SPD-Linke zur Parteikrise:"Manche sehnen sich nach Opposition"

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Mit dem Wechsel an der Spitze steigen die Chancen der Sozialdemokraten auf einen Sieg bei der Bundestagswahl 2009, so der Parteilinke Michael Müller. Er warnt vor neuen Flügelkämpfen.

Thorsten Denkler, Berlin

Michael Müller ist Mitglied der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion und Staatssekretär im Bundesumweltministerium.

Michael Müller fordert ein Ende der Flügelkämpfe in der SPD. (Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Herr Müller, Sie gehören zum Kreis der Parlamentarischen Linken in der SPD. Dem wird gerne vorgeworfen, zum einen Schröder gestürzt und zum anderen wesentlich zur Destabilisierung der SPD beigetragen zu haben. Ist der Rücktritt von Kurt Beck das Ergebnis linker Parlamentsarbeit?

Michael Müller: Das ist Unsinn. Die Situation heute kann man nicht allein mit Rechts-links-Debatten erklären. Ich war von 1998 bis 2005 Sprecher der Parlamentarischen Linken. In dieser Zeit haben wir in schwierigsten Situationen die Regierung nicht nur gestützt sondern ihr auch wichtige Impulse gegeben.

sueddeutsche.de: Woran fehlt es der SPD dann? Es kann ja nicht nur eine Personalfrage sein.

Müller: Es ist in der Tat ein Problem, alles zu personalisieren. Ich sehe zwei Hauptgründe. Der erste ist: Innerhalb der SPD fehlt eine Statik zwischen dem Pragmatismus und der konkreten Vision. In der Vergangenheit hatten wir eine innere Stabilität durch das Wechselspiel zwischen denen, die auf Helmut Schmidt orientiert waren und denen, die auf Willy Brandt orientiert waren. Beide Seiten wussten gegenseitig, dass sie aufeinander angewiesen sind. Und beide haben ihre jeweilige Kompetenz im Interesse des Ganzen eingebracht. Das fehlt heute.

sueddeutsche.de: Also doch zu viele Flügel-Debatten?

Müller: Die SPD wird nie eine monolithische Partei sein, das wäre auch schrecklich. Aber man muss eine gesunde Mischung zwischen den unterschiedlichen Flügeln und ihren Kompetenzen hinbekommen, die von gemeinsamer Verantwortung geprägt ist.

sueddeutsche.de: Was ist Ihr zweiter Punkt?

Müller: Der lautet: Die SPD ist eine Partei, die vom Gedanken der Gestaltung ausgeht. Der Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. In der Vergangenheit war das vor allem auf der Basis von hohem Wachstum, des Nationalstaates alter Prägung und sozialem Kooperatismus möglich. Alle drei Grundelemente sind heute in der Form nicht mehr vorhanden.

sueddeutsche.de: Die sozialen Probleme sind aber geblieben.

Müller: Richtig. Wir leben heute in einem Widerspruch. Die soziale Frage stellt sich mit der Globalisierung heute in aller Härte wieder. Aber die Partei, die historisch immer eins war mit der sozialen Frage, steckt in der Krise. Und zwar deshalb, weil sie die Antworten, die sie auf die neuen sozialen Fragen geben müsste, bisher nur unzureichend gibt.

sueddeutsche.de: Nicht wenige Linke in ihrer Partei sagen, die großen sozialen Probleme in Deutschland seien nicht unwesentlich von der Agenda 2010 verursacht worden und darum müsse sie weg.

Müller: Das halte ich ehrlich gesagt für quatsch. Ich will nicht verhehlen, dass es auch Fehler in der Agenda 2010 gibt. Aber mit der Illusion zu kommen, wir streichen Hartz IV und sofort ist das Armutsproblem weg, ist aus meiner Sicht eine dumme Ausrede, die man nur aus einer ideologischen Verblendung heraus machen kann. Unser Kernproblem ist, dass Politik zu viel reagiert, statt zu agieren. Deshalb hat niemand das Gefühl, dass es allen besser gehen wird. Diese Politik hat dazu geführt, dass in der Gesellschaft die Brandmauern eingerissen wurden.

Lesen Sie weiter, welche Fehler Beck gemacht hat und warum die Agenda-Debatte völlig überbewertet wird ...

sueddeutsche.de: Warum hat Beck es nicht geschafft, solche Prozesse in Gang zu setzen?

Vom neuen Parteichef Franz Müntefering fordert der SPD-Linke Michael Müller neue Zukunftsideen. (Foto: Foto: AP)

Müller: Ich weiß nicht, was er alles versucht hat. Ich kann nur sagen, dass wir auf dem Parteitag in Hamburg mit großer Einigkeit unser Grundsatzprogramm verabschiedet haben. Das war Becks Verdienst und hätte die Grundlage sein müssen für unsere weitere Politik. Aber weiß heißt jetzt schon hätte?

sueddeutsche.de: Nun, Beck hat es offenbar nicht geschafft, die Reihen geschlossen zu halten.

Müller: Er hat es zumindest nicht vermocht, die Partei viel stärker auf die Hamburger Beschlüsse zu verpflichten. Da spielt auch die große Unklarheit darüber hinein, welche Perspektive die Partei in Zukunft hat. Viele haben sich mit der großen Koalition abgefunden. Andere haben eine Sehnsucht nach der Opposition.

sueddeutsche.de: Und Sie?

