Kanzlerpartei in der Krise:Wie die SPD eine Antwort auf Merz sucht

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Ein beschädigtes Wahlplakat der SPD. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Am Mittwoch kommt es vielleicht zum vorentscheidenden Duell im Bundestag. Der Kanzler will die Asylpläne von Friedrich Merz nach dem Fall Aschaffenburg zerlegen. Doch hat die SPD einen eigenen Plan?

Von Georg Ismar, Daniel Brössler

Raphael Brinkert ist der Kopf hinter der Kampagne, die Olaf Scholz eine zweite Kanzlerschaft sichern soll. Der PR-Experte hat nach dem Asylvorstoß von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz und dessen Andeutungen, auch Stimmen der AfD für eine mögliche Mehrheit dabei in Kauf zu nehmen, flugs einen neuen SPD-Slogan entwickelt. Der wird nun auf rotem Hintergrund überall in sozialen Medien gepostet: „Keine Zusammenarbeit mit Nazis. Seit 1863.“

Das große Mobilisierungsthema soll nun ein Angriff auf die Union werden, nachdem Merz angekündigt hat, ihm sei egal, wer in der neuen Woche im Bundestag den Anträgen für Konsequenzen aus dem Messerangriff von Aschaffenburg mit zwei Toten zustimmt.

So betont die Co-Vorsitzende Saskia Esken am Samstag bei einer Veranstaltung in Wiesbaden: „Die Brandmauer von Friedrich Merz, sie ist aus Papier gebaut und sie brennt lichterloh.“ Die größte Gefahr für die Demokratie gehe von Konservativen aus, die sich gegenüber anderen Demokraten kompromisslos zeigten „und sich dann zu den Faschisten hinwenden in der Illusion, sie zu domestizieren“, so Esken. „Lieber Friedrich Merz, kehren Sie ab von Ultimaten und Erpressungsversuchen und kehren Sie zurück auf den Pfad der Verantwortung.“ Und Olaf Scholz erinnert in fast jeder Rede daran, dass in Österreich die ÖVP nun mit der FPÖ kooperieren wolle.

Brinkert selbst hatte intern die Losung ausgegeben, dass sich bis zum letzten Januarwochenende, zwei Wochen nach Beginn der bundesweiten Plakatkampagne für die Bundestagswahl am 23. Februar, etwas deutlich in den Umfragen bewegen sollte. Um noch vor der Union zu landen. Diese Wegmarke ist nun erreicht, die SPD liegt aber je nach Umfrage neun bis 17 Prozentpunkte hinter der Union. Zum Vergleich: Einen Monat vor der Bundestagswahl 2021 hatte die SPD im Politbarometer des ZDF die Union erstmals eingeholt, vor allem dank der damals stetig wachsenden Popularität von Olaf Scholz. 65 Prozent trauten Olaf Scholz das Amt des Kanzlers damals zu. Heute liegt er in der Kanzlerpräferenz auf Platz vier hinter Merz, Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD).

Es laufen längst personelle Planspiele für die Zeit nach Scholz, in denen vor allem die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und Verteidigungsminister Boris Pistorius für höhere Weihen gehandelt werden. Landen könnte man dann als Juniorpartner in einer Koalition mit der Union und Friedrich Merz.

Wo fängt eine Zusammenarbeit mit der AfD an?

Im Kanzleramt arbeiten sie derweil intensiv an der für Mittwoch geplanten Regierungserklärung von Scholz, wissend, dass es vielleicht die letzte Chance werden kann, etwas zu drehen. Die Taktik ist klar: die Merz-Pläne juristisch auseinandernehmen, als Bruch von Europarecht angreifen – und ihm vorwerfen, an der Brandmauer zur AfD zu rütteln. Aber intern wird zugleich kritisiert, dass die SPD bisher kaum eigene Vorschläge vorlege, was an Verschärfungen möglich sei. Nur dagegen zu sein, reiche in der Lage nicht. Im Fall des Täters von Aschaffenburg, der straffällig geworden und ausreisepflichtig war, kam es zudem erneut zu Vollzugsdefiziten, beteiligt auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Und entgegen der SPD-Rhetorik wird in den Unionsanträgen die AfD teils scharf kritisiert, sie sei ein politischer Gegner, es wird auch eine Ausweitung der Beobachtung durch den Verfassungsschutz gefordert. So ist nun auch die AfD in einem Dilemma: Stimmt sie den Unionsplänen zu, bescheinigt sie sich, zugleich eine extremistische Partei zu sein. Und Merz hat nochmals klargestellt: Es werde nach der Wahl keinerlei Unionszusammenarbeit mit der AfD geben.

Doch wo fängt diese an? Scholz selbst hatte in einem am 11. August 2023 veröffentlichten Interview mit der Thüringer Allgemeinen mit Blick auf die kommunale Ebene betont, wer zum Beispiel wolle, dass eine Kita gebaut werde, der könne einen solchen Vorschlag selbst einbringen. Auf die Frage, wie es aber zu bewerten sei, wenn auch die Stimmen der AfD für die Mehrheit benötigt werden, antwortete Scholz: „Das ist doch keine Zusammenarbeit.“ Seine Sprecherin betont auf eine SZ-Anfrage, was da der Unterschied zu der Merz-Linie bei seinen Asylplänen sei: „Niemand kann etwas dafür, wenn auch die AfD einem Antrag zustimmt. Neu ist, dass in einer so grundsätzlichen Frage von dem Oppositionsführer auch Mehrheiten mithilfe der AfD billigend in Kauf genommen werden.“

Allerdings hat Merz seine Vorschläge nur an SPD, Grüne und FDP geschickt, nicht an die AfD. Es wird intern auch ausgelotet, ob da kurzfristig Kompromisse denkbar sind. Merz will unter anderem einen Notstand ausrufen, um damit massenhafte Abweisungen direkt an der Grenze und die Aushebelung des individuellen Rechts auf Asyl zu rechtfertigen. Merz betont, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, halte den Vorrang des nationalen Rechts in der Lage nicht nur für möglich, sondern für geboten. „Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, die Argumente gegen die Anwendung des nationalen Rechts sind vorgeschoben.“

In Wahrheit wollten große Teile beider Parteien den Schritt hin zu Grenzkontrollen und Zurückweisungen nicht gehen, „weil sie das Problem noch immer unterschätzen und die Augen verschließen vor der Gefährdung des inneren Friedens unseres Landes“. Er geht mit seinen Ankündigungen ein hohes Risiko ein – aber die SPD hat bisher auch keine echte eigene Antwort gefunden.

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