SPD:"Leise war noch nie seine Art"

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Mit einem Knall beendet Johannes Kahrs seine Karriere. Weil er nicht Wehrbeauftragter werden durfte?

Von Peter Burghardt, Mike Szymanski und Jörg Häntzschel, Hamburg/Berlin

Wenn es in Hamburg um Politik geht, um die SPD und Berlin, dann fiel früher oder später der Name Kahrs. Johannes Kahrs, 56, seit Dienstag ehemaliger Politiker. Fast 22 Jahre lang saß der konservative Sozialdemokrat für den Wahlkreis Hamburg-Mitte im Bundestag, lange als Sprecher der Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss. Bis Dienstag war der umstrittene Strippenzieher Kahrs neben Bürgermeister Peter Tschentscher und Finanzminister Olaf Scholz der mächtigste Hamburger Genosse - und nun: Schluss, von jetzt auf gleich? Weil er nicht Wehrbeauftragter des Bundestages wird?

Sein Rücktritt von allen politischen Ämtern ist auch für die Hansestadt verblüffend. Andererseits: Er könne Kahrs' Enttäuschung verstehen, sagt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Hansjörg Schmidt, der Kahrs seit zwei Jahrzehnten kennt. Und ein solcher Abtritt sei typisch, "leise war noch nie seine Art gewesen." Für Hamburg sei der Rückzug ein riesiger Verlust. Die SPD-Landesvorsitzende Melanie Leonhard nennt sein Engagement herausragend und beispielhaft, euphorisch klingen ihre Sätze trotzdem nicht. Der laute Kahrs hatte auch reichlich Gegner. Und natürlich fragt sich der eine oder andere, ob ein verpasster Posten der alleinige Grund für den Abschied des Netzwerkers ist.

Rechte Kreise schürten das Gerücht, Kahrs habe sein juristisches Staatsexamen schreiben lassen, er weist den Vorwurf zurück. Auch im Zuge einer möglichen Steueraffäre einer Hamburger Bank taucht er auf, bewiesen ist nichts. Kahrs jedenfalls geht, mit einem Knall. In der Fraktionssitzung hörte er nach seiner Ankündigung noch 20 Minuten lang den Rednern zu. Dann verschwand er, ehe die Debatte beendet war und die SPD eine Kandidatin für das Amt der Wehrbeauftragten hatte: Eva Högl, die Innenpolitikerin, die nur am Rande mit der Bundeswehr befasst war.

Seit fast 22 Jahren im Bundestag: Johannes Kahrs bei der Debatte zum Bundeshaushalt 2020. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Dies dürfte ihm am meisten weh getan haben. Er akzeptiere den Vorschlag Högl, schreibt er, "und wünsche ihr viel Glück. Nun suche ich außerhalb der Politik einen Neuanfang." Er hatte als Abgeordneter immer auch ein Stück für die Bundeswehr gelebt, fotografierte sich mit Militärrucksack, wenn er von Hamburg nach Berlin fuhr, und beim Joggen in der Sportjacke des Heeres. Bei einem Treffen vor einigen Wochen in Berlin erzählte der Oberst der Reserve einen Witz: "Wer ist der größte Feind des Panzergrenadiers? Der Rasenmäher! Der nimmt ihm Deckung und die Nahrung." Jetzt scheint der Rasenmäher über seine Laufbahn hinweggegangen zu sein.

Widerstände gegen Kahrs gab es nicht nur in der SPD, auch in der Union hat er Feinde

Kahrs wollte unbedingt Wehrbeauftragter werden, er forderte Amtsinhaber Hans-Peter Bartels heraus, einen Parteikollegen. Fraktionschef Rolf Mützenich hatte den Konflikt zu lösen. Er kann mit Bartels wenig anfangen. Mützenich will abrüsten, Bartels als Anwalt der Soldaten ausrüsten. Bartels soll es nicht wieder werden, das steht an der Spitze der Fraktion früh fest. Aber kann es dann Kahrs werden?

Widerstände gibt es nicht nur in den eigenen Reihen, auch beim Koalitionspartner Union hat er Feinde. Als der Bundestag den Weg frei machte für die Ehe für alle, für die Kahrs gekämpft hatte, rechnete er mit Kanzlerin Angela Merkel ab. Erbärmlich und peinlich sei es gewesen, wie sie und die Union die Gleichstellung blockiert hätten: "Danke für gar nichts."

Kahrs war auch Chef der Seeheimer, des konservativen SPD-Flügels. Dessen skurrile "Spargelfahrt" auf dem Wannsee fällt diesmal aus, aber wegen Corona. Prominente Rücktritte, wie sie seine Partei in jüngerer Zeit oft erlebt hatte, waren für Kahrs kein Grund, sich nicht zu amüsieren.

Weniger bekannt ist seine zentrale Rolle in der Kulturpolitik. Gemessen an Macht und Einfluss kommt er gleich hinter Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Als Kulturberichterstatter der SPD im Haushaltsausschuss des Bundestags halfen Kahrs und sein früheres CDU-Pendant Rüdiger Kruse, ebenfalls aus Hamburg, Grütters oft mit Geld für große Projekte aus. Etwa beim geplanten Museum der Moderne in Berlin, das nur möglich ist dank der 450 Millionen Euro, die der Haushaltsausschuss mit Kahrs und Kruse locker machte. Kahrs' größte Stunden waren die jährlichen "Bereinigungsgespräche", die Kultur gehörte dabei auch dank ihm in den vergangenen Jahren stets zu den Gewinnern. 2019 vergaben die Haushälter 566 Millionen Euro für 81 Projekte bis 2029. Doch wofür das Geld ausgegeben wird, das bestimmten die Kulturberichterstatter der Regierungsparteien, also bisher Kahrs und seine heutige CDU-Kollegin Patricia Lips.

Abgeordnete und Chefs von Opernhäusern oder Kleinstadtmuseen antichambrierten das ganze Jahr über bei den beiden. Nach welchen Kriterien schließlich ausgewählt wurde, ist völlig intransparent. Oft fielen auf den Listen auch obskure Liebhaberprojekte auf wie der Nachbau des Dreimasters Seute Deern in Bremerhaven, für den der Bund 23 Millionen Euro bereitstellt. Immer wieder musste Kahrs auch erklären, warum Hamburg überdurchschnittlich viel bekommt und warum so viel Geld in historische Gebäude fließt - gerade noch 5,8 Millionen Euro für Hamburger Denkmäler. Immer wieder stand auch der Verdacht im Raum, er nütze seine Position aus, um Gefälligkeiten zu verteilen und seinen Einfluss zu mehren.

Als Wehrbeauftragter sei Kahrs nicht durchzusetzen gewesen, hört man in der SPD-Fraktion. Vor der Fraktionssitzung unternimmt Mützenich noch den Versuch, Kahrs vom kompletten Rückzug abzuhalten. Aber da ist es zu spät. Kahrs hat schon alles vorbereitet - seinen Twitter-Account gibt es gleich nicht mehr, eine Pressemitteilung ist zum Abschicken bereit. Johannes Kahrs ist weg - voll und ganz.

© SZ vom 07.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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