Müller: Ich habe ein großes Interesse, 2009 zu einer rot-grünen Mehrheit zu kommen, was ich nach wie vor für machbar halte.

sueddeutsche.de: Als Parteichef wird Franz Müntefering zurückkehren. Er war es schon mal und trat zurück, weil er seinen Vorschlag für das Amt des Generalsekretärs nicht gegen die Linke durchsetzen konnte. Das wird man ihm nicht noch einmal zumuten wollen. Wird Müntefering mächtiger sein als je zuvor?

Müller: Münteferings damaliger Kandidat Kajo Wasserhövel kommt aus dem linken Spektrum der Partei. Und auch Franz Müntefering hat mal eine Zeitlang in der Parlamentarischen Linken mitgearbeitet. Das Rechts-links-Schema greift also auch hier nicht ohne weiteres. Als Parteivorsitzender kann man sich sowieso nicht auf dem einen oder anderen Flügel positionieren.

sueddeutsche.de: Was also muss Müntefering leisten, um sich in der Partei unangreifbar zu machen?

Müller: Es muss ihm gelingen, eine konkrete politische Konzeption zu entwickeln, wie Deutschland 2015 oder 2020 aussehen soll. Er muss wegkommen von der Versumpfung im Alltag hin zu einer Politik, die eine Perspektive offenbart, die elektrisiert, für die es sich lohnt zu kämpfen.

sueddeutsche.de: Mit der Berufung von Franz Müntefering zum Parteichef und Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten führen zwei Architekten der Agenda 2010 die SPD in die Bundestagswahl. Das könnte auch ein Zeichen sein, eher die Agenda zu bewahren, statt noch vorne zu schauen.

Müller: Wenn man sich die Lage oberflächlich anschaut, dann sieht das vielleicht so aus. Ich aber halte diese ganze Agenda-Diskussion für eine Phantomdebatte. Die Agenda war wichtig, weil unser Land spätestens nach der Krise der Internetwirtschaft am Abgrund stand. Da hat Schröder die Notbremsen gezogen.

Ob er einige Bremsen auch hätte ungezogen lassen können, darüber kann man trefflich streiten. Aber der Punkt ist: Die Agenda war im Kern die Reaktion auf versäumte Reformen in den neunziger Jahren. Wenn ich etwas von Müntefering und Steinmeier erwarte, dann, dass es zu solchen Versäumnissen nicht noch einmal kommen darf.

sueddeutsche.de: Was gibt es denn zu versäumen?

Müller: Wir stehen am Beginn einer Epoche, die geprägt sein wird von drei großen Krisen: dem Zusammenbruch des weltwirtschaftlichen Finanzsystems, der tiefgehenden Energie- und Rohstoffkrise und drittens dem Klimawandel mit seinen ökologischen Herausforderungen. Angesichts dieser Herausforderungen kann ich nicht ständig nur über die Vergangenheit reden.

sueddeutsche.de: Die Linkspartei lebt von der Vergangenheitsdebatte sehr gut. In Umfragen liegt sie jetzt im Saarland und in Thüringen vor der SPD. Können Sie da die Agenda-Debatte einfach ignorieren?

Müller: Ich habe große Zweifel, ob die Anhängerschaft der Linkspartei wirklich so groß ist. Die haben ihr Potential bald ausgeschöpft. Aber sie leben davon, dass sie mit ihrem radikalverbalen Anspruch, zurück in die siebziger Jahre, scheinbar für einen Teil der Bevölkerung attraktiv sind. Ich kann diesen Wählern aber nicht sagen, was seid ihr alles für Idioten, wie kann man nur diesen Salonsozialisten wie Gysi und Lafontaine auf den Leim gehen.

sueddeutsche.de: Was dann?

Müller: Wir haben nur eine Chance, Mehrheiten zu bekommen, wenn wir eigene Zukunftsideen entwickeln, die überzeugend und glaubwürdig sind.

sueddeutsche.de: Und vor allem in der SPD mehrheitsfähig sein. Das dürfte noch das größte Problem werden.

Müller: Das sehe ich so nicht. Auch die SPD ist mehrheitlich immer noch von dem Gedanken beseelt, alle Menschen sollen besser leben. Und bei allen Unterschieden, die es in der Frage des Weges gibt: Die weit überwiegende Zahl der Mitglieder ist in der SPD, weil sie etwas für die Gesellschaft tun will. Solche Gemeinsamkeiten müssen wir stärker herausarbeiten.

sueddeutsche.de: Zwei kurze Fragen zum Schluss: Sind die Chancen der SPD auf einen Wahlsieg mit dem Personalwechsel gestiegen oder gesunken?

Müller: Gestiegen.

sueddeutsche.de: Wird mit dem Personalwechsel die von Steinmeier geforderte große Geschlossenheit einhergehen?

Müller: Das liegt in erster Linie an den handelnden Personen in der Parteispitze. Wenn wir einen integrativen Kurs verfolgen und auch neue Ideen zulassen, dann haben wir die Chance dazu.

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