Süddeutsche Zeitung

SPD:Weil plädiert für ein "Klein-Klein" in der Klimapolitik

  • Bis zum Wochenende wollen Union und SPD ein Klimaschutzpaket schnüren.
  • Während es für Umweltministerin Schulze, Finanzminister Scholz und der kommisarischen Parteichefin Dreyer um das große Ganze geht, meldet sich Niedersachsens Ministerpräsident in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit einem bemerkenswerten Plädoyer für das "beschwerliche Klein-Klein" in der Politik.
  • Weil sorgt sich, das eine radikale Wende in der Umwelt- und Klimapolitik gesellschaftlichen Konfliktstoff entzünden könnte.

Von Mike Szymanski

Die SPD denkt an diesem Montag groß, sehr groß. Die entscheidende Woche für die Klimapolitik hat begonnen. Bis zum Wochenende wollen Union und SPD ein Klimaschutzpaket schnüren, wie es die Bundesrepublik so noch nicht gesehen hat. Links auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus steht Umweltministerin Svenja Schulze. Die Fachpolitikerin sagt: "Das, was wir hier vorhaben, ist ein unglaubliches Modernisierungsprogramm für unsere gesamte Gesellschaft." Rechts steht Olaf Scholz, der Finanzminister, der dies alles finanzieren soll. Er sieht sich gerade in der Rolle als "Bürger dieses Planeten" und habe nun einmal die Aufgabe, mehr zum Schutz der Erde zu tun. Und in der Mitte, da steht Malu Dreyer, kommissarische Co-Chefin der SPD. Vor ihnen liege eine "Jahrhundertaufgabe", sagt sie.

Wie es aussieht, meint es die Berliner SPD-Spitze ziemlich ernst mit dem Klimaschutz. Einer wie Parteikollege Stephan Weil, Ministerpräsident in Niedersachsen, hätte bei einem Auftritt in der Parteizentrale wohl nur den Bremser gegeben. Er zählt zur engsten Parteiführung. Just an diesem Tag meldet er sich aus der Ferne mit einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort. Darin hält er ein bemerkenswertes Plädoyer für das "beschwerliche Klein-Klein" in der Politik.

Er beschreibt es nicht nur "als Wesensmerkmal unserer Demokratie". Weil schreibt weiter: "Es ist auch zentral für eine soziale Umsetzung der Energie- und Klimawende." Dazu muss man wissen, dass Finanzminister Scholz zuletzt wiederholt erklärt hatte, mit einem "Klein-Klein" in der Klimapolitik könne es nicht weitergehen.

Stephan Weil befürchtet, dass Umweltpolitik mit "kaltem Herzen" Konflikte provoziert

Weils Sorge ist jene: Eine radikale Wende in der Umwelt- und Klimapolitik, ein Umbau mit "kaltem Herzen", könne gesellschaftlichen Konfliktstoff entzünden. "Frankreichs Gelbwesten-Bewegung lässt grüßen", warnt er. Weil hat dabei etwa die Pendler im Blick, Leute mit kleinem Einkommen und altem Auto, womöglich noch mit einer alten Ölheizung daheim. In Berlin, auf der Bühne, sagen die SPD-Spitzenvertreter, dass der anstehende Umbau "alle Lebensbereiche" betreffen werde. Zwar versichern Malu Dreyer, Svenja Schulze und Olaf Scholz, dass beim Klimaschützen niemand auf der Strecke bleiben werde. Dreyer glaubt, die Leute wüssten ganz genau, warum sich jetzt etwas ändern müsse. "Die Wälder, der Rhein, der kein Wasser hat, ob es die Dürren, die Hitzen sind - die Menschen können einfach nachvollziehen, dass es einen deutlichen Handlungsbedarf gibt." Bei Weil heißt es: "Weltuntergangsszenarien helfen nicht bei der Bewältigung der realen Herausforderungen."

Heißes Herz, kaltes Herz - für die SPD steht gerade sehr viel auf dem Spiel. In der Partei zeigt sich, wie sehr sie auch mit sich selbst ringt, wie viel mehr an Klimaschutz sie ihren eigenen Anhängern zumuten möchte. Scholz sagt, er habe Weils Text als "wichtigen Hinweis" aufgenommen, pocht aber darauf, man müsse jetzt "klar sein, entschlossen". "Wir dürfen es nicht mehr machen, dass wir nur Förderprogramme machen und keine Regeln setzen."

Das Klimapaket soll weit mehr als nur die Luft verbessern. Es soll auch die Stimmung aufhellen, die in großen Teilen der Partei mit Blick auf die große Koalition entstanden ist. In den nächsten Wochen steht die Entscheidung darüber an, ob das Bündnis mit der Union über die Halbzeit hinaus fortgesetzt werden soll. Geht es nach der SPD-Spitze, sollen die Delegierten auf dem Parteitag im Dezember darüber entscheiden. Für einen Befürworter der großen Koalition wie Scholz soll das Klimapaket das Hauptargument werden, die eigenen Leute davon zu überzeugen, in der großen Koalition weiterzumachen.

In seiner Logik kann es gerade nicht groß genug sein: Ohne Fortbestand der Groko wird es dieses Klimapaket nicht geben. Es wird Monate dauern, all die Beschlüsse in Gesetze zu gießen. Wie kritisch Teile der Partei die Fortsetzung sehen, lässt sich an den Regionalkonferenzen studieren, wo sich derzeit Kandidatenteams - darunter Scholz mit seiner Partnerin Klara Geywitz - für den vakanten Parteivorsitz präsentieren. Wer den sofortigen Ausstieg verlangt, darf mit Applaus rechnen. Scholz könnte dringend ein Gegenargument gebrauchen.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2019/hij
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