Süddeutsche Zeitung

SPD nach den Landtagswahlen:Groko - ja oder nein?

  • Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg bewegt die SPD die Frage, wie sie es künftig mit der großen Koalition halten soll.
  • Am Sonntag - mit Schließung der Wahllokale - endete auch die Bewerbungsfrist für die Kandidatenteams und Einzelbewerber für die künftige Parteispitze.
  • Natürlich wird längst geschaut, wer gute Chancen hat und welche Auswirkungen das Votum der Mitglieder am Ende auf die Partei und die Regierung haben wird.

Von Mike Szymanski

Es ist auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus gerade ein bisschen wie in der Filmszene mit dem Engelchen und dem Teufelchen, die den Unentschlossenen mit ihrer Einflüsterei fast in den Wahnsinn treiben. In der Mitte steht Manuela Schwesig, eine er drei kommissarischen SPD-Chefs. Es geht um eine große Frage: Wie hältst du es mit der großen Koalition?

Am Sonntag wurde gewählt, in Sachsen und Brandenburg. Es ist mal wieder Zeit, ein Zwischenfazit zu ziehen. Zur Rechten steht ein Wahlgewinner: Dietmar Woidke, der Spitzenkandidat aus Brandenburg. Aufrecht, den Rücken durchgedrückt. Der 57-Jährige hat es entgegen vielen Umfragen in den vergangenen Wochen geschafft, die AfD bei sich im Land abzuhängen und mit der SPD stärkste Kraft zu bleiben. Er findet, sein Erfolg sei auch "ein klares Votum" für die große Koalition im Bund. Sie habe gute Arbeit geleistet und geholfen, Vertrauen in die SPD wieder aufzubauen.

Der nachdenkliche Dulig, der selbstsichere Woidke - zwei Gesichter derselben Partei

Zur Linken steht Martin Dulig, 45, der SPD-Spitzenkandidat aus Sachsen. Seine SPD kommt nach diesem Sonntag nicht einmal mehr auf acht Prozent. Er schaut manchmal verträumt an die Decke des Willy-Brandt-Hauses. Mit der Groko hat er nicht so gute Erfahrungen gemacht. Er hatte gehofft, Union und SPD würden noch vor dem Wahltag eine Entscheidung zur Grundrente treffen. Aber die gab es nicht. Nun sei das Misstrauen in den Regionen groß. Und Woidkes Plädoyer für die Groko mag er sich in dieser Deutlichkeit offenkundig nicht anschließen. Als würde ein Bekenntnis in dieser Frage "die SPD retten", wieder "auf über 30 Prozent" bringen, sagt er. "Das ist doch naiv." Ein paar Minuten später, neben der Bühne, steht er immer noch da mit all seinen gesammelten Zweifeln: "Sie sehen einen etwas nachdenklichen Dulig."

Der nachdenkliche Dulig, der selbstsichere Woidke - zwei Landtagswahlen später ist die SPD immer noch nicht schlauer, wie sie weiter mit dem Bündnis umgehen mag. Wer Engelchen und Teufelchen in dieser Szene ist, muss jeder für sich selbst beantworten. Aber von ihnen, diesen Einflüsterern, wird die Partei in den kommenden sechs Monaten noch sehr, sehr viele erleben. Jetzt geht es erst richtig los.

Für Woidke hat Schwesig an diesem Montagmorgen viel "Dank" übrig, für Dulig viel "Respekt". Innerlich ist die SPD schon weiter: Sie hat ihre eigene Wahl vor Augen, jene zum Parteivorsitz. Am Sonntag - mit Schließung der Wahllokale - endete auch die Bewerbungsfrist für die Kandidatenteams und Einzelbewerber für die künftige Parteispitze. Am Mittwoch startet die Partei in Saarbrücken in die große Kandidaten-Show mit 23 Regionalkonferenzen. Die "große Tour" nennen sie in der SPD das Spektakel. Acht Teams - Mann und Frau - haben sich gefunden. Dazu ein Einzelbewerber: Karl-Heinz Brunner, 66, Bundestagsabgeordneter aus Bayern.

