Süddeutsche Zeitung

SPD:Gröbere und feinere Gemeinheiten

  • Mit mehr als 60 Parlamentariern bilden die Landesgruppen der SPD-Verbände Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen einen mächtigen Block.
  • Bei einer Klausur in Osnabrück diskutieren sie ihre Strategien für 2019.
  • Die Idee einer Urwahl des künftigen Kanzlerkandidaten findet dort viel Zuspruch - Parteichefin Nahles zeigt sich offen.

Von Mike Szymanski, Osnabrück

Im Foyer des Tagungshotels hängt eine Botschaft für 2019, in weißer Kreide auf schwarzer Tafel: "Vielleicht wird jetzt alles viel leichter". Es ist 10.39 Uhr, als SPD-Chefin Andrea Nahles bei der gemeinsamen Klausur der Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen eintrifft. Sie macht auf gute Laune. Sie lacht viel. Aber da muss sie es schon wissen: Leichter dürfte 2019 absolut nichts werden.

Eine Klausur wie diese gab es vorher so nicht. Mit mehr als 60 Parlamentariern bilden die Landesgruppen der mächtigen Verbände Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen einen Block, an dem so leicht niemand vorbeikommt. Und dieser Block, angeführt von den Landesgruppenchefs Johann Saathoff und Achim Post, gehört nicht gerade zum Nahles-Freundeskreis. Gleich zwei frühere Parteichefs gehören ihm an, die mit dem Spitzenduo aus Nahles und Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz abgeschlossen haben: Martin Schulz aus NRW und Sigmar Gabriel aus Niedersachsen.

Saathoff und Post haben sich noch etwas Besonderes einfallen lassen: Dieses Mal tagen die Parlamentarier im Beisein von Journalisten. Wer immer mal hautnah erleben wollte, wie Schulz und Gabriel immer noch in der Lage sind, aufzudrehen, wenn die Bühne stimmt, war in Osnabrück genau richtig. Dort war zu besichtigen, wie mal mehr, mal weniger feinsinnig auch bei nur noch 15 Prozent in Umfragen alte Rechnungen beglichen werden.

Zu den kleineren Gemeinheiten gehörte, dass Andrea Nahles qua Amt die Hände gebunden waren, ihren Auftritt wie die anderen vor den Journalisten zu inszenieren. Für sie, als Fraktionschefin, beginnt an diesem Donnerstag die Jahresauftaktklausur mit allen Abgeordneten. Da kann sie unmöglich vorher einem Teil von ihnen im Beisein der Presse Rede und Antwort stehen. Prompt kommt sie als Hinterzimmer-Politikerin rüber.

Scholz und Nahles pflegen ein besonderes Verhältnis

Anderen Ärger hat ihr Olaf Scholz eingebrockt. Der hat zum Jahresauftakt in einem Zeitungsinterview an ihr vorbei seine Ambitionen für die Kanzlerkandidatur klargemacht. Beide pflegen ein besonderes Verhältnis. Keiner verliert ein böses Wort über den anderen. Viele führende Sozialdemokraten halten es für wahrscheinlich, dass beide in dieser Frage längst eine Verabredung getroffen haben. Problematischer ist für Nahles, dass jetzt wieder über Köpfe geredet wird. "Wir sollten öffentlich mehr über Politik und weniger über uns reden", sagt sie in Osnabrück. Ihr Vorschlag: Die Perspektive der "tüchtigen, der arbeitenden Mitte unseres Landes" solle wieder stärker Dreh- und Angelpunkt sein.

Bei den Abgeordneten in Osnabrück haben Scholz und Nahles gemeinsam, dass sie beide einen schlechten Stand haben. Martin Schulz hat schon recht, als er bei einem seiner Auftritte, in einem anderen Zusammenhang zwar, sagt: "Nicht alle, die bei uns in der Partei sind, sind nette Leute." Er demonstriert kurz mal, welch einen leidenschaftlichen Politiker die SPD-Spitze ausrangiert hat. Bei seinem Thema, Europa, hält er eine Rede, die eigentlich in Parlamenten vorgetragen gehört und nicht in Konferenzräumen. Dem Finanzminister Scholz gibt er dabei auch noch süffisant eine mit, als er über dessen Möglichkeiten, Europa mitzugestalten, sagt: "Der fliegt ja jetzt ganz hoch."

Zu den gröberen Gemeinheiten gehört, dass in Osnabrück die Idee der Urwahl des künftigen Kanzlerkandidaten viel Zuspruch erfährt, so viel, dass sich die Parteispitze um Nahles und Scholz wohl kaum viel länger dagegen wird wehren können. Nahles kündigte an, dass sich eine neue Kommission mit dieser Frage befassen werde. Entschieden werde 2019 aber noch nicht. So viel jedenfalls zum Stand: Januar, 2019.

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Quelle:
SZ vom 10.01.2019
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