SPD:Kühnert wagen

Juso-Chef Kevin Kühnert

Eine Wahl Kühnerts wäre mit Risiken behaftet. Aber was hat die SPD zu verlieren?

(Foto: Marius Becker/dpa)

Seit heute läuft die Bewerbungsfrist für den SPD-Parteivorsitz. Der Juso-Chef sollte kandidieren - und damit zeigen, dass seine Generation mehr kann als nur radikale Forderungen aufzustellen.

Kommentar von Jean-Marie Magro

Wer auch immer die SPD in Zukunft führen wird, übernimmt eine Partei am Abgrund. Die Älteren verzeihen ihr die als Verrat empfundene Agenda 2010 nicht, für die Jüngeren ist die SPD schlicht bedeutungslos. Nur zwei Prozent der Deutschen denken, die Sozialdemokraten hätten die besten Antworten für die Zukunft. Die SPD ist zu einer Programmpartei ohne Plan geworden. Doch was wäre, wenn die Partei einen wirklichen Neuanfang wagte und nicht nur alte Köpfe mit einem neuen Label versähe? Was wäre, wenn die Sozialdemokraten tatsächlich das Wagnis Kevin Kühnert eingingen?

Seit eineinhalb Jahren treibt der Juso-Chef die Parteiführung vor sich her. Im Gegensatz zu vorherigen Parteivorsitzenden kann er nicht für Gerhard Schröders Agenda-Politik in Geiselhaft genommen werden. Als Hartz IV beschlossen wurde, war Kühnert 14 Jahre alt. Er kann glaubwürdig für die Abschaffung der Sanktionen, die Einführung einer Kindergrundsicherung und eines richtigen Existenzminimums eintreten.

Seit Kühnert Juso-Chef ist, fordert er, dass die SPD sich als die klare Alternative zur Union positionieren soll. Mit der Sozialismusdebatte fand er großen Anklang bei der Parteilinken. Viele erinnerten sich daran, weshalb sie einst in die Partei eingetreten waren: um die Gesellschaft zu verändern, nicht um sie zu verwalten. Diese Debatte fand auch Anhänger bei jungen, progressiven Menschen. Hier gibt es für die SPD ein Potenzial an Wählern, die nicht den Zalando- und Check24-Kapitalismus in Stein gemeißelt sehen wollen.

Kühnert sollte eine konservativere Co-Chefin bekommen

Die SPD kann Bestand haben, wenn sie ihre Werte von Epoche zu Epoche weiterträgt. Wenn sie einst den industriellen Kapitalismus zähmte, muss das auch heute beim digitalen Kapitalismus ihr Anspruch sein. Selbst wenn Konzerne wie Google, Facebook und Amazon übermächtig zu sein scheinen. Erst dann ist diese Partei wieder relevant und alle wüssten, wofür sie steht.

Eine Wahl Kühnerts wäre natürlich mit Risiken behaftet. Die große Koalition wäre kaum mehr zu halten, Neuwahlen die logische Folge. Der linke Parteiflügel und die Jusos würden jubeln, der konservative Seeheimer Kreis sowie alte Besserwisser nur noch den Kopf schütteln. Doch eine innerparteiliche Zerreißprobe oder gar eine Spaltung der Partei lässt sich durch die kluge Wahl einer Doppelspitze verhindern.

Neben Kühnert braucht es für die Balance eine konservativere Co-Vorsitzende. Das kann funktionieren, weil der Juso-Chef, das bestätigen viele im Parteivorstand, seine Meinung hart und ehrlich äußert, aber kein illoyaler Ego-Shooter ist. Die Sozialdemokraten, so hat der einstige Vorsitzende Willy Brandt einmal gesagt, müssten die Partei des "donnernden Sowohl-als-auch" sein.

Nein, der Juso-Chef ist kein sozialdemokratischer Messias. Die SPD in ihrem derzeitigen Zustand zu übernehmen, ist eine schier unmögliche Mission, egal ob im Alter von 29 oder 59 Jahren. Aber was haben Kevin Kühnert und die Partei zu verlieren? Mit einer Kandidatur könnte er beweisen, dass seine Generation nicht nur radikale Forderungen aufstellt, sondern diese auch umsetzen will.

In seiner Rede auf dem Berliner Parteitag sagte Kühnert: Er wolle, dass "noch etwas übrig bleibt von diesem Laden". Dann sollte er so konsequent sein und selbst Verantwortung übernehmen - nicht an der Seitenlinie, sondern als Sturmspitze.

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