Neuwahlen:Kurz vor Schluss noch in den Bundestag

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Lucia Schanbacher hat im Wahlkampf in Stuttgart-Vaihingen zu „Punsch und Politik“ eingeladen. (Foto: Roland Muschel)

Viele Bundespolitiker sehnen das vorzeitige Ende der Legislaturperiode herbei, doch Nachrückerin Lucia Schanbacher freut sich auf ihren späten Start am 1. Januar 2025.  Was verspricht sie sich vom Last-Minute-Mandat?

Von Roland Muschel, Stuttgart

Lucia Schanbacher hat jetzt an vielen Straßenlaternen in ihrem Stuttgarter Bundestagswahlkreis Plakate aufgehängt. Ihr Gesicht ist darauf und eine Einladung an die Bürgerschaft, zu „Punsch und Politik“. Auf den Plakaten verkündet eine fröhlich dreinblickende SPD-Politikerin aber auch etwas, auf das sie offensichtlich sehr stolz ist und den Wählerinnen und Wählern unbedingt mitteilen will: „Ab 01.01.2025 im Bundestag“.

Im Berliner Politikbetrieb sehnen viele gerade nichts mehr herbei als das vorgezogene Ende dieser Legislaturperiode: Abgeordnete der im Unfrieden geschiedenen Ampelparteien SPD und Grüne auf der einen und der FDP auf der anderen Seite. Aber auch Oppositionspolitiker von Union, der Linken, BSW oder AfD, die beim Urnengang am 23. Februar 2025 auf Zugewinne hoffen.

Die Politikerin findet, da geht noch was

Lucia Schanbacher aber sagt, sie freue sich auf den Bundestag, auf die zwei Sitzungswochen, die in der Zeit ihres Mandats noch terminiert sind. Auf dem Marktplatz des Stuttgarter Stadtteils Vaihingen hat die 35-jährige Schwäbin an einem regnerischen Dezembermittag ihre dreirädrige Piaggio Ape 50 platziert, darauf steht in roten Großbuchstaben: „Für Sie im Bundestag“.

Ausgerüstet mit Daunenjacke und roten Dr.-Martens-Schuhen verteilt sie ihre Visitenkarte mit einem Schokoherzen darauf. Neben dem Fahrzeug ist ihr Stand aufgebaut, darauf Tassen mit SPD-Schriftzug und eine Kanne mit Punsch, an der Seite ein Koffer mit einer Papierrolle, auf der sie Wünsche der Passanten notiert. „Mehr Wohnraum“, steht da, „mehr Fairness“ oder auch: „eine stabile Regierung“.

Wenn die Stuttgarter SPD-Politikerin zum 1. Januar 2025 als Bundestagsabgeordnete anfängt, verbleiben noch knapp acht Wochen bis zur Wahl zum nächsten Bundestag. Ausschüsse werden nicht mehr nachbesetzt, an neuen Gesetzen wird nicht mehr gearbeitet. Da könnte man natürlich fragen, welchen Sinn der Wechsel nach Berlin noch hat, was sie überhaupt bewirken kann. „Da werden ja noch Dinge entschieden“, sagt Schanbacher, etwa wie es mit der Mietpreisbremse weitergehe, für Stuttgart sei das essenziell. Stadtentwicklung ist eines ihrer Schwerpunktthemen.

Da geht noch was, so sieht sie es. Und so sehen es offenbar auch ihre Mitarbeiter. Jeder Bundestagsabgeordnete hat ein Personalbudget. Schanbacher hat noch vier Mitarbeiter eingestellt, die Arbeitsverträge sind befristet, sie enden mit der Legislaturperiode, also bald.

Dass sie Mitstreiter gefunden hat, liegt wohl nicht zuletzt an ihrem Netzwerk. Die zweifache Mutter war Asta-Vorsitzende an der Universität Hohenheim, sitzt seit 2019 für die SPD im Stuttgarter Gemeinderat, ist Mitglied im SPD-Landesvorstand und hat bislang halbtags für einen SPD-Bundestagsabgeordneten gearbeitet. Nun rückt sie für den Lörracher SPD-Abgeordneten Takis Mehmet Ali nach, der sein Mandat aufgibt, um das Sozialdezernat des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe zu leiten.

Eine Chance, sich für die Bundestagswahl zu empfehlen

Nachrücker gibt es immer wieder, Schanbacher ist Nummer 37 in der laufenden Legislaturperiode. Die Anlässe sind vielfältig, vom Wechsel amtierender Abgeordneter in die Wirtschaft bis zum Todesfall. Aber in der Regel haben die Nachrücker doch etwas mehr Zeit als Schanbacher, sich als Bundespolitiker zu profilieren.

Sie sieht ihr Kurzzeitmandat trotzdem als Chance, sich für eine Wiederwahl am 23. Februar 2025 zu empfehlen. Der Status einer Abgeordneten biete ihr mehr Chancen, sich bei Verbänden, Organisationen, auf Podien vorzustellen. 2021 kandidierte sie auf Listenplatz 23 der Südwest-SPD. Es fehlten nur wenige Hundert Stimmen, dann wäre sie schon vor drei Jahren in den Bundestag eingezogen. Dass sie nachrücken könnte, war ihr also bewusst. Dass es so spät noch passiert, hätte sie dann aber doch nicht gedacht. Diesmal steht sie weiter vorn auf der Liste, Platz 15, ihre Partei in den Umfragen aber nicht mehr so gut da.

Die Voraussetzungen für ein SPD-Mandat waren schon besser. „Letztes Mal dachte doch auch keiner, dass ich mit Listenplatz 23 irgendeine Chance habe.“ Dann habe sich alles gedreht. Warum solle das nicht wieder passieren? „Ich spiele auf Sieg, ich mache das nicht zur Selbstbespaßung“, sagt Schanbacher. Dann wendet sie sich auf dem Marktplatz wieder an eine Passantin, mit ihrer Visitenkarte und einem Satz, den sie schon ziemlich routiniert aufsagt: „Hallo, ich bin die Bundestagsabgeordnete für Stuttgart.“

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