SPD nach Kanzler-Entscheidung:Betriebsrat der Regierung

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Noch immer hat sich mancher Missmut nicht gelegt. Dass die SPD mit Arbeit, Gesundheit und Finanzen drei beinharte Politikfelder übernehmen soll, folgt jedoch konsequent der Logik Münteferings: Die Sozialdemokraten wollen sich so als Partei der Gerechtigkeit in Szene setzen.

Nico Fried

Draußen vor den Mikrofonen gibt sich der Sozialdemokrat skeptisch. Wenn man Parteichef Franz Müntefering oder andere Führungsleute über den Weg zu einer großen Koalition reden hört, dann klingt das, als sei noch eine Strecke, so lang wie von Stockholm bis nach Kapstadt zurückzulegen.

Setzt weiter auf die Agenda 2010: SPD-Parteichef Franz Müntefering (Foto: Foto: dpa)

Drinnen im Willy-Brandt-Haus wurde am Dienstag schon viel zuversichtlicher diskutiert. Präsidium und Fraktionsvorstand zeichneten bereits die Linien für die Gespräche mit der Union vor. Dabei, berichtet ein Teilnehmer, habe "eine große Mehrheit" zu erkennen gegeben, dass mit taktischen Spielchen Schluss sein müsse und mit dem Ziel verhandelt werden solle, die Koalition zum Erfolg zu führen.

Müntefering sah sich zunächst veranlasst, die Ausgangslage nach den Sondierungen mit der Union zu interpretieren. So bedeute die Aufteilung der Ressorts keineswegs, dass die SPD nicht gewillt sei, die ganze Bandbreite politischer Themen zu beeinflussen.

Im Zeichen der Kontinuität

Zudem sieht der Parteichef keinen Anlass, wegen der vergangenen sieben Jahre in Sack und Asche herumzulaufen. Die rot-grüne Politik soll verteidigt, eine große Koalition nicht als Neuanfang, sondern in der Kontinuität der bisherigen Reformpolitik gesehen werden.

Auch der Kanzler war anwesend. Gerhard Schröder sagte nichts zu seiner persönlichen Zukunft. Er gab zu verstehen, dass auch er den Erfolg einer großen Koalition wünsche, sozialen Fortschritt indes als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sehe, die nicht nur bei der Politik abgeladen werden könne.

Die SPD am Tag eins nach der Entscheidung über die Kanzlerschaft: Noch immer hat sich mancher Missmut nicht gelegt. Dass die SPD mit Arbeit, Gesundheit und Finanzen drei beinharte Politikfelder übernehmen soll, folgt indes konsequent der Logik Münteferings. Schon zu rot-grünen Zeiten, als die SPD in Misskredit geriet, während die Grünen ungerupft blieben, argumentierte er stets, dass viele Wähler die SPD als Hüter sozialer Gerechtigkeit betrachteten.

Was damals durch die Agenda 2010 zu schweren Konflikten führte, soll der SPD nun mit der Verantwortung für die entsprechenden Ressorts zum Vorteil gereichen. Die SPD als Betriebsrat der Regierung - natürlich mit Sitz im Aufsichtsrat.

Der Phantomschmerz ob des Verlustes der so genannten Zukunftsthemen Bildung, Forschung und Familie gilt bei Getreuen der Parteispitze als übertrieben. Von der Bildungskompetenz des Bundes bleibe nach einer Föderalismusreform nichts mehr übrig, heißt es, und auch beim Thema Familie werde der Einfluss Berlins überschätzt. Im Übrigen sei die Kritik wohlfeil, meint einer: "Hätten wir auf Arbeit und Gesundheit verzichtet, hätte es auch Kritik gegeben - nur von anderer Seite."

Auf Ausgleich bedacht

Etwas gelegt haben sich mittlerweile die wilden Personalspekulationen. Beim Verteilen der Führungsaufgaben wird Müntefering den Ausgleich auf vielen Feldern erreichen müssen.

Nicht nur junge SPDler erwarten ein Zeichen, dass ein Generationswechsel eingeleitet wird. Als sicher gilt bislang nur, dass Andrea Nahles künftig eine wichtige Rolle spielen wird. Zudem muss das Links-rechts-Schema berücksichtigt werden.

Unbestritten ist auch, dass mindestens ein Ostdeutscher an eine prominente Stelle rücken soll, obgleich die Personallage hier immer schwieriger wird: Der brandenburgische Ministerpräsidenten Matthias Platzeck hat einen Wechsel nach Berlin abgelehnt, Wolfgang Thierse erwägt dem Vernehmen nach, Bundestagsvizepräsident zu werden.

Profitieren hiervon könnte der Thüringer Theologe Christoph Matschie, welcher der Regierung schon als Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium angehörte.

© SZ vom 12.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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