Aufbruchstimmung bei der SPD: Am Vormittag hat der Parteivorstand den früheren EU-Parlamentspräsident Martin Schulz einstimmig als Kanzlerkandidat der Partei bestätigt - und als neuen SPD-Chef. Kurz darauf stellte sich Schulz im vollen Willy-Brandt-Haus begleitet von anhaltendem Applaus den Parteimitgliedern vor. "Es geht ein Ruck durch die SPD, es geht ein Ruck durchs ganze Land. Lasst uns diesen neuen Schwung nutzen, lasst es uns anpacken, lasst uns das Land gerechter machen", sagte Schulz unter großem Jubel der Genossen.
Er sei gerührt und dankbar über den riesigen Zuspruch, den er erhalte, betonte Schulz und versprach: "Wir werden die Wahlen in diesem Jahr richtig spannend machen." Die SPD trete mit dem Anspruch an, stärkste politische Kraft im Land zu werden. "Und ich trete mit dem Anspruch an, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden", betonte Schulz in einer kämpferischen, emotionalen und sehr persönlichen Rede.
Respekt für die, "die den Laden am Laufen halten"
Besonderes Gewicht legte der Kanzlerkandidat dabei auf das Thema soziale Gerechtigkeit. Wenn Milliarden für Banken ausgegeben würden, aber in den Schulen der Putz von den Wänden bröckele, gehe es im Land nicht gerecht zu. Es gehe ein tiefer Riss durch die Gesellschaft, man müsse Gräben überwinden und zu einem neuen Miteinander finden. Im Mittelpunkt der SPD-Politik sollten die "hart arbeitenden Menschen" stehen, die sich an die Regeln hielten und sich um ihre Kinder und Eltern kümmerten. "Die Menschen, die den Laden am Laufen halten, haben Respekt verdient für ihre Lebensleistung."
In diesem Zusammenhang führte Schulz auch seine eigene Biographie an. "Ich weiß, was es bedeutet, wenn man vom Weg abkommt", sagte er in Anspielung auf ein überwundenes Alkoholproblem. Dass er kein Abitur und kein Studium habe und aus der Provinz komme, sehe er nicht als Makel, betonte Schulz, weil er dies mit der Mehrheit der Menschen in diesem Land gemeinsam habe: "Nach meinem Verständnis muss der Bundeskanzler für Alltagssorgen nicht nur Verständnis haben, sondern sie mit tiefer Empathie spüren können - sonst ist er oder sie fehl am Platz."
Scharfe Kritik an Nationalisten und Populisten
Rassismus und Rechtspopulismus sagte Schulz den Kampf an. Aus den Herausforderungen durch Migration auf dem Rücken der Flüchtlinge Kapital zu schlagen, nannte er "schändlich und abstoßend". "Die Partei der Höckes, der Gaulands und der Petrys ist keine Alternative für Deutschland, sondern eine Schande für die Bundesrepublik Deutschland." Man werde nie die Werte der Freiheit und der Demokratie aufgeben, egal, vor welcher Herausforderung man stehe. Mit Blick auf den "fehlenden Anstand" in der Debatte in den USA schlug Schulz den anderen Parteien für den Wahlkampf in Deutschland ein Fairnessabkommen vor.
Zugleich äußerte Schulz Verständnis für die Menschen, die Angst hätten und verunsichert seien - auch an ihrer Seite wolle die SPD stehen. Der Kanzlerkandidat versprach einen entschlossenen Kampf gegen den Terrorismus: "Diese Mörder müssen wir mit harter Hand bekämpfen." Schulz forderte zudem mehr europäische Solidarität in der Flüchtlingspolitik ein und warb für eine Bekämpfung der Fluchtursachen sowie einen besseren Schutz der Außengrenzen der EU.
Schulz lobt Gabriel als "tollen Typ"
Schulz würdigte die Arbeit der SPD in den vergangenen vier Jahren. Sie sei die "tragende Kraft" gewesen. Im Gegensatz dazu sei das "Intrigantenstadel" bei der Union gestanden, bei dem die CSU Kanzlerin Angela Merkel immer wieder gedemütigt habe. Seinen Parteifreund Sigmar Gabriel, der zugunsten von Schulz auf sein Amt als Parteichef und die Spitzenkandidatur verzichtet hatte, lobte er als selbstlos und als "tollen Typ". "Ich danke dir für unsere Freundschaft", sagte Schulz zu Gabriel, der sich einige Tränen aus den Augen wischte.
Zuvor hatte Ex-SPD-Chef Gabriel seinen Nachfolger als "Kämpfer für die Gerechtigkeit" gelobt. Schulz stehe dafür, dass man durch Leistung etwas schaffen könne. "Sozialdemokratischer als deine Biografie geht's nicht, lieber Martin Schulz", sagte Gabriel zu Schulz, der es vom einfachen Buchhändler in der Stadt Würselen bis zum EU-Parlamentspräsidenten - und jetzt SPD-Spitzenkandidat - geschafft hat. Offiziell soll Schulz erst auf einem Sonderparteitag am 19. März in Berlin zum Kanzlerkandidaten und zum Parteichef gewählt werden. An seiner Nominierung herrschen jedoch keine Zweifel.