SPD:Die Signale des Kanzlers

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Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Rückkehr vom G-20-Gipfel in Brasilien am Mittwoch. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Boris Pistorius geht von einer Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz aus – der erweckt auch nicht den Eindruck, dass er verzichten will. Die Sorge um die Geschlossenheit der Partei wächst.

Von Daniel Brössler, Georg Ismar

Nach Tagen kontroverser Debatten versuchen Kanzler Olaf Scholz und die SPD-Spitze eine schnelle Entscheidung in der Frage der Kanzlerkandidatur zu finden. Nach Scholz’ Rückkehr vom G-20-Gipfel in Brasilien standen interne Gespräche an, der Druck auf die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken, sehr zeitnah eine Entscheidung zu verkünden, ist groß. Die Unterstützer einer Kandidatur von Verteidigungsminister Boris Pistorius erhoffen sich von Olaf Scholz ein baldiges Signal des Verzichts. Das sei der einzige Ausweg, hieß es von mehreren SPD-Politikern auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung.

Allerdings deutet wenig auf ein solches Signal hin. Eher scheint man in der SPD bereit zu sein, die Kanzlerkandidatur von Scholz gegen Widerstände an der Parteibasis durchzuziehen. Prominente Parteivertreter warnten in Gesprächen mit der SZ, „unrealistische Heilserwartungen“ an eine Kandidatur von Pistorius zu richten. Man könne nicht, wie vor zwei Wochen geschehen, Scholz in der SPD-Fraktion nach dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner feiern – und ihn nun demontieren. Er habe die SPD immerhin vor drei Jahren auch zu einem Wahlsieg geführt.

„Ich und die SPD“

Scholz lässt bisher auch keinerlei Bereitschaft erkennen, zugunsten seines Verteidigungsministers zu verzichten. Am Rande des G-20-Gipfels hatte er seinen Anspruch auf die Kandidatur bekräftigt. Aus Sorge, seinen Kritikern Auftrieb zu geben, vermied er aber klare Äußerungen, die als Selbstausrufung und Missachtung der Parteigremien verstanden werden könnten. Stattdessen betonte er, man wolle „gemeinsam erfolgreich sein“. Unterstreichen wolle er, „dass wir gemeinsam gewinnen wollen, ich und die SPD.“

Dahinter steht die offenbar ungebrochene Überzeugung des Kanzlers, nur mit ihm habe die SPD bei der Bundestagswahl eine reelle Chance – trotz Scheiterns seiner Ampelkoalition und schlechter Umfragewerte. Scholz stützt das auf sein inhaltliches Angebot für den Wahlkampf. Er will mit dem Versprechen antreten, die steigenden Verteidigungsausgaben und die Hilfe für die Ukraine „nicht auf Kosten der Modernisierung unseres Landes, nicht auf Kosten des sozialen Zusammenhalts, nicht auf Kosten von Rentenversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung und nicht auf Kosten des Miteinanders, das wir brauchen“ zu finanzieren. Dabei lässt er unausgesprochen Zweifel mitschwingen, ob Pistorius ein solches Programm glaubwürdig verkörpern könnte. 

Bundestagsabgeordnete rücken immer stärker auch die Verantwortung der Parteivorsitzenden und des Generalsekretärs Matthias Miersch in den Fokus. Miersch hat noch einmal betont, Olaf Scholz sei Bundeskanzler und werde auch wieder Kanzlerkandidat der SPD. Sollte es so kommen, die Operation aber schiefgehen und die SPD eine schwere Niederlage bei der für den 23. Februar geplanten Neuwahl des Bundestags einfahren, könnte dies auch zu personellen Konsequenzen an der Parteispitze führen; insgesamt werden dem Krisenmanagement der vergangenen Tage schlechte Noten erteilt.

SPD-Chef: Lasse mir keinen Zeitplan diktieren

Klingbeil will eine möglichst rasche Entscheidung und verteidigt seine Unterstützung für Bundeskanzler Olaf Scholz. „Es wird jetzt eine zügige Entscheidung geben“, sagte Klingbeil im Podcast des „Bild“-Journalisten Paul Ronzheimer. Zugleich kritisierte die ganze Debatte – in Medien und seiner eigenen Partei. „Ich lasse mir nicht von Journalisten, auch nicht von Strömungsvertretern jetzt einen Zeitplan diktieren, sondern das müssen wir als Parteivorsitzende schon selbst entscheiden.“ Er rede gerade mit vielen Menschen und horche in die Partei hinein, um ein Stimmungsbild zu erfassen.

Seine Aufgabe in den nächsten Tagen sei es Geschlossenheit herzustellen, so dass alle eine Entscheidung der Parteiführung mittrügen. Parteistrategen sagten der SZ, am besten wären nach der Debatte letzten Tage ein gemeinsamer Auftritt von Scholz und Pistorius, bei dem der Verteidigungsminister sagen würde, er stehe nicht zur Verfügung und bitte die Partei, sich trotz aller Zweifel hinter einer Kandidatur von Olaf Scholz zu versammeln. Mit Sorge wird allerdings gesehen, dass an der Basis die Vorbehalte teils groß sind und es schon Ankündigungen gibt, für Scholz keinen Wahlkampf machen und keine Plakate aufhängen zu wollen. 

Auf dem Spiel stehen Mandate und Geld

Unter den Abgeordneten wird auch betont, dass von den derzeit 207 Bundestagsmandaten mehr als 100 wegfallen könnten. Das hätte gravierende Auswirkungen auf die Parteienfinanzierung, viele Strukturen würden wegbrechen. Gerade in Ostdeutschland, wo die AfD immer stärker wird, wäre man dann noch geschwächter und könne in einigen Regionen kaum noch in der Fläche präsent sein. Zugleich wird eingeräumt, dass Pistorius vor allem eine Projektionsfläche sei. Der Verteidigungsminister betont stets seine Loyalität zum Kanzler. Pistorius antwortete in einem Interview der Mediengruppe Bayern auf die Frage, ob er glaube, dass Scholz dabei bleibe, als Kanzlerkandidat ins Rennen zu gehen: „Ja.“ Ob er andernfalls selbst bereitstünde, beantwortete Pistorius so: „Ich beantworte grundsätzlich keine hypothetischen Fragen, weil eine Antwort, die ich heute gebe, übermorgen schon hinfällig sein kann.“

Am Montag, 25. November, ist eine Präsidiums- und Vorstandssitzung geplant – spätestens da könnte eine Entscheidung fallen. Pistorius hat für den Tag bereits eine eigene Planung: Er hat seine Amtskollegen aus Frankreich, Großbritannien, Polen und Italien in den Berliner Bendlerblock eingeladen, um über eine Stärkung der Sicherheit und Verteidigung in Europa zu sprechen.

Am 30. November folgt bei der SPD dann die „Wahlsieg-Konferenz“, bei der der designierte Kanzlerkandidat eine Rede halten soll. Am 16. Dezember will Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Verliert er sie wie erwartet, wäre der Weg für eine Neuwahl frei, sofern Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Auflösung des Bundestags genehmigt. Am 11. Januar folgt ein Sonderparteitag zur offiziellen Kür und Wahl des Kanzlerkandidaten.

Generell besteht nach den wilden Tagen in der Partei die Sorge, dass die Debatte nur kurzzeitig zu beruhigen sein wird – und man nicht geschlossen in den Wahlkampf zieht.

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