Süddeutsche Zeitung

SPD-Ostkonvent:Wie die Sozialdemokraten den Osten erobern wollen

Mit einem "Zukunftsprogramm" will die SPD vor diversen Wahlen den Aufbruch Ost einläuten. Doch die Partei tut sich schwer.

Von Antonie Rietzschel, Erfurt

Willy ist schon viel rum gekommen - in Thüringen, in Hessen war er auch schon. Willy ist ein Trabant. Drinnen riecht er etwas muffig, draußen kleben Tausende Sticker auf der Karosserie. Sie tragen das Logo der SPD. Willy war eine Idee thüringischer Jusos zur Bundestagswahl 2005, danach verstaubte er in einer Scheune. Aber an diesem Wochenende ist er wieder im Einsatz. Willy, Baujahr 1962, steht vor einem Seiteneingang des Steigerwaldstadions in Erfurt, wo die SPD zu ihrem ersten Ost-Konvent zusammenkommt. Willy löst unterschiedliche Reaktionen aus. Ein sächsischer Kandidat für die Europawahl zwängt sich für ein Foto hinein. Eine Genossin umgeht den Trabbi im weiten Bogen: "Das ist mir jetzt schon peinlich", sagt sie.

Denn bei dem Treffen in Erfurt soll es gerade nicht um Ostalgie gehen. Nicht weniger als einen Aufbruch soll es auslösen. Deswegen ist auch Parteiprominenz aus Berlin angereist: SPD-Chefin Andrea Nahles, Finanzminister Olaf Scholz und Familienministerin Franziska Giffey. Im Mai sind Europawahlen und zugleich Kommunalwahlen in mehreren Ländern. Im Herbst werden in Thüringen, Sachsen und Brandenburg neue Landtage gewählt.

Die SPD will sich als Partei präsentieren, die Probleme und Zukunftsfragen in den östlichen Bundesländern ernst nimmt. Es gehe nicht um einen Nachbau West, sondern um einen Vorsprung Ost, sagt Nahles in ihrer Auftakt-Rede. In der betont sie bereits bestehende Vorteile in den neuen Bundesländern, die sie in mehreren Bereichen sieht: beim Impfen, Gesundheitsversorgung und Kindererziehung. In dem Zusammenhang stellt sich ihr die Frage: "Wie können wir in Westdeutschland endlich die flächendeckende Ganztagsbetreuung hinkriegen, die wir hier schon haben?"

Die SPD tut sich schwer - nicht nur, aber auch im Osten

"Jetzt ist unsere Zeit", lautet das Motto unter dem die SPD sich an diesem Wochenende versammelt hat. Daraus spricht Kampfgeist, aber ein bisschen Fatalismus lässt sich auch herauslesen. Das passt zur aktuellen Lage der SPD im Osten.

In Brandenburg stellen die Sozialdemokraten die SPD zwar noch den Ministerpräsidenten, doch die Partei leidet unter einem Betrüger in den eigenen Reihen. In Thüringen könnte SPD könnte bei der Landtagswahl im Herbst die zwölf Prozent von 2014 sogar noch unterbieten. Wolfgang Tiefensee, Spitzendkandidat der thüringischen SPD, tritt nicht mal mehr als Herausforderer gegen Ministerpräsident Bodo Ramelow an. Und auch in Sachsen scheint es eher so, als sei die Zeit der SPD vorüber: Aktuellen Umfragen zufolge liegt die Partei bei neun Prozent. Die einst zwergenhaften Grünen erreichen 16 Prozent.

Die Landesverbände leiden unter der bundesweiten Schwäche der SPD. Aber auch unter dem Umgang der Parteispitze mit den neuen Bundesländern. Nach dem Aufkommen von Pegida und mit der wachsenden Zahl von Übergriffen auf Flüchtlinge fühlten sich viele Ostdeutsche auch von führenden Sozialdemokraten diffamiert. Als der frühere Vize-Kanzler Sigmar Gabriel 2015 zu einer Dialogveranstaltung mit Pegida-Anhängern reiste, wurde er dafür von den Genossen in der Hauptstadt kritisiert. Als es im sächsischen Heidenau zu Ausschreitungen vor einer Asylunterkunft kam, sprach Gabriel dann von "Pack", das sich herumtreibe. Er meinte damit rechtsextreme Randalierer - aber auch besorgte Anwohner fühlten sich angesprochen.

