SPD-Parteitag:"Das Herz will die Opposition, der Kopf die Groko"

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Die Delegierten stimmen auf dem SPD-Parteitag über Koalitions-verhandlungen ab. (Foto: AP)

Wir haben Leser nach ihrer Meinung zum Ergebnis des SPD-Parteitags gefragt. Sie sind ähnlich zwiegespalten wie die Delegierten.

Von Franziska Dürmeier, Jasmin Siebert und Daniel Wüllner

Auf dem Parteitag am Sonntag stimmt eine Mehrheit von 362 der 642 SPD-Delegierten und -Vorstandsmitglieder für Verhandlungen mit der Union. Die Süddeutsche Zeitung hat Mitglieder und Wähler der SPD dazu aufgerufen, uns ihre Meinung zu schreiben. In den mehr als 170 Zuschriften, die wir bekommen haben, halten sich Befürworter und Ablehner der Groko in etwa die Waage. Wir haben einige Beiträge ausgewählt.

"Die einzig richtige Entscheidung"

Bei den Unterstützern der Koalitionsverhandlungen geht es immer wieder um die gesellschaftliche Verantwortung der Partei. Sie sehen in einer neuen Groko auch Chancen.

Gebhard M.: "Ich habe mich überzeugen lassen, dass die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen das kleinere Übel ist. Wo, außer in der SPD, stimmen überhaupt Parteimitglieder über Ergebnisse ihrer Vorstände ab? Es wäre schön, wenn das in der Öffentlichkeit und durch die Medien mehr gewürdigt werden würde. Es ist bedauerlich, dass im ZDF-Kommentar der knappe Ausgang gleich als Zerstrittenheit interpretiert wurde. Wer sagt denn, dass die Jusos und die anderen Gegner nicht ein wertvolles Korrektiv bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen sein werden?"

Wolfgang W.: "Gott sei Dank haben die Delegierten mit Ja gestimmt. Ein Nein wäre eine Katstrophe für die SPD gewesen, sie wäre von allen Seiten in der Luft zerrissen worden. SPD-Politik kann man nur durchbringen, wenn man auch an der Regierung ist."

Union und SPD
:Schluss mit den Beleidigungen

Nur wenn Union und SPD aufhören, sich gegenseitig vor den Kopf zu stoßen, können die Koalitionsgespräche gelingen. Ansonsten scheitert das Bündnis, bevor es zustande kommt.

Kommentar von Heribert Prantl

Albert B.: "Die Entscheidung für Koalitionsverhandlungen war die einzig richtige. Eine Partei ist mehr den Menschen verpflichtet als der nächsten Wahl. Die SPD müsste ihre Erfolge aus der letzten Legislaturperiode besser verkaufen, dann würde sie auch wieder Wähler hinzugewinnen. Die Ergebnisse, die in den Sondierungsgesprächen erzielt wurden, halte ich für gut - insbesondere wenn man betrachtet, dass die SPD bei der Wahl nur um die 20 Prozent erhalten hat."

A. und J. F.: "Wir sind SPD-Mitglieder und wollen natürlich, dass sich die SPD an der Regierung beteiligt, um so wenigstens ein paar SPD-Themen durchzusetzen. Der Sinn einer Partei besteht darin, Verantwortung zu übernehmen und das Leben aller Mitbürger zu verbessern. Ziel sollte nicht nur sein, bei der nächsten Wahl ein besseres Ergebnis zu erzielen."

Wolfgang R.: "Ich kann die Bedenken der 279 Delegierten, die gegen Koalitionsverhandlungen gestimmt haben, gut nachvollziehen. Doch ohne die SPD in der Regierung gibt es keine sozialdemokratische Politik für die Menschen, keinen Fortschritt in Europa, kein Zurückdrängen des Neoliberalismus und kein Ende sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge. Bei Neuwahlen würde die SPD für das Scheitern der Groko verantwortlich gemacht werden, die AfD gewönne hinzu. Und die ganze Sondiererei ginge von vorne los."

