SPD-Mitgliederentscheid:Begeisterung sieht anders aus

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Applaus von den oberen Rängen in der SPD-Zentrale - aber nur für die Wahlbeteiligung, nicht für das Ergebnis. (Foto: dpa)

Die Stimmung im Willy-Brandt-Haus ist trotz des deutlichen Votums sehr verhalten. Viele denken daran, wie euphorisch die Partei vor vier Jahren ihre Erneuerung angekündigt hat - und sehen, wo die SPD jetzt steht.

Von Hannah Beitzer, Berlin

66,02 Prozent. Es ist und bleibt mucksmäuschenstill im Willy-Brandt-Haus, als SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids verkündet. Die SPD-Mitglieder haben sich - wie vom Parteivorstand empfohlen - für eine neue große Koalition entschieden. Doch feiern will das offenbar keiner.

Kurz vorher, als Nietan sich bei den Mitarbeitern der Post für ihre Arbeit bedankte, applaudierten die 120 freiwilligen Helfer auf den Balkonen des Willy-Brandt-Hauses, die über Nacht die Stimmen ausgezählt hatten. Sie klatschten, als die Wahlbeteiligung verkündet wurde: 78,3 Prozent. Doch bei der wichtigsten Zahl dann diese Stille. Sie war so auffällig, dass ein Journalist den kommissarischen Parteivorsitzenden Olaf Scholz später fragte, ob das eine Anordnung gewesen sei. Scholz ging darauf nicht ein.

Und er kommentierte das Ergebnis nur mit dürren Worten. "Wir haben jetzt Klarheit", sagt Scholz. Und: "Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht." Außerdem sei er sicher: "In der Diskussion sind wir zusammengewachsen."

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2013, nach dem damaligen Mitgliederentscheid über eine große Koalition, war die Stimmung in der Parteiführung noch ganz anders. Damals hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel die Auszählung der Stimmen noch als Demokratie-Event inszeniert. Journalisten hatten Freitagnachts noch auf dem Gelände eines alten Bahnhofs in Berlin die Ankunft des Lastwagens mit den Stimmzetteln erwartet, Fotografen und Kameramänner motivierte Auszählhelfer begleitet, Gabriel selbst am Samstagnachmittag unter "Sigmar, Sigmar"-Rufen höchstzufrieden das Ergebnis verkündet: 78 Prozent Beteiligung, 76 Prozent Zustimmung. 2013 war der Jubel groß.

Die SPD, so sagte es Gabriel damals, habe zwar in der Bundestagswahl nicht die meisten Wählerstimmen erhalten - aber sie sei "die modernste Partei Deutschlands", eine echte Mitmachpartei. Es war ja in der Tat das erste Mal, dass eine Partei ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag für eine Bundesregierung abstimmen ließ. Die Zustimmung der SPD-Basis zur großen Koalition und der Weg dorthin galt als riesiger Erfolg Gabriels. Er versprach, sie als Ausgangspunkt für eine Erneuerung der Partei zu nutzen.

Niemand glaubt Scholz, dass die SPD "zusammengewachsen" ist

Vier Jahre später sieht die Stimmung ganz anders aus. Die die SPD hat 2017 in den Bundestagswahlen ein noch schlechteres Wahlergebnis erzielt als 2013. Und wirklich niemand in der SPD-Führung würde auf die Idee kommen, sie als "modernste Partei Deutschlands" zu feiern. Stattdessen hat sie seit der Bundestagswahl ihren Vorsitzenden verloren und ist in eine anstrengende Diskussion um personelle und inhaltliche Erneuerung eingestiegen. Die Groko-Gegner um Juso-Chef Kevin Kühnert haben der Parteispitze um Andrea Nahles und Olaf Scholz ziemlich zugesetzt.

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Dass die Partei in diesem Prozess "zusammengewachsen" sei, glaubt Scholz auf der Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus niemand. Nur in einem geben sich Gegner und Befürworter einig: Das Mitgliedervotum soll nicht das Ende, sondern erst der Anfang der Erneuerung sein. Da werden doch Erinnerungen wach an 2013. Erinnerungen, die die SPD lieber vermeiden möchte. Denn diesmal soll sie ja wirklich kommen, die Erneuerung.

Scholz verschwindet im Willy-Brandt-Haus rasch wieder von der Bühne. Andrea Nahles stellt sich erst draußen in klirrender Kälte auf dem Weg zum Auto den Fragen der Journalisten. "Ich bin zufrieden", kommentiert sie das Ergebnis. Auf die Frage, ob sie mit einer Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder gerechnet habe, sagte sie: "Ich habe in den letzten Tagen mit gar nichts mehr gerechnet. Ich bin froh, dass es jetzt so gekommen ist."

Die Jusos wollen der Regierung "weiter auf die Finger schauen"

Auch hier gilt: Begeisterung klingt anders. Nahles, die nach dem Willen der Parteispitze SPD-Chefin werden soll, stehen schwierige Jahre bevor. Denn wie sie aussehen soll, die Erneuerung, nach der sich die SPD sehnt, ist unklar.

Kevin Kühnert, Juso-Chef und Stimme des Nogroko-Lagers, tritt fast zeitgleich mit Nahles vor die Kameras: "Bei mir und vielen Jusos überwiegt heute zweifelsohne die Enttäuschung", sagt er. Die Jusos akzeptierten aber das Ergebnis. "Wir sind keine schlechten Verlierer." Kühnert appelliert an seine Unterstützer, trotz der deutlichen Niederlage die SPD nicht aufzugeben. "Wir werden der Regierung auf die Finger schauen."

Apropos Regierung: Die Besetzung der Ministerien war ja zuletzt ein ebenso großes Diskussionsthema innerhalb und außerhalb der SPD wie die Entscheidung über die große Koalition selbst. Olaf Scholz kündigte am Sonntag "drei Frauen und drei Männer" aus der SPD im Kabinett an. Für Mitte der Woche sei ein Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel geplant, sagt Andrea Nahles dazu. Und wann gibt es endlich die Liste der SPD-Minister? "Bald." Dieser Zeitpunkt in nicht allzu ferner Zukunft wird dann erste Hinweise liefern, mit wem die SPD die Erneuerung angehen will. Diskussionen nicht ausgeschlossen.

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