Groko - ja oder nein? Angesichts des unübersichtlichen Bewerberfeldes ist das durchaus ein Ordnungsprinzip. Natürlich wird längst geschaut, wer gute Chancen hat und welche Auswirkungen das Votum der Mitglieder am Ende auf die Partei und die Regierung haben wird.

Die Freunde der großen Koalition sind rar

Grob lässt sich über das Bewerberfeld sagen: Die Freunde der großen Koalition sind rar und bei den Konservativen und Pragmatikern der Partei zu finden. Auch dies dürfte Woidke veranlasst haben, ein bisschen vom Glanz seines Sieges auf die große Koalition abstrahlen zu lassen. Als wirklicher Befürworter einer Fortsetzung des Bündnis über die Halbzeitbilanz hinaus gilt nur Olaf Scholz, Vizekanzler und Finanzminister. Er sagt zwar auch, diese große Koalition müsse vorerst die letzte im Bund sein. Aber er will kein vorzeitiges Aus. Die Ausgangslage für ihn und seine Teampartnerin, die brandenburgische Landespolitikerin Klara Geywitz, ist schwierig und seit diesem Sonntag noch ein Stück weit schwieriger geworden. In der Partei ist die Hoffnung verschwunden, die SPD könne als Teil der Regierung neue Kraft schöpfen.

Scholz, 61, und Geywitz, 43, werden zwar zu den Favoriten gezählt, dank Scholz' Bekanntheit und seines politischen Gewichts. Aber ein Selbstläufer ist ihre Kandidatur keinesfalls. Scholz haftet an, dass er erst nicht kandidieren wollte, dann aber in dieser Frage eine Kehrtwende vollzog, als sonst niemand aus der ersten Reihe wollte. Geywitz startet ebenfalls angeschlagen - sie verlor am Sonntag ihr Direktmandat in Potsdam und wird dem Landtag nicht mehr angehören. Wer mit Scholz und Geywitz nicht wirklich warm wird, dürfte mit dem Team Boris Pistorius (Innenminister in Niedersachsen) und Petra Köpping (Integrationsministerin in Sachsen) eine Alternative finden - auch sie stehen für moderate Veränderungen.

Im linken Bewerberlager zeigen sich Versuche, einzelne Teams in eine Favoritenposition zu bringen. Dort war die Sorge gewachsen, mehrere Kandidatenpärchen könnten sich bei der Mitgliederbefragung gegenseitig Stimmen wegnehmen, weil sie ähnliche Ziele verfolgten. Alle Bewerberteams hadern deutlich mit der großen Koalition - sie unterscheiden sich nur darin, wie schnell sie aus der Groko aussteigen wollen. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen hat in einer intern umstrittenen Entscheidung den früheren Landesfinanzminister Norbert Walter-Borjans, 66, und die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken, 58, für die Wahl nominiert, obwohl er mit Karl Lauterbach und Christina Kampmann zwei weitere Kandidaten im Rennen hat. Walter-Borjans hatte auf ein Votum der Landesspitze bestanden. Am Montag sprach sich dann auch noch Juso-Chef Kevin Kühnert für die beiden aus. Er habe "persönlich eine sehr große Sympathie" für sie, sagte er. Sie hätten bewiesen, dass sie "eine andere Politik" machen könnten. Walter-Borjans hat sich als Steuersünder-Jäger einen Namen gemacht.

Dieses Vorgehen sorgte für Irritationen bei Mitbewerbern. Gesine Schwan, die frühere Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin, die mit Parteivize Ralf Stegner antritt, sagte der SZ, es sei ein Fehler anzunehmen, die Parteibasis - und die stimme ab - würde sich an Empfehlungen halten. "Das ist nach meiner Kenntnis nicht zu erwarten", sagte sie.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2019/fie
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