Bundesregierung:Zwischen harmlos und hochexplosiv

Lesezeit: 3 min

  • Am Wochenende könnte die Zukunft der Bundesregierung klarer werden.
  • An Samstag gibt die SPD das Ergebnis der ersten Runde im Mitgliederentscheid über die Parteispitze bekannt. Am Sonntag wählt Thüringen einen neuen Landtag.
  • Scheidet Vizekanzler Scholz aus dem Rennen um den Parteivorsitz aus und verliert die CDU die Wahl in Thüringen, droht der großen Koalition neuer Ärger.

Von Nico Fried, Berlin

Der Weg war unumgänglich. Immer mehr Sozialdemokraten setzten sich für eine Mitgliederbefragung über die neue Parteispitze ein. Der Schock über den plötzlichen Abgang des letzten Vorsitzenden saß tief. Die Basisdemokratie sollte gestärkt werden, um Unzufriedenheit, Neid und Misstrauen in der SPD zu bekämpfen. Als der Sieger feststand, erklärte er, sich für den Zusammenhalt der Partei einsetzen zu wollen: Die "Kultur der Verantwortung", so Rudolf Scharping, sei zuletzt "etwas zurückgeblieben".

Der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident gewann am 13. Juni 1993 den ersten Mitgliederentscheid der SPD mit 40 Prozent der Stimmen vor Gerhard Schröder (33 Prozent) und Heidemarie Wieczorek-Zeul (26,5), der ersten Frau, die sich um den Parteivorsitz beworben hatte. Scharping wurde Nachfolger von Björn Engholm. Die Wahlbeteiligung lag bei 56 Prozent. Das bedeutete, dass von 870 000 Sozialdemokraten circa 490 000 abgestimmt hatten - das waren immer noch etwa 60 000 mehr, als die Partei heute überhaupt noch Mitglieder hat.

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An diesem Samstag gibt die SPD das Ergebnis der ersten Runde im zweiten Mitgliederentscheid ihrer Geschichte über die Parteispitze bekannt. Der wichtigste Unterschied zu 1993 liegt in der Dimension der Krise: Scharping verlor ein Jahr später die Bundestagswahl gegen Helmut Kohl mit 36,4 Prozent. In den schlechtesten Umfragen 2019 erzielt die SPD nur noch rund ein Drittel. Damals rang die Partei noch um die Macht - heute kämpft sie um ihre Existenz.

Eine eindeutige Konstellation: alle gegen Scholz

Auch wenn niemand erwartet, dass die neuen Vorsitzenden am Samstag feststehen und keine Stichwahl nötig wird, könnte sich an diesem Ergebnis schon ablesen lassen, welche politische Richtung die SPD demnächst in der großen Koalition einschlagen wird. Vor allem das Abschneiden von Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz sowie seiner Partnerin Klara Geywitz, die als einziges Duo eindeutig für den Verbleib in der Regierung stehen, könnte ein Fingerzeig sein - oder ein Wink mit dem Zaunpfahl.

Das Wochenende wird deshalb auch für CDU und CSU interessant, zumal am Sonntag in Thüringen auch die Landtagswahl ansteht. Dort kämpft Bodo Ramelow als erster Ministerpräsident der Linken um die Wiederwahl. Für die Christdemokraten und ihren Spitzenkandidaten Mike Mohring geht es um die Macht im Freistaat - für die Bundes-CDU aber auch darum, ob die Diskussionen um die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer vorerst verstummen.

Die Eskalationsstufen für die Parteien der Regierung von Kanzlerin Angela Merkel reichen von harmlos bis hochexplosiv: Schafft es Scholz mit einem respektablen Ergebnis in die Stichwahl, und eröffnet sich für Mohring die Perspektive, in Erfurt Ministerpräsident zu werden, dann kann die große Koalition in Berlin erst einmal weitermachen. Das Gegenteil droht, wenn Scholz ausscheidet und die Thüringer CDU die Wahl verliert. Dann haben der Finanzminister und seine Kollegin in Verteidigungsressort und CDU-Vorsitz gleichermaßen Hitze unter den Gesäßen.

Vor allem die Dynamik in der SPD ist schwer kalkulierbar. Wenn Scholz die Stichwahl verpasste, hätte er formal nur die Abstimmung über ein Amt verloren, das er anfangs sowieso nicht wollte. Der Vizekanzler, bis dahin viele Jahre nur Parteivize mit eher schwach temperierter Beliebtheit auf Parteitagen, hatte nach dem Rücktritt von Andrea Nahles sofort abgewinkt. Als aber die restliche Prominenz kniff und sich nur Kandidaten aus der zweiten Reihe meldeten, überlegte er es sich anders. Im Zuge der 23 Regionalkonferenzen, auf denen sich die Kandidaten der Basis präsentierten, entwickelte sich, begleitet von geheuchelten Freundschaftsbekundungen, doch eine eindeutige Konstellation: alle gegen Scholz.

Wie stark mobilisiert die SPD ihre Mitglieder noch?

Der Mitgliederentscheid verwandelte sich so in eine Vertrauensfrage über den Mann, an den die einen sich noch immer als Gerhard Schröders sprachsteifen Generalsekretär zu Zeiten der Agenda 2010 erinnern, während andere in ihm den einzig aussichtsreichen Kanzlerkandidaten sehen. Und auch wenn die SPD erst auf dem Parteitag im Dezember über die große Koalition abstimmen will: Wenn Scholz scheitert, fehlt ihm trotz Ministeramt faktisch die Legitimation, noch für die Fortsetzung der Regierungsarbeit zu werben. Und womöglich auch die Lust.

Am Samstagabend in Berlin muss sich zeigen, wie stark die SPD ihre Mitglieder noch mobilisiert. Die Abstimmung über den Parteivorsitz verlief schleppender, als es der Zuspruch bei den Regionalkonferenzen mit insgesamt etwa 20 000 Besuchern erwarten ließ. Mit an die 50 Prozent Wahlbeteiligung rechnen Insider - und das ist die optimistische Schätzung. Die Mobilisierung der Wähler in Thüringen lässt noch Schlimmeres für die SPD befürchten: Nach 12,4 Prozent 2014 könnte sie nun unter zehn Prozent fallen.

Einige der Kandidaten für den Parteivorsitz wollen am Samstag noch Wahlkampf in Thüringen machen und dann gemeinsam mit dem Zug nach Berlin fahren, Abfahrt 14.11 Uhr ab Erfurt. Dort erfahren sie dann kurz vor der Veröffentlichung um 18 Uhr das Ergebnis. 1993 rief Interimsparteichef Johannes Rau die drei Kandidaten in Mainz, Hannover und Wiesbaden an. Diesmal informiert die Interims-Vorsitzende Malu Dreyer zwei erfolgreiche und vier unterlegene Paare in der Parteizentrale.

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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