Süddeutsche Zeitung

SPD:Das Fundament bröckelt bedrohlich

  • Im Bund liegt die SPD laut Umfragen bei 15 Prozent. Und auch in einzelnen Ländern sieht es nicht viel besser aus.
  • In Thüringen, Sachsen, Brandenburg wird in diesem Jahr gewählt.
  • Laut Umfragen kann es etwa der AfD gelingen, die CDU oder die SPD als stärkste Kraft abzulösen.

Von Mike Szymanski und Max Ferstl, Berlin

Es war eine großzügige Geste von Andrea Nahles, als ihre SPD wieder einmal gescheitert war: Bei der Landtagswahl in Hessen rutschten die Sozialdemokraten auf unter 20 Prozent ab. Die SPD-Chefin stand später am Abend im Willy-Brandt-Haus, der Berliner Parteizentrale, und nahm alle Verantwortung für die Niederlage auf sich: Ihr Parteikollege Thorsten Schäfer-Gümbel, der Spitzenkandidat in Hessen, habe "nichts falsch" gemacht.

Die SPD in Hessen verliert knapp elf Prozent - und schuld ist nur Berlin? Es war Schäfer-Gümbels dritter Anlauf gewesen. Ob er überhaupt noch der richtige Kandidat war, darüber sprach in den Tagen des Frustes kaum jemand. Auch Natascha Kohnen, Spitzenkandidatin der SPD in Bayern, hatte schnell Erklärungen parat, warum ihre Partei in Bayern zwei Wochen zuvor ihr Ergebnis bei der Landtagswahl halbiert hatte und nicht einmal mehr auf zehn Prozent kam: Die ungeliebte große Koalition, in die Nahles die SPD abermals geführt hatte, das schlechte Erscheinungsbild der Sozialdemokraten.

Schon im Wahlkampf hatte sie auf Nahles als Problemverursacherin gezeigt, weil diese in der Affäre um den früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen sich grob verkalkuliert hatte. Aber erklärt dies allein, warum sich die SPD in Bayern seit vielen Jahren praktisch in Luft auflöst, jetzt eben nur noch rapider?

In Bayern sind die Sozialdemokraten nur noch fünftstärkste Kraft

Die SPD hat nicht nur Probleme an der Spitze. Dass es der Partei heute so schlecht geht, hat vor allem auch mit ihrer Schwäche in den Ländern zu tun. Das Fundament bröckelt bedrohlich. Etwa 15 Prozent in Umfragen für die SPD im Bund sind bitter. Doch Wahlergebnisse in einzelnen Ländern um die zehn Prozent sind eine Katastrophe.

In Bayern zeigt sich eine regelrechte Entwöhnung von der SPD nach Jahrzehnten in der Opposition. Sie ist nur noch fünftstärkste Kraft hinter CSU, Grünen, den Freien Wählern und der AfD. Erfolgreiche Kommunalpolitiker der Partei wie Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly entziehen sich konsequent der SPD auf Landesebene - sie sind trotz der Bayern-SPD erfolgreich. Deren Chefin Natascha Kohnen hatte ihre Partei im Wahlkampf zudem noch mit der Aura des Exklusiven umgeben und sie damit kleiner gemacht, als sie ohnehin schon ist.

Aber auch im Nachbarland Baden-Württemberg kämpft die SPD - mit sich selbst. Wie sehr sich die Partei ganz ohne Zutun aus Berlin Schaden zufügen kann, zeigte ein wochenlanger Machtkampf. Mit Landeschefin Leni Breymaier kam die Partei nicht aus ihrem Tief, nachdem sie bei der Wahl 2016 große Verluste verzeichnet hatte und aus der Regierung geflogen war.

Von Breymaier, der früheren Gewerkschafterin, ist aus der Zeit des Machtkampfs ein Satz überliefert, der auch beispielhaft für die lähmende Selbstbeschäftigung steht: "Mein Leben sind Gremien. Gremienarbeit bedeutet für mich gute Laune", so zitierte die FAZ sie einmal. Ihr Vize, der Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci, forderte sie aus Unzufriedenheit mit der Lage heraus, wollte selbst die Südwest-SPD führen. Die Basis sollte entscheiden. Die Abstimmung, beide lagen in etwa gleich auf, mündete jedoch in neuem Chaos. Am Ende entschied der Parteitag für einen kompletten Neuanfang mit einem Dritten: Landtagsfraktionschef Andreas Stoch setzte sich durch und steht vor der Aufgabe, die Südwest-SPD, die in Umfragen auf nur noch elf Prozent kommt, aufzurichten.

