SPD:Manöverkritik und Wendemanöver

In den Bewerberboom hinein rügt Ministerpräsident Weil das Prozedere der Chefsuche. Und Vizekanzler Scholz erklärt, warum er die Lage neu bewertet.

Von Stefan Braun und Antonie Rietzschel, Berlin/Leipzig

Niedersachsens Ministerpräsident besucht Norderney

Am Strand: Stephan Weil kommentiert die Kandidatensuche der SPD. Er selbst hält wenig davon, in Richtung Berlin loszufahren.

(Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

Der Redebedarf ist groß bei den Sozialdemokraten in diesen Tagen. Seit Freitag gibt es jede Menge neue Bewerber und potenzielle Bewerber für den Parteivorsitz. Letzteres trifft bisher exklusiv auf den Bundesfinanzminister zu. Olaf Scholz verteidigte am Sonntag seine Volte in dieser Frage. Scholz sagte in einem Interview mit der Bild am Sonntag, er bewerte die Lage neu: "Aus Verantwortung für die SPD habe ich damals gesagt, dass ich den Parteivorsitz nicht anstrebe. Nun sind einige Wochen ins Land gegangen. Viele von denen, die ich gerne an der Spitze gesehen hätte, kandidieren nicht. Das kann ich nicht ignorieren."

Scholz betonte, "natürlich" sei die SPD noch zu retten. "In unserer Partei kommen die Theaterdirektorin und der Mann aus der Großküche, der Arbeiter aus der Fabrik und die App-Entwicklerin zusammen." Sie alle verbinde das Kernanliegen der Sozialdemokraten, "dass jeder und jede in unserem Land Respekt verdient und ein ordentliches Leben führen kann." Scholz verwahrte sich gegen den Vorwurf, die bisherigen Bewerber seien nur Kandidaten zweiter oder dritter Klasse. Unter ihnen seien viele, die er sehr schätze: "Und da wird auch über einige ungerecht geurteilt." Zugleich schwieg er zur Frage, welche Frau mit ihm zusammen kandidieren werde. Über alles, was jetzt zu tun sei, spreche er "erst mit Freundinnen und Freunden in der Partei - und dann öffentlich". Beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung fügte er noch hinzu, er wolle mit derjenigen die Sache sorgfältig durchsprechen, bevor man an die Öffentlichkeit gehe. "Diese Ernsthaftigkeit bitte ich mir zu ermöglichen", sagte Scholz.

Mitten hinein in seine Bemühungen platzte am Wochenende neuerliche Kritik am gesamten Verfahren. Sie kam vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil. Der Sozialdemokrat, der immer wieder als Kandidat gehandelt worden war und mehrfach abgelehnt hatte, beklagt in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk, dass das Prozedere von den vielen Absagen überlagert werde. "Am Anfang gab es ja fast nur Aussagen, wer nicht zur Verfügung steht, aber nicht umgekehrt", kritisierte Weil. Das belaste das Verfahren.

"Optimal ist das ganz bestimmt nicht, was wir gerade erleben", sagt Weil

Auch die lange Dauer bis zu einer Entscheidung kritisierte der Niedersachse: "Optimal ist das ganz bestimmt nicht, was wir gerade erleben." Weil betonte in dem Interview noch einmal, dass er keine Ambitionen habe, nach Berlin zu wechseln. Ausschließen wolle er einen solchen Schritt aber auch nicht; es gäbe zu viele Politiker, die eine Festlegung später bereut hätten. Ob das als Spitze gegen Scholz gemeint war, ließ er offen. Dessen Kandidatur kommentierte Weil mit den Worten: "Ich möchte keine Haltungsnoten für einzelne Parteifreunde abgeben; das muss am Ende des Tages jeder mit sich selbst ausmachen."

Es ist nicht lange her, da lehnte auch Boris Pistorius eine Doppelspitze in der SPD ab: "Nicht gerade jetzt", sagte er noch Ende Juni. Jetzt, fast zwei Monate später steht er im Tagungsraum eines Leipziger Hotels. Neben ihm Petra Köpping, in Sachsen Ministerin für Gleichstellung und Integration. Gemeinsam wollen sie ihre Kandidatur für den SPD-Vorsitz verkünden. Das erste Wort haben jedoch weder Pistorius noch Köpping. Das spricht Martin Dulig, Vorsitzender und Spitzenkandidat der SPD in Sachsen. "Wir wollen der SPD wieder Zuversicht geben", sagt Dulig. Das gehe nur mit Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen. Dulig schaut zu Köpping und Pistorius.

Zwei Telefonate und ein Treffen soll es gegeben haben, bevor die beiden zueinander fanden. Ausschlaggebend war offenbar ihre Erfahrung in der Landespolitik. Auch die Verwurzlung in der Kommunalpolitik sei eine wichtige Gemeinsamkeit, sagt Pistorius. Er selbst war früher Oberbürgermeister in Osnabrück, Köpping Bürgermeisterin in Großpösna, einer Kleinstadt im Südosten Leipzigs, und später Landrätin. Pistorius ist heute versiert in der Innenpolitik, lieferte im Bundestagswahlkampf 2017 die Eckpunkte für Forderungen im Bereich innere Sicherheit. Köppings Vorteil ist ihre Herkunft: "Ich möchte eine starke Stimme aus dem Osten sein", sagt sie.

In ihrer Rolle als Ministerin für Integration beschäftigt sie sich seit Jahren mit den Brüchen, die die Nachwendezeit für die Menschen in Ostdeutschland mit sich brachten. Mit Massenarbeitslosigkeit, Abwanderung, verloren gegangenen Hoffnungen. Seit Jahren besucht sie Menschen, die erleben mussten, wie die Treuhand ihre Betriebe abwickelte oder an Westdeutsche verkauft wurden. Sie hat eine Streitschrift für den Osten geschrieben: "Integriert doch erst mal uns".

In der Bundes-SPD wurde sie deswegen zuweilen als "die mit den Ossis" belächelt. Doch das war bevor die AfD zur Bundestagswahl im Osten drei Direktmandate holte, bevor rechtsextreme Ausschreitungen in Chemnitz den Osten wieder in Verruf brachten - und die Wahlergebnisse zur Europawahl Deutschland spalteten. Köpping gilt heute als versierte Analystin ostdeutscher Lebensverhältnisse. Dass ihre Partei Dulig zum eigenen Ostbeauftragten ernannte und im Frühjahr einen eigenen Ost-Konvent abhielt, ist auch auf ihr Engagement zurückzuführen.

Auf ihren Reisen durch den Osten traf sie auch immer wieder Menschen, die weg wollten. Weg von Sachsen und dem Hass. In solchen Momenten wurde ihr Ton streng. Sie fragte, was denn werden solle, wenn alle gehen. Jeder werde gebraucht. Während der Pressekonferenz in Leipzig betont sie deswegen, dass sie auch als Bundesvorsitzende ihrer Heimat treu bleiben wolle: "Ich will meine Arbeit in Sachsen fortführen."

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