, ob ausgerechnet Frank-Walter Steinmeier, der Miterfinder der Agenda 2010, der Richtige ist, die neuen linken Inhalte der SPD zu vermitteln. Irritiert es Sie nicht, dass er die linken Positionen im Wahlprogramm bei fast keinem seiner Auftritte im Europawahlkampf zur Sprache gebracht hat?

Drohsel: Es gibt keine Debatte über Frank-Walter Steinmeier als Kandidat. Aber natürlich wünsche ich mir, dass die Positionen der SPD noch deutlicher in die öffentliche Diskussion getragen werden.

sueddeutsche.de: Keine Zweifel?

Drohsel: Wir haben in den vergangenen Jahren eine sehr selbstkritische Diskussion geführt, ob in unserer Regierungszeit bisher alles richtig gelaufen ist. Das war angemessen und richtig. Und wir haben daraus gelernt. Das spiegelt sich in unserem Wahlprogramm wider.

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Enttäuscht vom Wähler

sueddeutsche.de: Die SPD-Linken wollen die Reichen stärker belasten. Steinmeier sagt, er will im Wahlkampf nicht als Kandidat für Steuererhöhungen eintreten müssen. So ganz passt das doch nicht zusammen, oder?

Drohsel: Es gibt für mich keinerlei Anlass zu glauben, dass Frank-Walter Steinmeier nicht hinter dem Programm steht.

sueddeutsche.de: Na dann ist ja alles gut.

Drohsel: Natürlich würde ich mir wünschen, dass unsere Positionen noch deutlicher in der öffentlichen Auseinandersetzung zutage treten. Es wäre auch gut gewesen, wenn wir den Unterschied zwischen Union und FDP auf der einen Seite und der SPD auf der anderen Seite schärfer herausgearbeitet hätten. Aber das ändert nichts daran, dass wir die richtigen Inhalte haben.

sueddeutsche.de: Als da wären?

Drohsel: CDU, CSU und FDP sind für Steuersenkungen. Wir wollen die Krise solidarisch lösen mit neuen Regeln für die Märkte. Wir wollen die Reichen stärker zur Kasse bitten. Wir wollen Mindestlöhne, damit jeder von seiner Arbeit leben kann. Da gibt es genug Positionen, die wir lautstark vertreten können.

sueddeutsche.de: Im Europawahlkampf schien es, als hätte die SPD sich lieber auf Wirtschaftsminister Guttenberg von der CSU gestürzt. Der aber gehört inzwischen zu den beliebtesten Politikern im Land. War das schlau?

Drohsel: Die Frage, welche Personen im Wahlkampf angegriffen werden, macht sich für mich allein an inhaltlichen Kriterien fest. Und da fand und finde ich das Verhalten von Guttenberg bei Opel und Arcandor nicht nachvollziehbar.

sueddeutsche.de: Nur weil er Chancen für die Unternehmen eher in einem Insolvenzverfahren sieht, während die SPD lieber mit Staatsgeld um sich wirft?

Drohsel: Politik muss es kümmern, ob Tausende Menschen ihre Arbeit verlieren. Da kann man nicht einfach sagen, interessiert mich nicht, wir machen jetzt auf freien Markt, wie Guttenberg es vertritt.

sueddeutsche.de: Den Einsatz für Opel haben bei der Europawahl nicht mal die Wählerinnen und Wähler an den Opel-Standorten gedankt. Dort liegt die SPD zum Teil noch weit unter ihrem schon schlechten Gesamtergebnis von knapp über 20 Prozent.

Drohsel: Das finde ich traurig. Anscheinend haben solidarische Lösungen, wie wir sie wollen, nicht überall in der Bevölkerung eine Mehrheit.

sueddeutsche.de: Sind die Wähler schuld?

Drohsel: Es ist leider derzeit nicht so, dass diese Wirtschaftkrise, wie von uns gehofft, eine soziale Wende ausgelöst hätte. Es scheint eher so zu sein, dass Wählerinnen und Wähler mehrheitlich konservativ-bewahrend reagieren und sich zum Teil sogar für Rechtspopulisten ansprechbar zeigen. Das ist übrigens ein Problem, dass wir europaweit beobachten können.

sueddeutsche.de: Geht es den Menschen nicht schlecht genug, um SPD zu wählen oder nicht gut genug?

Drohsel: (überlegt lange) Ich sag es mal so: Persönlich kann ich das Wahlergebnis vom Sonntag und unsere Umfragewerte wirklich nicht nachvollziehen. Es ist mir ein Rätsel, warum offenbar viele Menschen glauben, dass man einfach alles weiterlaufen lassen kann wie bisher. Jeder der mit offenen Augen durch die Gesellschaft läuft, muss doch mitkriegen, dass man was ändern muss. Aber es ist eben so. Es gibt im Moment keine große Bewegung für mehr soziale Gerechtigkeit.

sueddeutsche.de: Dann trifft die SPD offenbar nicht die Stimmungslage der Menschen.

Drohsel: Wenn die Mehrheit unsere Positionen nicht richtig findet, dann werden wir eben dafür kämpfen, dass sich das ändert. Aber dass die Bürgerlichen derzeit besser dastehen, hat auch viel damit zu tun, dass unsere Leute - aus welchen Gründen auch immer - nicht zur Wahl gegangen sind.

sueddeutsche.de: Warum sollten sie auch? Die einzig realistische Machtoption nach der Bundestagswahl ist im Moment die große Koalition. Vom Hocker reißt die Vorstellung doch keinen Ihrer Sympathisanten.

Drohsel: Wenn man als Partei nicht die absolute Mehrheit bekommt, braucht man Bündnispartner. Erstmal kämpfe ich für ein gutes Ergebnis der SPD und danach kann man sehen, in welcher Konstellation am meisten sozialdemokratische Politik umgesetzt werden kann.

sueddeutsche.de: Das meinten Sie jetzt nicht ernst - das mit der absoluten Mehrheit ...

Drohsel: Ich kämpfe nicht für bestimmte Koalitionsoptionen, sondern dafür, dass die SPD so stark wie möglich wird.

sueddeutsche.de: Mit den Grünen allein wird es nicht reichen. Die FDP will zumindest im Moment nicht in eine Ampel. Mit der Linken will Ihre Parteispitze nicht. Die große Auswahl haben Sie nun mal nicht.

Drohsel: Das Ziel ist schwarz-gelb unter allen Umständen zu verhindern. Dafuer kämpfen wir.

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