Im Herbst 2016 stellte Iris Gleicke, SPD-Politikerin und damalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit vor. Traditionell ein Anlass, um die Fortschritte im Osten zu beklatschen. Doch Gleicke rückte die Sorge um die Angriffe auf Asylunterkünfte in den Mittelpunkt. Sie war es, die eine Studie in Auftrag gab, um Rechtsextremismus in ostdeutschen Städten zu untersuchen. Die fiel nicht nur verheerend aus, sondern enthielt auch handwerkliche Fehler. Ein schwerer Schaden für Gleicke - und die SPD.

Der Skandal verdeckte die durchaus vorhandenen Bemühungen einzelner SPD-Politiker, spezifisch ostdeutsche Themen zu platzieren. Gleicke machte schon Jahre vor der aktuell geführten Ostquoten-Debatte Defizite in der Besetzung von Führungspositionen im Osten sichtbar. Petra Köpping, sächsische Integrationsministerin, kümmert sich schon länger um die Verletzungen der Wendezeit. Sie versucht die finanzielle Ungleichbehandlung ehemaliger Reichsbahner, Bergbauarbeiter und geschiedener Frauen im Osten auszugleichen. Während Genossen in der Bundes-SPD auf ihre Themensetzung zuweilen genervt reagierten.

Ein Zukunftsprogramm ohne Zukunft?

Doch allmählich fand in der SPD ein Umdenken statt, spätestens mit der Ernennung von Martin Dulig zum parteiinternen Ostbeauftragten vor einem Jahr. Gerade in den vergangenen Wochen stellte die Partei wiederholt politische Themen in den Fokus, von denen Menschen in Ostdeutschland profitieren sollen: etwa die vorgeschlagene Grundrente. Die müsse es geben "ohne Wenn und Aber, ohne Bittsteller zu werden in diesem Land", betonte SPD-Chefin Nahles in Erfurt.

Beim Ost-Konvent legt die SPD ein "Zukunftsprogramm" vor, das besonders die neuen Bundesländer in den Fokus rückt. In dem Papier fordern die Sozialdemokraten eine neue Steuerverteilung sowie die Ausweitung von in Ostdeutschland angesiedelten Forschungsprojekten zu künstlicher Intelligenz, Batteriezellen, Wasserstoff und Digitalisierung. Unternehmen, die in Forschung investieren, könnten einen Ostbonus erhalten. Darüber hinaus sollen die Arbeitszeiten im Osten an den Westen angepasst werden. Gewerkschaften wie die IG Metall setzen sich schon länger für die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche in den neuen Ländern ein. Darüber hinaus fordert die SPD eine Selbstverpflichtung von Medien, Unternehmen und Verbänden, mehr Ostdeutsche bei der Besetzung von Stellen zu berücksichtigen.

In ihrem "Zukunftsprogramm" will die SPD dem Eindruck entgegenwirken, die neuen Bundesländer seien unterentwickelt. Es gehe nicht um eine Anpassung des Ostens an den Westen, sondern um gleichwertige Verhältnisse, heißt es. Die Lebensbedingungen müssten vielmehr selbstbewusst weiterentwickelt und Interessen couragiert vertreten werden. Im Zusammenhang mit rechtsextremen Tendenzen spricht sich die Partei in dem Konzept gegen "billige Pauschalurteile" aus.

24 Seiten umfasst das Papier. In Erfurt steht es auf wenige Stichpunkte komprimiert auf einer weißen Tafel. Auf eine große Fläche daneben setzen die Parteispitzen ihre Unterschriften - ein symbolischer Akt. Denn das Papier wird auf keinem Parteitag zur Abstimmung gestellt werden, die Umsetzbarkeit einzelner Punkte hängen vom Willen der Bundes-CDU, aber auch von den Ergebnissen bei den Landtagswahlen ab. Deswegen ist die Euphorie unter den Genossen gedämpft. Finanzminister Scholz sagt gegen Ende der Veranstaltung: "Wir dürfen nicht die Partei werden, die glaubt, früher war alles besser." Auch in schwierigen Zeiten habe die SPD bewiesen, dass sie Erfolg haben könne. Und Ostbeauftragter Dulig gibt den Genossen einen Tipp für den Wahlkampf mit auf den Weg: "Mundwinkel nach oben".

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