Süddeutsche Zeitung

SPD:Jetzt muss sich Gabriel die K-Frage stellen

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Wird Martin Schulz Außenminister? Oder sogar Kanzlerkandidat? In der SPD sind sie sich einig: Jetzt kommt es vor allem auf Sigmar Gabriel an.

Von Christoph Hickmann

Ob sich die beiden abgesprochen haben? Wohl kaum, doch was Sigmar Gabriel und Martin Schulz am Donnerstagmorgen abliefern, bringt die personelle Lage der SPD ziemlich hübsch auf den Punkt. Während Schulz in Brüssel seinen bevorstehenden Abschied aus der Europapolitik erklärt und damit bestätigt, was in der Nacht zuvor bekannt geworden ist, steht Sigmar Gabriel im Bundestag am Rednerpult. Und beide zeigen noch mal, was sie so draufhaben.

Schulz erklärt für die Kameras, dass er im nächsten Jahr zur Bundestagswahl antreten werde, auf Platz eins der nordrhein-westfälischen Landesliste - dabei spricht er in drei Sprachen, auf Deutsch, Englisch und Französisch. Seht her, so lautet das Signal, das der Präsident des Europäischen Parlaments mit diesem Auftritt aussendet, hier kommt kein künftiger Hinterbänkler nach Berlin, sondern einer, der sich auskennt in der Welt. Und der sich schon deshalb nicht brav hinten anstellen wird.

Zur gleichen Zeit spricht der Vizekanzler und Wirtschaftsminister in der Haushaltsdebatte des Bundestags zum Einzelplan seines Ministeriums - und zeigt sich auf jeden Zwischenruf der Opposition hin so angriffslustig und schlagfertig, wie man das von ihm gewohnt ist. Gabriel, das strahlt sein Auftritt aus, ist hier immer noch der Chef im Ring. Wenn er will.

Manche Genossen zweifeln, dass sie mit der Kür warten können

Das ist jetzt die Lage bei den Sozialdemokraten, kurz nachdem Angela Merkel erklärt hat, bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr erneut zu kandidieren: Parteichef Gabriel, gestärkt durch seine Erfolge der vergangenen Wochen, könnte jederzeit nach der Kanzlerkandidatur greifen. Für den Fall, dass er nicht zugreift, steht Schulz bereit. Und am Rand lauert weiter Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, der in seiner Karriere schon häufiger durch ruhiges Abwarten ans Ziel gekommen ist. Im Grunde genommen ist dies die gleiche Ausgangslage wie vor Schulz' Erklärung. Und doch hat sich einiges verschoben.

Schulz war in der SPD lange Zeit so etwas wie eine angenehme Fantasie. Diejenigen, die Gabriel skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, konnten sich stets mit dem Gedanken behelfen, dass es da ja noch den Martin gebe. Allzu konkret aber wurde das letztlich nie, weil immer klar war, dass erst Schulz' Zukunft in Brüssel geklärt sein müsste - also die Frage, ob die Christdemokraten im Europäischen Parlament ihn entgegen der bisherigen Absprache weiter als Präsidenten des Hauses mittragen würden. Die Frage, ob Schulz wirklich Brüssel verlassen und damit den entscheidenden Teil seines politischen Lebenswerks hinter sich lassen würde, war offen. Nun ist sie geklärt. Und damit ist ein Kanzlerkandidat Schulz plötzlich eine sehr reale Option.

Obendrein hat Schulz es zumindest für den ersten Augenblick geschafft, dass sein Wechsel in die Bundespolitik wie ein freier Entschluss aus einer Position der Stärke heraus wirkt. Statt als abgemeierter Europapolitiker dazustehen, der in Berlin ein neues Auskommen sucht, erklärt er selbstbewusst seinen (zuvor mit den Spitzen der Landespartei abgesprochenen) Anspruch auf den ersten Listenplatz.

Gerät damit der Zeitplan der Sozialdemokraten ins Wanken, die doch grade erst beschlossen hatten, die Frage der Kandidatur erst im Januar zu klären? Das sehen am Donnerstag viele in der Partei so: Der Plan sei nun kaum noch zu halten. Man kann es allerdings auch andersherum betrachten: Nachdem Schulz sich erklärt hat, ist der Zeitdruck erst mal raus. Der war zuletzt vor allem aus der Befürchtung entstanden, die Christdemokraten in Brüssel könnten in den nächsten Wochen einen eigenen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten präsentieren und Schulz dadurch als den großen Verlierer dastehen lassen. Sollte die SPD nun diszipliniert bleiben, wäre es durchaus möglich, die Frage bis Januar offen zu lassen.

Es kommt jetzt vor allem auf Sigmar Gabriel an. Darauf, was er eigentlich will.

Sollte Gabriel im Sinn haben, auf die Kandidatur zu verzichten, könnte ihm auf den ersten Blick nichts Besseres passieren als die Tatsache, dass Schulz nun hochoffiziell zur Verfügung steht. Allerdings hat der vermeintliche Hoffnungsmann Schulz in den vergangenen Wochen derart intensiv in der Partei für sich geworben, dass Gabriel nicht nur begeistert gewesen sein dürfte. Denn wenn er sich zurückziehen wollte, dann nur aus einer Position der Stärke heraus. Gabriel, so viel darf als gesichert gelten, will keineswegs derjenige sein, der vom Hof gedrängt wird, weil ein anderer, in der Partei populärerer Kandidat den Platz beansprucht. Insofern war es für Gabriel ganz bequem, solange Schulz' Zukunft in Brüssel ungeklärt war. Dessen Entscheidung sei "eine schlechte Nachricht für Europa - und eine gute für Deutschland", so schrieb es Gabriel am Donnerstag im Kurznachrichtendienst Twitter. Was ja zumindest angemessen freundlich klang.

Aber da ist ja auch noch eine andere, zentrale Frage, die geklärt werden muss: Wer folgt auf Außenminister Frank-Walter Steinmeier, wenn der im Februar zum Bundespräsidenten gewählt wird? Schon vor der Nacht zum Donnerstag war immer wieder Schulz genannt worden, zu dem es von Format und Erfahrung her in der SPD eigentlich keine Alternative gebe. Und nun, nach seiner Erklärung, gibt es erst recht kaum noch schwerwiegende Argumente, mit denen Gabriel ihm das Außenministerium verweigern könnte. Allerdings gilt die Variante, wonach Schulz zugleich Außenminister und Kanzlerkandidat wird, als eher unwahrscheinlich. Das sähe schon rein machttaktisch seltsam aus: Der Kandidat tritt ins Kabinett ein, und zwar unter einer Kanzlerin, die er als Wahlkämpfer vom ersten Tag an attackieren müsste? Auch hier kommt es darauf an, was Sigmar Gabriel sich überlegt hat oder noch überlegt.

Bleibt die Frage, wie die Partei auf die neuesten Entwicklungen reagiert. Schulz hat seit einiger Zeit seine eigene Anhängerschaft, die ihn gern als Kandidaten sähe. Entsprechend viele Genossen begrüßten am Donnerstag die Nachrichten aus Brüssel. Doch es gibt auch entscheidende Akteure, die sich zuletzt für Gabriel ausgesprochen haben - darunter ausgerechnet Hannelore Kraft. Die ist nicht nur Ministerpräsidentin in NRW, sondern auch Chefin jenes SPD-Landesverbands, für den Schulz nun auf Listenplatz eins zur Wahl antreten soll. Es bleibt kompliziert bei der SPD.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2016
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