Süddeutsche Zeitung

SPD-Neumitglieder:"In Schulz finde ich mich selbst wieder"

Seitdem Martin Schulz als Kanzlerkandidat feststeht, sind rund 10 000 Menschen der SPD beigetreten. Fünf Neue erzählen, warum.

Protokolle von Ulrike Schuster

In den fünf Wochen seit der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten hat die SPD nach eigenen Angaben über 10 000 neue Mitglieder registriert. Die Sozialdemokraten erleben einen Höhenflug, nicht nur in den Umfragen. Der sogenannte Schulz-Effekt bestätigt sich. Hier erzählen fünf Neu-Mitglieder, warum sie gerade jetzt der Partei beigetreten sind.

Lena Schaffhauser, 21, Kellnerin aus Baden-Württemberg, Ortsverein Efringen-Kirchen (36 Mitglieder, davon zwei neue seit der Schulz-Nominierung am 24. Januar)

Ich lebe in einer 8000-Seelen-Gemeinde, man kennt sich, man sieht sich. Schaue ich genau hin, erkenne ich Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und jetzt im Park Flaschen sammeln. Neulich hat mir ein Fernkraftfahrer erzählt, was er verdient. 100 Euro mehr als das Existenzminimum - und das bei Arbeit in Vollzeit. Das demütigt doch. In solchen Momenten denke ich: Politik betrifft mich, sie ist greifbar.

Ich will in einer Gesellschaft leben, in der sich die Menschen umeinander kümmern und freundlich zueinander sind - an der Supermarktkasse, in der Nachbarschaft, im Bus-Wartehäuschen. Das klingt vielleicht etwas romantisch, aber genau solch ein poetischer Ruck müsste durch die Gesellschaft gehen. Dann wäre sie gerechter.

Mein Vater ist Getränkehändler, meine Mutter arbeitet in einer Mediathek. Sie sind einfache, aufrichtige Menschen. Mit den Werten der SPD identifiziere ich mich schon lange, aber jetzt, mit Martin Schulz, hat die Partei endlich auch ein glaubwürdiges Zugpferd. Ich fand ihn schon super, als er einen griechischen Abgeordneten wegen rassistischer Äußerungen aus dem Plenum des Europaparlaments geworfen hat.

Merkel mit ihrer Raute macht mich müde. Schulz ist ein Macher, der Tacheles redet. Er ist zwar kein Sunnyboy wie Trudeau in Kanada oder Macron in Frankreich, aber in puncto Charisma steht er ihnen in nichts nach. Er strahlt etwas Warmherziges, Onkelhaftes aus. Müsste ich ihm einen Tipp für den Wahlkampf geben, wäre das der: Bitte nichts am Bart oder der Brille verändern, so wie du jetzt bist, bist du mir sympathisch.

Gerhard Schulz, 77, Rentner aus Bayern, SPD-Ortsverein Kolbermoor (80 Mitglieder, davon vier neue seit der Schulz-Nominierung)

Ich weiß schon, viele Schulz-Anhänger sind noch ziemlich jung, um die 30. Aber auch unter uns Älteren gibt es die, die brennen. Ich freue mich auf den Wahlkampf, aufs Plakate kleben, mich an den Infostand stellen, mit den Jungen diskutieren - ich will helfen, wo ich kann. Ich fühle mich topfit für die Demokratie.

Mein Leben lang habe ich Lehrer in den Fächern Geschichte und politische Bildung ausgebildet, aber nie war ich in einer Partei, die SPD hab ich nicht ein einziges Mal gewählt. Hier in Bayern kann man die Sozialdemokraten nicht ganz ernst nehmen, zu viele Leichtgewichte.

Aber dann kam Schulz. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich ihn für das Beste halte, was der SPD seit Willy Brandt passiert ist. Zehn Minuten nach seiner Antrittsrede habe ich den Aufnahmeantrag gestellt. Mich hat einfach alles beeindruckt. Seine Ausstrahlung und alles, was er gesagt hat. Das ist SPD pur. Schulz begreift, dass sich die Würde des Menschen an der sozialen Frage entscheidet. Er hat nicht nur Erfahrung, er hat auch Herz.

Im Wahlkampf sollte Schulz viel in den neuen Bundesländern unterwegs sein. Gerade um die Menschen dort muss er kämpfen. Um diejenigen, denen der Westen seit Jahren sagt: Ihr seid zu blöd, zu banal, zu unkultiviert. Deshalb ist die AfD dort so stark. Wenn es einem gelingt, diese Menschen wieder für die SPD zu begeistern, dann ihm.

Daniel Wiedensohler, 15, Schüler aus Sachsen, SPD-Ortsverein Brandis-Borsdorf-Naunhof (35 Mitglieder, davon zwei neue seit dem 24. Januar)

Letzten Sonntag habe ich Martin Schulz live gesehen, bei einer Wahlkampfveranstaltung. Ich dachte nur: Wow. Wie er da so auf der Bühne stand und die Leute mitgerissen hat, das hat mich überzeugt. Ich finde, jetzt ist die Zeit gekommen, mitzuhelfen; es herrscht zu viel Hass und Vorurteil. Wir brauchen mehr Respekt.

