Süddeutsche Zeitung

SPD:Martin Schulz' Autorität bekommt sichtbar Risse

  • Martin Schulz wollte seinen bisherigen Generalsekretär Hubertus Heil zum Parlamentarischen Geschäftsführer machen und scheiterte.
  • Heil soll nun vorerst Generalsekretär bleiben. Beim Parteitag im Dezember will er allerdings nicht mehr für das Amt kandidieren.
  • Nach dieser parteiinternen Niederlage muss Schulz nun selbst um seine Macht fürchten.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Zwei Tage nach der großen Niederlage muss sich Martin Schulz erst noch orientieren, und zwar auch rein räumlich. Am Dienstagmittag kommt Schulz aus dem Sitzungssaal 1302 des Jakob-Kaiser-Hauses, das zum weitläufigen Bundestags-Komplex gehört. Dann lässt er, der Bundestags-Neuling, sich von einer Fraktionskollegin erklären, wo es hier zu den Toiletten geht - und verschwindet in der Damentoilette. Aus der kommt er Sekunden später wieder herausgeschossen, murmelt etwas von "Damenklo" und erwischt diesmal die richtige Tür. Alles nicht so einfach gerade.

Noch ist die SPD damit beschäftigt, das Ausmaß ihrer Niederlage zu realisieren und sich fürs Erste zu sortieren. Der gescheiterte Spitzenkandidat wiederum hat alle Hände voll damit zu tun, sich an der Spitze zu halten und zugleich um sich herum ein Personaltableau zu basteln, das trotzdem den Willen zum Neuanfang symbolisiert, irgendwie. Doch spätestens am Dienstagmittag ist klar, dass dieser Prozess nicht so glatt verläuft, wie Schulz sich das offenbar vorgestellt hat. Man könnte auch sagen: Die Autorität des Parteivorsitzenden bekommt sichtbar Risse.

Kurze Rückblende: Am Montag tagt der geschäftsführende Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion. Hier stellt Schulz, so schildern es mehrere Teilnehmer, sein Personaltableau für die Spitze der Fraktion vor - die darüber allerdings selbständig per Wahl entscheidet. Demnach will er die bisherige Arbeitsministerin Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzende und SPD-Generalsekretär Hubertus Heil als Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer, kurz PGF. Dieser Posten ist in der Opposition besonders bedeutsam, weil es einer von wenigen Posten mit Macht und operativen Möglichkeiten ist. Heil, der im laufenden Wahlkampf als Generalsekretär eingesprungen ist, soll also belohnt werden. Das zumindest ist der Stand, als der konservative Seeheimer Kreis am Montagabend zu seinem traditionellen Gartenfest lädt.

Doch die Seeheimer, eine der Strömungen in der SPD-Fraktion, laufen Sturm gegen Schulz' Tableau. Am Rand des Fests wird viel geredet: So schnell dürfe man die Posten nicht verteilen, heißt es immer wieder. Doch natürlich geht es auch darum, dass die Seeheimer ebenfalls berücksichtigt werden wollen. Nahles gilt als Parteilinke, Heil wird den sogenannten Netzwerkern zugerechnet. Die Seeheimer wollen nicht leer ausgehen, verschiedene Namen kursieren als ihre PGF-Kandidaten. Einer davon ist der Haushaltsexperte Carsten Schneider, der zwar erst 41 Jahre alt ist, aber seit 1998 im Bundestag sitzt. Seeheimer-Chef Johannes Kahrs erinnert in seiner Rede an das Zitat, wonach die SPD ein Vogel mit zwei Flügeln sei. "Wir werden alle auf die Tarierung achten, damit der Vogel fliegt." Es klingt wie eine Drohung: Entweder wir bekommen etwas vom Kuchen ab, oder wir lassen den Vogel abstürzen.

Am Dienstagmorgen wird dann rasch klar: Irgendwas stimmt nicht bei der SPD. Die Sitzung des geschäftsführenden Fraktionsvorstands wird erst mal verschoben. "Aufgrund von Terminen", heißt es zur Begründung. Tatsächlich werden noch dringliche Gespräche geführt. Als die Sitzung dann endlich läuft, wird in Raum 1302 die brisante Nachricht verkündet: Schneider wird es. Heil ist aus dem Rennen.

Ein bedeutsames Signal für Schulz' Autoritätsverlust

Das weckt spontan Erinnerungen an das Jahr 2005. Damals wollte der Parteivorsitzende Franz Müntefering seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel als Generalsekretär durchsetzen - doch die Parteilinke Andrea Nahles erhob ebenfalls Anspruch auf den Posten und setzte sich in der entscheidenden Abstimmung durch. Müntefering trat zurück, weil er seine Autorität als nicht mehr gegeben ansah. Der Fall Schulz liegt nun etwas anders, schließlich geht es hier um die Fraktion, die formal frei über die Besetzung ihrer Spitze entscheidet. Und doch ist es ein bedeutsames Signal, dass Schulz sich hier nicht durchsetzte.

Wie konnte es dazu kommen? Womit haben die Seeheimer gedroht? Hatten sie Verbündete? Die Empörung an der Fraktionsspitze ist jedenfalls groß am Dienstag. Es ist nicht unbedingt so, dass alle Abgeordneten Hubertus Heil lieben würden - aber viele haben gesehen, welchen Einsatz er im Wahlkampf gezeigt hat, und sind aufgebracht, dass Heil, wie schon häufiger in seiner Karriere, nun Platz machen soll. In der Sitzung des geschäftsführenden Fraktionsvorstands sind es die Abgeordneten Eva Högl, Ute Vogt, Karl Lauterbach und Axel Schäfer, die ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Tenor ihrer Reden: So könne man nicht mit Menschen umgehen. Heil selbst hält eine Rede, die hinterher allenthalben als "groß" gelobt wird. Sein Tenor: Die Partei sei wichtiger als alle hier im Raum.

Heil soll nun vorerst Generalsekretär bleiben - man brauche ihn halt an der Parteispitze, so versuchen Schulz-Getreue die Personalie zu verkaufen. Doch schon am Dienstagnachmittag kündigt Heil an, beim Parteitag im Dezember nicht mehr für das Amt zu kandidieren. Er organisiert nur noch den Übergang. Hätte er kandidiert, wäre es wohl zu einem Aufstand der Frauen gekommen - schließlich wären drei Männer auf den vier wichtigsten Posten (Parteichef, Generalsekretär, Fraktionschefin, PGF) etwas viel gewesen angesichts der Tatsache, dass man nun allenthalben hört, die SPD müsse weiblicher werden.

Doch kann Schulz sich wenigstens in der Partei seiner Autorität sicher sein? Auch da gibt es trotz aller Beteuerungen der vergangenen Tage Anlässe zu zweifeln - etwa eine Begebenheit, die aus der engsten Parteiführung kolportiert wird. Als die am Sonntagnachmittag zusammensaß und über die Lage beriet, fragte SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan irgendwann in die Runde: Hier seien sich doch alle einig, dass man mit Martin weitermache? Darauf reagierten Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und Hessens SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel eher reserviert. Während Schäfer-Gümbel sinngemäß die Frage aufwarf, ob angesichts des sich abzeichnenden Wahlergebnisses nicht eigentlich die gesamte Runde über Konsequenzen nachdenken müsse, murmelte Scholz etwas vor sich hin. Von mehreren Teilnehmern wurde er sinngemäß dahingehend verstanden, dass eine solche Festlegung nicht in alle Ewigkeit gelte.

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SZ vom 27.09.2017/bemo
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