Süddeutsche Zeitung

SPD:"Mein Name ist Rolf Mützenich"

Den kommissarischen SPD-Fraktionschef zieht es nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Aber der Mann des Ausgleichs wird sich daran gewöhnen müssen, im Mittelpunkt zu stehen.

Von Mike Szymanski, Berlin

Als der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich am Sonntag seinen ersten Auftritt als Krisenmanager der SPD-Fraktion zu absolvieren hatte, tat er dies auf seine ganz typische Art. Er nahm an, dass man ihn, den Bundestagsabgeordneten seit 2002, nicht kennt. Vor laufenden Kameras stellte er sich daher erst mal höflich vor: "Mein Name ist Rolf Mützenich." Er war ins Willy-Brandt-Haus geeilt, in die Parteizentrale der SPD in Berlin, nachdem wenige Stunden zuvor Andrea Nahles ihren Rückzug als Partei- und Fraktionschefin angekündigt hatte. Jetzt sollte der Eindruck zerstreut werden, die SPD sei kopflos. Also musste Mützenich vor die Presse. Auf ihn, den dienstältesten Stellvertreter in der Fraktion, lief die kommissarische Führung zu. Mützenich versicherte, die Fraktion sei in der Lage, alle Themen zu bearbeiten, die im Koalitionsvertrag verabredet wurden. Die Botschaft lautete: Die Situation ist unter Kontrolle.

Er wird sich daran gewöhnen müssen, weiter im Mittelpunkt zu stehen. Den 59-jährigen Politiker aus Köln zieht es sonst keineswegs ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Einer der häufigsten Sätze, die man als Journalist von ihm zu hören bekommt, ist: "Ich möchte mich nicht aufdrängen." Er twittert nicht und schreibt lieber Gastbeiträge, als Interviews zu geben. Ein gefragter Mann in der Fraktion ist er trotzdem - oder gerade deshalb. Unter Peter Struck als Fraktionschef wurde es zur Gewohnheit, dass Mützenich ran musste, wenn schwierige Fragen zu klären waren. Struck bellte dann: "Mütze, erklär uns das mal."

Oft ging es um Außenpolitik, das ist Mützenichs großes Thema, seitdem er in den Bundestag kam. Da kennt er sich aus. Mützenich gehört nicht zu den Vielrednern in der Fraktion, aber was er denkt, kann jeder wissen. Schon Gerhard Schröder schätzte Mützenichs respektvolle Art zu widersprechen. Er gilt als loyal. Auch wenn er hier und da als Außenpolitiker der Fraktion mal anderer Meinung ist als der SPD-Außenminister - er stellt Parteikollegen nicht bloß. Sein Verhältnis zu Andrea Nahles war nicht unbedingt innig, aber zusammen haben sie einen Weg gefunden, deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zumindest bis zum Herbst zu unterbinden. Das war lange schon sein Anliegen. In der Fraktion hatte er gezeigt, dass es sich durchaus lohnt, beharrlich für ein Anliegen einzutreten.

Die Fraktion hat sich regelrecht zerfleischt

Er gilt als genau der richtige Mann, um der Fraktion nach den Chaostagen wieder auf die Beine zu helfen. Was sich in der Fraktion zuletzt abspielte, hat viele der Parlamentarier verstört. Erst hatte Andrea Nahles die Wahl zum Fraktionsvorsitz gegen großen Widerstand auf Dienstag dieser Woche vorverlegt. Sie wollte ihre Gegner in der Fraktion zwingen, gegen sie anzutreten. Daraufhin bekam sie in einer denkwürdigen Sondersitzung teils offene Feindseligkeit vieler Abgeordneter zu spüren. Man zerfleischte sich regelrecht am Mittwoch vergangener Woche, und Nahles musste erkennen, dass es so nicht mehr weitergehen konnte.

Es wird dauern, bis die Verletzungen verheilt sind; die Wahl zum Fraktionsvorsitz wurde erst einmal abgesagt. Mit Mützenich als geschäftsführendem Chef kann sich die Fraktion die Zeit nehmen. Auf ihn kommt die große Verantwortung zu, die Abgeordneten wieder zusammenzuführen. Dabei dürfte helfen, dass er von sich aus nicht an die Spitze der Fraktion drängt. Er hat schon Karriere gemacht.

Rolf Mützenich wurde in einen Kölner Arbeiterhaushalt hineingeboren, als jüngstes von drei Kindern. Die Mutter war Hausfrau, der Vater Maschinenschlosser. Den Zugang zur großen Welt, zur Außenpolitik, musste er sich hart erarbeiten. Sein Vater war nie rausgekommen aus Köln, außer im Krieg. Mützenich arbeitete sich aus den einfachen Verhältnissen hoch, von der Hauptschule übers Gymnasium schaffte er es zum Studium. Er beschäftigte sich mit Friedens- und Konfliktforschung. Jetzt will er in der Fraktion für Frieden sorgen.

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SZ vom 05.06.2019/saul
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