Süddeutsche Zeitung

SPD:Martin Schulz, Parteichef auf Abruf

Wenn der SPD irgendetwas an ihrer Existenz als Womöglich-so-gerade-noch-Volkspartei gelegen ist, dann muss sie nun alle verfügbaren Kräfte auf die Wahl 2021 richten. Wie soll das mit Martin Schulz gehen?

Kommentar von Christoph Hickmann

Manuela Schwesig will also nicht SPD-Vorsitzende werden, zumindest nicht in diesem Jahr. Vor einem halben Jahr wäre das nicht einmal eine Meldung wert gewesen, schließlich hatte die SPD da gerade Martin Schulz mit 100 Prozent zum Chef gewählt. Doch nun, im Herbst 2017, ist es durchaus eine Nachricht, dass Frau Schwesig, mittlerweile Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, ihren Verzicht auf eine Kandidatur erklärt hat. Was das heißt? Dass es ziemlich ernst steht um Martin Schulz.

Er ist, daran ändern sämtliche Treuebekenntnisse der vergangenen Tage nichts, ein Vorsitzender auf Abruf. Wenn der SPD irgendetwas an ihrer Existenz als Womöglich-so-gerade-noch-Volkspartei gelegen ist, dann muss sie nun alle verfügbaren Kräfte auf die nächste Wahl 2021 richten. Doch nicht einmal die ganz Verblendeten unter den Schulz-Getreuen glauben ernsthaft, dass er dann noch einmal antritt. Mit einem Vorsitzenden aber, der selbst nicht Kandidat werden kann oder will, hat die SPD nun dank Sigmar Gabriel genügend schlechte Erfahrungen gemacht.

Warum also nicht gleich der Wechsel? Vor allem drei Argumente hört man dazu aus der SPD. Erstens habe der Martin so tapfer gekämpft, dass man ihn jetzt nicht absägen könne. Zweitens stehe "die Basis" voll hinter ihm. Drittens brauche es ja auch jemanden, der den Übergang gestalte.

Schulz hat tapfer gekämpft - aber was hat das mit 2021 zu tun?

Zum ersten Argument ist zu sagen: Stimmt, Schulz hat nicht nur tapfer, sondern bravourös gekämpft - aber was hat das mit 2021 zu tun? Beim zweiten Einwand sollte man aufhorchen - wie immer, wenn in der SPD von "der Basis" die Rede ist. Was die dachte, fühlte, sagte, war der Spitze in den vergangenen Jahren ziemlich egal. Insofern überrascht es nicht, dass nun vor allem diejenigen das Basis-Argument im Munde führen, die ihre Stunde noch nicht als gekommen sehen. Sie haben genau so lang ein Interesse am Vorsitzenden Schulz, bis sie selbst so weit sind.

Damit zum dritten Argument, Stichwort Übergang. Hier lohnt sich ein Rückblick auf den Wahlkampf, aus dem, Tapferkeit hin oder her, nicht eine einzige inhaltliche Idee erinnerlich ist, die Schulz eigenständig entwickelt und dann konsequent vorangetrieben hätte. Wenn er das aber in den entscheidenden Monaten dieses Jahres nicht vermochte - was spricht dann dafür, dass sich das demnächst ändert?

Genau dies ist auch das eigentlich Erschreckende an jener derzeit viel diskutierten Spiegel-Reportage, für die Schulz während des Wahlkampfs mehrere Monate lang Einblick ins Innerste seiner Kampagne und teilweise seines Herzens gewährt hat.

Es sei einmal dahingestellt, ob Schulz damit, wie manche meinen, ein großes Werk getan hat, weil hier ein Politiker als Mensch sichtbar werde - oder ob er eine grenzenlose Dummheit begangen hat. Übrig bleibt am Ende, dass es auch hier, über 18 Seiten und sechs Monate hinweg, vor allem um die Anmutung geht, um Umfragezahlen und darum, ob Schulz am Rednerpult das Sakko ausziehen sollte. Das ist auch für einen Übergang zu wenig.

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SZ vom 04.10.2017/lkr
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