Der Süden Deutschlands ist damit für die SPD ebenso zur Krisenregion geworden wie der Osten. Dort müssen manche Landesverbände wie der in Sachsen schon länger mit Wahlergebnissen um die zehn Prozent klarkommen. Auch in Thüringen ist die Lage für die SPD schwierig. Sie rutschte dort bei der Wahl 2014 auf 12,4 Prozent ab. In Brandenburg dagegen versteht sich die SPD noch als die "Brandenburg-Partei" - sie regiert seit der Wende. Bei der Landtagswahl 2014 erreichte die SPD noch 31,9 Prozent. In der jüngsten Umfrage kam sie nur noch auf 20 Prozent. Ministerpräsident Dietmar Woidke hat eine geplante Gebietsreform in den Sand gesetzt, dies hat Sympathien gekostet.

Thüringen, Sachsen, Brandenburg, das sind die drei ostdeutschen Länder, in denen in diesem Jahr gewählt wird. Laut Umfragen kann es der AfD gelingen, die CDU oder die SPD als stärkste Kraft abzulösen. Dieses Wahljahr könnte die politische Landschaft im Osten grundlegend umkrempeln. Die Stimmung bei den Sozialdemokraten: besorgt bis angsterfüllt. Dort, wo es die SPD ohnehin schon schwer hat, heißt es, es gebe keine Sicherheit, dass es die SPD dort dauerhaft gebe.

Im Osten war die SPD in der Wendezeit zur Neugründung gezwungen. Sie konnte nicht auf feste Strukturen wie im Westen bauen, wo diese der SPD noch heute Halt geben. Das ist das größte Problem vieler Ost-Landesverbände. Im Osten fängt die SPD diese strukturelle Schwäche dadurch auf, dass sie entweder die Regierung anführt wie in Brandenburg oder zumindest an ihr beteiligt ist. Zu regieren ist für die Ost-SPD quasi überlebenswichtig geworden. Trotzdem haben es die Landesverbände nach wie vor schwer, in der Bundesspitze mit ihren Wünschen und Problemen durchzudringen.

Probleme hat die SPD selbst dort, wo sie früher bärenstark war. Der mächtige Landesverband Nordrhein-Westfalen, wo etwa ein Viertel Bundes-Genossen leben, befindet sich im Umbruch. Die Partei kommt immer noch nicht damit zurecht, dass die "Kümmerin" Hannelore Kraft 2017 die Wahl verlor und die SPD nicht mehr das Land regiert. In der Oppositionsrolle ist sie noch nicht wirklich angekommen. Noch beschäftigt sie sich sehr mit sich selbst. Neue Leute an der Spitze wie Landeschef Sebastian Hartmann sollen den Neuanfang schaffen und durchlüften in einer Partei, die es gewohnt war, Macht in Hinterzimmern aufzuteilen. Noch herrschen jedoch Eifersüchteleien und Konkurrenzdenken.

Seit bald 74 Jahren regiert die SPD in Bremen

Weit weniger wirkmächtig als Wahlergebnisse aus NRW sind jene aus dem Zwei-Städte-Staat Bremen. In Bremen und Bremerhaven wird im Mai eine neue Bürgerschaft gewählt. Seit bald 74 Jahren regiert die SPD in Bremen. Für SPD-Bürgermeister Carsten Sieling geht es also um einiges, denn die CDU ist ihr in den Umfragen gefährlich nahe gekommen. Sie lag sogar schon mal vor den Sozialdemokraten.

Sieling ist kein Charismatiker, ihm fliegen die Herzen nicht zu wie einst Henning Scherf. In den vergangenen Jahren hat er den Bürgern viel abverlangen müssen, die Finanzen des Stadtstaates müssen saniert werden. Das haben die Bürger zu spüren bekommen, wenn sie sich in den Ämtern ganz hinten in der Schlange anstellten. Auch im Bildungssystem fehlt Geld. Nach so langer Zeit an der Macht sind Abnutzungserscheinungen kaum zu vermeiden. Strukturschwache Viertel hat die Partei vernachlässigt. Bis Mai hat Sieling Zeit, dagegen anzuarbeiten, dass sich Wechselstimmung breit macht. Seine Erwartungen an Berlin? "Meiner Partei wünsche ich vor allem Konsequenz im Handeln und neues Denken mit Vision", sagt Sieling. In Bremen braucht er das auch.

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SZ vom 07.01.2019/cat
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