Die SPD und die Kanzlerkandidatur:Der dritte Mann

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Verteidigungsminister Boris Pistorius (links) liegt in Umfragen nach den beliebtesten Politikern des Landes weit vor Olaf Scholz. (Foto: Handout Bundesregierung/Getty Images)

Olaf Scholz und Friedrich Merz rechnen mit einem Duell Scholz gegen Merz. Und was ist mit Boris Pistorius? Nicht nur Franz Müntefering mahnt, dass die Kandidatenfrage bei der SPD nicht geklärt ist.

Von Georg Ismar, Berlin

Franz Müntefering kennt seine Partei genau. Und daher hält er ein Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz um die nächste Kanzlerschaft in Deutschland längst noch nicht für ausgemacht. „Es wird jedenfalls gut sein, wenn die gesamte Partei hinter einem Kandidaten stehen kann. Deshalb lege ich Wert darauf, wir machen das als Partei, die Entscheidung“, sagt er, angesprochen auf den SPD-Kandidaten gegen Merz, im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Das sei besser, als „wenn sich da einer selbst erklärt“.

Bisher ist geplant, dass die SPD bei einem Parteitag im Juni 2025 den Kandidaten offiziell nominiert. Bis dahin kann jedoch noch viel passieren, und in der Bundestagsfraktion, die nach den jetzigen Umfragen von heute 207 Abgeordneten auf die Hälfte schrumpfen könnte, beginnt längst das Zittern und Nachdenken, ob das mit Olaf Scholz gutgehen kann.

Müntefering hat zuletzt immer wieder dezent die Vorzüge von Boris Pistorius betont, der als früherer Oberbürgermeister von Osnabrück Bürgernähe und Pragmatismus mitbringe. Und er betont nun: Man müsse die Frage der Kanzlerkandidatur letztlich auf jeden Fall zeitlich so früh klären, „dass man noch Zeit hat, einen gescheiten Wahlkampf zu machen, um die Person dann entsprechend aufzubauen und zu unterstützen“. Die von Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt gestreute Erzählung, wenn Scholz gegen Merz antrete, würde das zu einem Schub für die SPD und am Ende zu einem Wahlsieg führen, da er für solides Regierungshandwerk statt Sprüche stehe, wird von vielen Gesprächspartnern in der SPD so nicht mehr geglaubt. Denn es war zum Beispiel Scholz’ Idee, 60 Milliarden Euro an nicht genutzten Corona-Hilfen in einen Fonds zur Finanzierung von Klima- und Transformationsinvestitionen umzuwidmen. Dieser Transfer wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht kassiert – und seitdem taumelt die Koalition von einem Haushaltsproblem zum nächsten.

Scholz geht davon aus, dass sich die Stimmung im Land noch drehen lässt

Und immer wieder wird moniert, dass Scholz häufig zu technokratisch, mitunter arrogant wirke. Der Kanzler und sein Umfeld glauben fest, dass sich das wieder drehen lässt, vielleicht mit einem neuen Momentum, etwa einer Beteiligung an Verhandlungen für einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine oder wenn es gelingt, die irreguläre Migration deutlich zu begrenzen.

Einige SPD-Mitglieder stellen sich auch die Frage, welcher Kandidat der Partei am besten nützen könnte, in dieser für die Demokratie so entscheidenden Phase. Verteidigungsminister Pistorius kommt mit seiner klaren Sprache und seinem Anpacker-Ruf gut an, er ist seit Monaten der beliebteste Politiker des Landes. Und so gibt es die paradoxe Situation, dass sich die Union wider Erwarten halbwegs harmonisch auf den Kandidaten Merz geeinigt hat, der natürliche Kandidat der Kanzlerpartei aber in den eigenen Reihen infrage gestellt wird.

Münchens SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter sät pünktlich zur Unionsentscheidung nun erneut Zweifel, sein parteipolitisches Gewicht ist allerdings überschaubar. Bedenken hat auch eine wachsende Zahl in Partei und Fraktion; viele wollen das aber bisher nicht öffentlich sagen. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel sagte Reiter, dass Pistorius für ihn als Kanzlerkandidat „natürlich“ infrage komme. „Wenn jemand wie Boris Pistorius ein solches Ansehen hat, muss die SPD auch darüber nachdenken, ob er die beste Wahl für die Kanzlerkandidatur ist oder ob man mit dem amtierenden Bundeskanzler ins Rennen geht.“

Pistorius hat noch keinen Wahlkreis

Dem Parteivorsitzenden Lars Klingbeil wird hier eine Schlüsselrolle zugemessen. Er war im August beim „Krönungsparteitag“ der US-Demokraten für Kamala Harris und hat dort erlebt, welchen neuen Schwung der Verzicht von Joe Biden auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur entfaltet hat. Klingbeil betont, genau wie die übrige Parteiführung und auch Pistorius selbst, dass es Scholz werden wird. Bisher ist da kein Wackeln zu spüren. Und Pistorius, der aus dem niedersächsischen Innenministerium in die Bundesregierung kam, lässt bisher eine Bundestagskandidatur in einem Wahlkreis offen. Nach SZ-Informationen hat er diskrete Gespräche über eine Kandidatur in Osnabrück geführt. Den Wahlkreis gewann 2021 allerdings der SPD-Politiker Manuel Gava, der dort erneut antreten will. Angeboten wurde Pistorius die Kandidatur im Wahlkreis Stadt Hannover II, der nach dem Wechsel von Yasmin Fahimi an die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes vakant ist. Doch Pistorius hat sich bisher noch nicht entschieden.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese, wie Merz und Müntefering aus dem Sauerland, rät dazu, Merz jetzt erst einmal inhaltlich zu stellen. „Wer sich wie Merz bei Fragen wie nach einer effektiveren Migrationspolitik auf den letzten Metern immer wieder einen schlanken Fuß macht und öffentlich damit eher alte Rechnungen mit Angela Merkel begleichen will, übernimmt keine Verantwortung für Deutschland und Europa“, sagte er der SZ. „Auch hier zeigt sich deutlich die nicht vorhandene Regierungserfahrung von Friedrich Merz.“

Müntefering ermahnt seine Partei, unabhängig von der Kandidatur-Frage zu kämpfen. Es brauche „eine ehrliche Auseinandersetzung in Deutschland, was muss in diesem Land getan werden“. Wenn er sich einen Kandidaten hätte wünschen können, sagt Müntefering, hätte er Merz genommen. „Da müssen wir keine Furcht vor haben“, sagt er und ergänzt: „Frisch auf.“

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