Stefano M.: "Ich begrüße das Ergebnis des Parteitages ausdrücklich. Ich finde es gut, zumindest Koalitionsverhandlungen zu führen. Was am Ende dabei herauskommt, steht auf einem anderen Blatt."

"Ich habe die fünfstündige Live-Übertragung angeschaut"

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Bei wirtschaftspolitischen Themen dürfte es in den Koalitionsverhandlungen knirschen.

Von Henrike Roßbach

Begeistert klingen sie nicht, die Befürworter von Koalitonsverhandlungen. Sie bringen vor allem rationale Argumente vor und dass so manch einer nochmal umschwenkt, ist nicht ausgeschlossen. Eine Leserin beschreibt anschaulich, wie in der Groko-Frage Verstand und Gefühl auseinanderklaffen.

Inge K.: "Kennen Sie den Popsong 'Herz über Kopf?' So geht es mir mit dem Abstimmungsergebnis. Meinem Herzen wäre die Opposition lieber. Eine kraftvolle Opposition, in der die SPD ihre alternativen Konzepte für eine gerechtere Gesellschaft aufzeigen kann und so wieder unterscheidbar wird für die Wählerinnen und Wähler. Doch der Kopf ist für die Groko. Zumal es nicht nur um Innenpolitik geht, sondern auch um Europa."

Monika G.: "Ich habe die fünfstündige Live-Übertragung des Parteitags komplett angeschaut. Noch nie in den letzten 50 Jahren habe ich eine solch qualitativ gute Diskussion erlebt. Es wurden wirklich Argumente ausgetauscht - und dies ohne aggressiv zu werden. Ich muss zugeben, dass es für beide Seiten einleuchtende Argumente gab."

Franz-Josef V.: "In unserem SPD-Ortsvereins hat jeder seiner Meinung zur Groko abgegeben. Das war ein Spiegelbild des Parteitages. Die Jungen waren ohne Wenn und Aber dagegen. Die Älteren waren aus taktischen Gründen eher dafür. Die mittleren Jahrgänge bauten eine versöhnende Brücke des Zusammenhalts - trotz unterschiedlicher Meinung. Ein positives Erlebnis in einer schwierigen Entscheidungssituation."

Sven W.: "Eine Herzblut-Debatte. Selten zuvor habe ich eine Live-Berichterstattung so gespannt angeschaut. Selten zuvor war ich so zerrissen. Dem Ausgang kann ich aber dennoch nichts Gutes abgewinnen. NoGroko wäre besser gewesen für meine Partei und für mein Land."

"Die Parteispitze verkauft die Partei"

Auch die SPD-Mitglieder, die die Opposition besser gefunden hätten, können den Koalitonsverhandlungen Positives abgewinnen und setzen darauf, dass wichtige sozialpolitische Themen nachverhandelt werden. Viele sehen in Kevin Kühnert, dem Juso-Vorsitzenden und lautestem Groko-Gegner eine neue Hoffnung.

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Wolfgang S.: "Ich war bayerischer Delegierter. Ich habe zuvor Mitglieder befragt und wie die meisten bayerischen Delegierten mit Nein gestimmt. Das knappe Ja zeigt, dass in den Koalitionsverhandlungen noch einiges verbessert werden muss, um ein Ja beim Mitgliedervotum zu erreichen. Es hat die Verhandlungsgruppe aber auch in eine bessere Position versetzt. Im Sondierungspapier fehlen mir insbesondere Aussagen zu höheren Einkommenssteuersätzen für Milliardäre, um soziale Vorhaben finanzieren zu können."

Barbara S.: "Der am Wahlabend angekündigte Gang in die Opposition war die beste Entscheidung der Parteiführung seit langem. Bei der Abstimmung der Parteimitglieder werde ich meinen Fehler vom letzten Mal nicht wiederholen, sondern gegen eine große Koalition stimmen. Die SPD sollte als stärkste Oppositionspartei Verantwortung übernehmen."

