Süddeutsche Zeitung

Kevin Kühnert:Warten auf die nächste Trophäe

Lesezeit: 3 min

Kevin Kühnert legt den Juso-Vorsitz nieder und will in den Bundestag. Damit nimmt eine der erstaunlichsten Karrieren in der SPD eine Wendung - der Rebell plant den Aufstieg.

Von Mike Szymanski, Berlin

Es ist ein klassischer Kühnert-Abgang, augenzwinkernd im Ton und fein überdeckend, dass dahinter ja auch ein rasanter Aufstieg steckt, der womöglich sein Ende noch nicht gefunden hat. "Trau' keinem über 30, heißt es. Ganz so schlimm ist es hoffentlich nicht, aber man sollte wissen, wann es genug ist", kommentiert er am Dienstag auf Twitter, worüber zuvor der Berliner Tagesspiegel berichtet hatte: Kevin Kühnert legt im November vorzeitig den Vorsitz beim SPD-Nachwuchs, den Jusos, nieder.

Zur Begründung schreibt er: "Weil politische Ämter nicht zur Trophäensammlung werden sollten und die Jusos stark genug sind." Das zweite Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Das erste: mindestens kurios. Denn der Trophäenschrank bei Kühnert hatte sich längst zu füllen begonnen. Auf dem Parteitag der SPD im Dezember hatte er sich für einen der Stellvertreterposten beworben, und er tat dies mit einer wuchtigen Rede, die viele andere an dem Tag in den Schatten gestellt hatte. Da war klar: Hier hat einer noch viel vor.

Und wenn Trophäen tatsächlich für den 31-Jährigen nicht wichtig wären, dann hätte er damals schon, im November 2019, den Juso-Vorsitz abgegeben - ganz regulär auf dem Bundeskongress des Nachwuchses. Die Wiederwahl war zwei Wochen vor dem Bundestagsparteitag der SPD, wo sein Aufstieg in die Parteispitze anstand. Aber damals war er noch als Sammler unterwegs. Er störte sich keineswegs an der Vorstellung, einerseits weiter als Rebell im Kampf gegen die Mutterpartei aufzutreten - so wie sich Juso-Chefs ihre Aufgabe vorstellen - und andererseits ins Establishment aufzusteigen. Es ist bemerkenswert, dass dies überhaupt so lange gut ging. Kühnert ist inzwischen mehr Establishment als Rebell, es wurde wirklich Zeit. Und er will jetzt für den Bundestag kandidieren.

Eine der erstaunlichsten Karrieren in der SPD nimmt also gerade eine Wendung. Der Berliner SPD-Jungpolitiker mit Hemd über der Hose und - wenn die Kamera nicht an ist - oft mit Zigarette in der Hand, wurde zeitweilig schon als möglicher neuer Parteichef gehandelt. Sein Kampf gegen die große Koalition hat ihn erst bekannt gemacht, gleich nachdem er 2017 an die Spitze der Jusos gerückt war. Sich und seine Jusos bezeichnete er als "Bollwerk" gegen die große Koalition, das machte ihn von Anfang an zum Widersacher der späteren Parteichefin Andrea Nahles und Olaf Scholz, die die SPD dann doch wieder in die nächste große Koalition führten. Ein ums andere Mal machte Kühnert ihnen das Leben schwer. Nahles' Scheitern als Partei- und Fraktionschefin geht auch auf Attacken des Jusos-Chefs zurück.

Die wahre Machtfülle, die die Jusos unter seiner Führung erlangten, zeigte sich jedoch erst nach Nahles' Rückzug, als die Partei eine neue Spitze suchte. Als sich Olaf Scholz bereit erklärte, für den Vorsitz zu kandidieren, widerstand Kühnert der Versuchung, selbst in den Wahlkampf einzusteigen. Das hätte die Partei damals zerrissen. Er und seine Jusos unterstützten jedoch eines der Konkurrenzteams, bestehend aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die gemäßigter als Kühnert herüberkamen und einen Ausstieg aus der großen Koalition immerhin in Aussicht stellten. Am Ende setzten sich Esken und Walter-Borjans im Mitgliedervotum durch, und Kühnert stand an dem Abend im Willy-Brandt-Haus bezeichnenderweise mit ihnen im Fahrstuhl, als es hoch in die Führungsetagen ging.

"Es gilt, Köpfe, Herzen und eine Wahl zu gewinnen", sagt Kühnert

Seit das von den Jusos unterstützte Team die SPD führt, geht es der Partei nicht unbedingt besser. Sie verharrt in den Umfragen weiterhin bei 15 Prozent. Esken und Walter-Borjans haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sie haben es sich eingerichtet in der großen Koalition, die sie im Wahlkampf noch für viele Probleme der Partei verantwortlich gemacht hatten. Spätestens seit dem Corona-Ausbruch ist ein Ausstieg vom Tisch. Sie gehen genauso Kompromisse ein wie Scholz. Ihm hatten sie das zum Vorwurf gemacht. Hätte dieser es an die Parteispitze geschafft, wäre wohl die Hölle los gewesen, zumindest bei den Jusos. Aber der Protest bleibt aus, es ist streckenweise nahezu mucksmäuschenstill um Kühnert geworden. In den Corona-Zeiten, in denen Scholz für sein Krisenmanagement viel Lob bekommt, hat sich Kühnert vom Gegner zum Unterstützer von Scholz gewandelt, wohlwollend fallen seine Äußerungen über den Parteikollegen aus. Unter führenden Sozialdemokraten geht man mittlerweile davon aus, dass Kühnert Scholz sogar als Kanzlerkandidaten unterstützen würde.

Dies dürfte auch erklären, warum Kühnert vorzeitig den Juso-Vorsitz aufgibt. In dieser Funktion, in der er sich an der großen Koalition und Scholz so heftig abgearbeitet hatte, kann er kaum glaubhaft Wahlkampf machen. "Es gilt, Köpfe, Herzen und eine Wahl zu gewinnen", sagt Kühnert. Das geht aber nur, wenn er konsequent zur SPD und ihrer Regierungsverantwortung steht. Er sagt noch, er sei bereit, wenn die anderen auch bereit seien. Klar, an ihm soll es nicht liegen.

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SZ vom 05.08.2020
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