Das erste Juso-Treffen war toll, ich war der Jüngste und trotzdem wurde ich gefragt. Ich glaube, mit vereinter Kraft können wir die Menschen davon überzeugen, dass es die SPD es mit der sozialen Gerechtigkeit ernst meint. Wir sind hochmotiviert, die Stimmung ist super.

Schulz ist ja auch nicht mehr der Jüngste, er kann Unterstützer wie mich gebrauchen. Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, in meiner Familie gibt es einen starken Zusammenhalt, und den sollte es auch wieder in der ganzen Gesellschaft geben. Dafür will ich micht einsetzen, nach der Schule und am Wochenende. Ich hoffe, den ein oder anderen meiner Klassenkameraden anstiften zu können, auch in der Politik mitzumachen.

Es gibt einfach so viel in unserer Gesellschaft zu verbessern. Ich glaube, zu viele Menschen haben Angst vor dem Fremden, statt neugierieg darauf zu sein und es kennenzulernen. Wir sind alle Menschen. Wo ist da der Unterschied? Ich kann doch niemanden besonders behandeln, nur weil er das Glück hatte, in Deutschland geboren zu sein. Deshalb ist Schulz auch so wichtig. Er nimmt die Sorgen und Ängste der Menschen ernst und holt sie runter von der Couch.

Martina Güth, 52, Mediengestalterin aus Rheinland-Pfalz, SPD-Ortsverein Montabaur (70 Mitglieder, davon drei neue seit dem 24. Januar)

In den letzten Jahren habe ich immer die Linken gewählt. Nicht weil mich ihre Inhalte überzeugen, sondern weil sie unbequem sind, der Stachel im Fleisch des Establishments. Jahrzehntelang hab ich mich nach jemandem in der SPD gesehnt, der eine linke Politik vertritt. Stattdessen wurde sie zum Anhängsel von Merkels CDU. Und dann kam Martin Schulz. Ein Mensch, der es schafft, geradeheraus zu sprechen. Er gibt einem das Gefühl, dass er mit den Menschen spricht, nicht über sie. Die Politiker sprechen "vom Menschen im Mittelpunkt des Handelns", Schulz nehme ich das ab.

Und dann ist da noch seine Biografie, die mir imponiert. Diese Brüche im Leben, kein Abitur, der Alkohol. Ich glaube, Menschen, die im Leben nicht nur auf der Überholspur gefahren sind, sondern auch Krisen erlebt haben, verstehen die Schwächen und Sorgen anderer Menschen besser. Sie haben mehr Profil.

In Schulz finde ich deswegen auch mich selbst wieder. Ich weiß, wie hart das Leben sein kann. Alleinerziehend, drei Kinder, eines von ihnen leidet am Asperger-Syndrom. Unterhaltszahlungen bekomme ich nicht. Da ist jeder Tag ein Kampf. Ohne das Mitgefühl und die Hilfe von anderen hätte ich es nicht geschafft.

Ich treffe viele Menschen, die aus ihrem Hass, ihrer Angst und ihrer Verurteilung des Fremden keinen Hehl machen. Ich will nicht irgendwann von meinen Enkeln gefragt werden: "Und du? Warum hast du nichts gemacht?" Am 29. Januar, nach Schulz' Auftritt bei "Anne Will", bin ich in die SPD eingetreten.

Achim Schindler, 48, Arzt aus Nordrhein-Westfalen, SPD-Ortsverein Würselen-Mitte (152 Mitglieder, davon neun neue seit dem 24. Januar)

Eines muss man der AfD lassen: In einem Punkt legt sie den Finger in die richtige Wunde. Viele Menschen sind frustriert, weil sie sich von den Politikern nicht mehr gehört und ernst genommen fühlen. Martin Schulz schert aus diesem Bild aus. Er ist von einem anderen Schlag. Er redet nicht um den heißen Brei, er weicht nicht aus, er benennt Fehler der Vergangenheit, er zeigt klare Kante. Wie jüngst mit der Hartz-IV-Reform, als er sagte, sie sei früher richtig gewesen, jetzt aber müsse sie korrigiert werden. Mit dieser Haltung ist er der richtige Frontmann für die SPD. Ob er besser ist als Merkel, weiß ich nicht. Aber es wäre mal etwas anderes, und allein das ist schon gut. Veränderung tut gut.

Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten wurde mir eine Sache klar: Weiter wie bisher, einfach zuschauen, das geht jetzt nicht mehr. Und die SPD ist die Partei, die der Wurzel allen populistischen, fremdenfeindlichen, marktschreierischen Übels das Richtige entgegensetzt: soziale Gerechtigkeit. Der Neoliberalismus bewirkt im Kern genau das, was Marx prophezeit hat: die Akkumulation von Kapital in den Händen von Wenigen. Das schafft Profit, aber keine Zufriedenheit, kein Glück und auch nicht Zusammenhalt. Das ist nicht meine Utopie einer guten Gesellschaft.

Die braucht weniger Marktliberalismus und mehr Humanismus, dringender denn je. Die urdemokratische Idee des echten Diskurses muss wieder lebendig werden. Damit meine ich: Ob wir uns auf dem Stadtmarkt oder einem Internetmarktplatz treffen, ist egal. Aber wir müssen uns wieder zuhören, miteinander reden und den Kompromiss finden wollen. Dafür ist Schulz der richtige Mann.

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