Jonas A.: "Als SPD-Mitglied bin ich ehrlich enttäuscht über das Ergebnis. Der SPD tut eine neue Groko nicht gut und mehr als in den Sondierungspapieren steht, wird man in den Koalitionsverhandlungen auch nicht bekommen von der Union. Die Schuld sehe ich jedoch nicht bei Martin Schulz, sondern in den generell veralteten Parteistrukturen. Man hätte ausnahmsweise mal auf die Jusos hören sollen, denn die SPD braucht eine programmatische Erneuerung. Und wer, wenn nicht die jungen Leute, kann diese liefern? Die Alten jedenfalls bleiben ohne Vision."

Helene K.: "Ich habe noch nie eine andere Partei gewählt. Nun weiß ich nicht mehr, ob ich der SPD noch einmal meine Stimme gebe. Ich bin Gegner der Groko, Kevin Kühnert hat mich begeistert. Schulz hat einen desaströsen Wahlkampf hingelegt, doch das Nein zu einer erneuten Groko hatte mich fast versöhnt. Und nun das Umschwenken - was soll das alles? Merkels Kanzlerschaft sichern, ein paar Verbesserungen und ansonsten 'Weiter so' - das ist nicht das, was der SPD helfen wird."

Claus-Uwe W.: "Ich habe das unangenehme Gefühl, dass es der Parteispitze nur um ihre Ministerämter geht. Sie verkauft die Partei wie es schon Schröder, Steinmeier und Nahles getan haben. Schon lange geht es nicht mehr um sozialdemokratische Inhalte, sondern nur noch um Macht."

"Nicht vergessen: Es gibt noch die Mitgliederbefragung!"

Viele Leser kritisieren die 'Weiter so'-Mentalität der SPD-Spitze, die möglicherweise nur um ihre persönliche Zukunft fürchtet. Dabei stehe doch - so fürchten einige Leser - die Zukunft der Sozialdemokratie auf dem Spiel. Viele Groko-Gegner setzen jetzt auf die Mitgliederbefragung.

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Von Nico Fried

Harald H.: "Ich bin richtig wütend: Die SPD ist eine zerrissene Partei und Martin Schulz wird als glückloser Vorsitzender und Totenträger der SPD in die Geschichte eingehen. Er, 'unser Wende-Martin', hat die Misere zu verantworten. Nach 42 Jahren Mitgliedschaft gehe ich nun raus! Dann muss ich mich nicht mehr ärgern, wenn sich die SPD-Vorstände am Wahlabend freuen, dass sie sich über zwölf Prozent gehalten haben."

Heinz D.: "Ich fürchte, die SPD bewegt sich nun - wie ihre Schwesterparteien in Europa - auf das allmähliche Ende bzw. die völlige Bedeutungslosigkeit zu. Nun denn, nun haben wir Mitglieder das letzte Wort. Eigentlich ist es undemokratisch, wenn 400 000 SPD-Mitglieder über die Politik für 80 Millionen Mitbürger entscheiden. Aber wir können nun im letzten Handlungsakt beweisen, dass die SPD noch bei Sinnen ist. Tiefer geht es nicht mehr, es kann nur noch aufwärts gehen - nach einem Nein zu dieser Großen Koalition!"

Marko P.: "Die Union, vor allem die CSU, ist für mich kein akzeptabler Partner. Eine Begrenzung des Familiennachzugs darf keine SPD-Unterschrift tragen. Wer sieht Kind 1001 ins Gesicht und sagt: 'Du darfst nicht zu Papa!'? Ich hoffe auf die Mitglieder, diesen Weg zu stoppen."

Hannes H.: "Seit Jahren habe ich das Gefühl, dass die SPD-Granden auf Zeit spielen. Bloß nichts riskieren, das Ministerpöstchen umklammern wie ein bockiges Kind das Vaterbein. Die SPD verliert lieber freiwillig mit 0:2, als mal wieder etwas zu wagen."

Hansjörg D.: "Dass es die SPD mit demokratischer Partizipation auch innerparteilich ernst meint, verdient Respekt. Es sind keine 'Zwerge', die hier diskutieren, sondern 'gstandne Leut''! Und nicht vergessen: Es gibt noch die Mitgliederbefragung!"

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