Süddeutsche Zeitung

SPD nach Mitgliederentscheid:Von der alten Tante zur Mitmachpartei

Ja, wir wollen! Die SPD-Basis in Gestalt der Auszähl-Helfer feiert das Mitgliedervotum für die große Koalition. Parteichef Gabriel beschwört den neuen Geist der Sozialdemokraten, zitiert Willy Brandt - und lächelt einige Buhrufe am Ende einfach weg.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Es ist ein seltener Anblick, der sich hier bietet, in einer großen, grauen, hässlichen Halle namens "Station" am Berliner Gleisdreieck: glückliche SPD-Mitglieder. Ist ja schon eine Weile her, dass sich irgendwer aus dieser Partei öffentlich freuen konnte. Nun stehen sie da, in einer Reihe, klatschen und rufen "Sigmar, Sigmar!"

SPD-Chef Sigmar Gabriel ist ein kleines Wunder gelungen. Dank des positiven Mitgliedervotums über die große Koalition ist die SPD von einer alten Tante zur modernen Mitmachpartei mutiert. CDU und CSU sehen im Vergleich ziemlich autoritär aus.

Für Gabriel ist der Tag ein Triumph, den er auskostet. Er zögert die Bekanntgabe des Mitgliedervotums lange heraus, dankt allen Helfern, der Partei, sogar der Post für den Transport der Stimmzettel. Frank-Walter Steinmeier, künftig wohl Außenminister, steht neben ihm und lächelt breit. Manuela Schwesig, angehende Familienministerin, hat feuchte Augen. Lange bevor SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks die Zahlen - 78 Prozent Beteiligung, 76 Prozent Zustimmung - bekanntgibt, ist klar: Die Genossen wollen die große Koalition.

"So politisch engagiert habe ich meine Partei noch nie erlebt, solange ich Mitglied bin", schwärmt Gabriel unter dem Applaus der 400 ehrenamtlichen Helfer, die die Wahlzettel seit morgens ausgezählt hatten. "Ich war lange nicht so stolz, Sozialdemokrat zu sein."

Buhrufe zum Schluss

"Das war ein Fest der Demokratie", ruft er. "Dieser Tag wird in die Geschichte der deutschen Demokratie eingehen." Vergessen scheint das Wahlergebnis vom 22. September, als der Partei wahrlich nicht zum Feiern zumute war: Gerade einmal 25,7 Prozent der Stimmen hatte die SPD erhalten. Während die Union ihrer Kanzlerin Angela Merkel huldigte, mussten die Genossen kleinlaut einräumen, dass die Wechselstimmung der Wähler doch geringer war, als erhofft.

Die SPD hat zwar nicht die meisten Wählerstimmen, aber sie kann sich trotzdem freuen, betont Gabriel: Sie ist dafür eben "die modernste Partei Deutschlands", eine Mitmachpartei. "Niemand wird heute mehr einer Partei beitreten, ohne dass er mitbestimmen kann", prophezeit Gabriel vollmundig. Und natürlich kann er sich das Willy-Brandt-Zitat, ohne dass keine SPD-Rede auskommt, nicht verkneifen: "mehr Demokratie wagen" sei das Gebot der Stunde.

Gestört wird die Party von der Frage nach den Kabinettsposten, die die SPD in Zukunft besetzen wird. Bereits am Freitag waren entsprechende Spekulationen aufgekommen. Als ein Journalist die Frage stellt, buhen die Sozialdemokraten im Raum. Allerdings eher ironisch als ernsthaft empört. Gabriel verweist auf die Gremiensitzung am Sonntag - erst dann soll es Namen geben.

Die SPD startet also mit Euphorie und Selbstbewusstsein in die große Koalition. Mal sehen, wie das zu Angela Merkels stoischer Gelassenheit passt. Und ob es Sigmar Gabriel gelingt, seine Basis wirklich vier Regierungsjahre lang derart in Begeisterung zu versetzen wie an diesem Samstag.

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