SPD-interner Streit um Agenda 2010:Marmor, Stein und Knochen bricht

Von Rückschritten, Rücktritten und verschwurbelten Kompromissen: Hier sind die drei Szenarien, die nach dem PR-Desaster um den SPD-Richtungsstreit in Sachen Agenda 2010 zwischen Beck und Müntefering denkbar sind.

Thorsten Denkler, Berlin

Szenario 1: Müntefering verliert, tritt zurück und Beck kommt nach Berlin

Franz Müntefering ist ein harter Knochen. Er steht fest zu seinen Prinzipien, fest zu seiner Weltanschauung. Fest zur Agenda 2010. Er gehört zu der Sorte von Politikern, die eine Drohung mit dem Rücktritt nicht scheuen. Sie wissen, dass sie den Schritt machen würden, wenn es darauf ankommt.

Es kam schon mal drauf an. Da ging es lediglich um eine Personalie. Müntefering wollte seinen politischen Ziehsohn Kajo Wasserhövel als Generalsekretär durchsetzen. Die Linke begehrte dagegen auf. Mit bitterem Erfolg. Müntefering trat kurzerhand als Vorsitzender der SPD zurück.

Eine ähnliche Situation könnte jetzt erneut auf die SPD zukommen. Parteichef Kurt Beck will älteren Arbeitnehmern länger Arbeitslosengeld I gewähren. Franz Müntefering steht dem Ansinnen diametral entgegen.

Müntefering hat nichts zu verlieren

Beck will den Parteitag Ende Oktober in Hamburg entscheiden lassen. Der Sieg ist ihm so gut wie sicher. Doch am Ende dürfte die SPD den Posten des Vizekanzlers und Arbeitsministers neu zu besetzen haben.

Müntefering hat nichts zu verlieren. Im Januar wird er 68 Jahre alt. Mehr als das was er ist, kann und will er nicht werden. Und das was er ist, will er nach der Wahl 2009 ohnehin nicht mehr sein. Beschlösse der Parteitag den Rückschritt, Münteferings Rücktritt wäre hoch wahrscheinlich.

Schwierig wäre ein Rücktritt für Kurt Beck. Der müsste die Lücke wohl oder übel ausfüllen. Erst den Vizekanzler zu Fall bringen und dann nicht die Verantwortung übernehmen, das geht nicht mal in der SPD. Er wird dann wohl seinen geliebten Posten als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz aufgeben und an die Spree wechseln müssen.

Szenario 2: Ein Kompromiss rettet Beck, Müntefering und die Agenda 2010

Eine klare Niederlage Münteferings und dessen sofortiger Rücktritt kurz danach, sind weder für den Vizekanzler noch für Beck erstrebenswerte Ziele. Auf dem Parteitag der SPD könnte deshalb am Ende ein Formelkompromiss zur Abstimmung stehen. Die Anforderung: Er müsste Müntefering erlauben, weiterzumachen und es Beck möglich machen, mit dem Thema in den Wahlkampf zu ziehen.

Für den Kompromiss gibt es mehrere Optionen. Etwa, dass das Arbeitslosengeld nicht sofort, sondern erst in der nächsten Wahlperiode verlängert werden soll. Oder dass zunächst geprüft werden soll, wie sich eine Verlängerung auf den Arbeitsmarkt auswirken würde, um später grundsätzlich zu entscheiden. Geprüft werden müsste dann in Münteferings Ministerium.

Die Union müsste mitspielen

Hinzu kommt: Änderungen an der Agenda 2010 kann der Parteitag der SPD zwar wollen. Beschlossen sind sie damit noch lange nicht. Der Koalitionsparter müsste mitspielen.

Zwar gehört der Beck-Vorschlag grundsätzlich auch zur Beschlusslage der CDU. Doch von der Kanzlerin weiß man, dass sie da eher an der Seite ihres Vizekanzlers steht.

Unklar ist auch die Finanzierung. In der CDU heißt es, dass eine Verlängerung kostenneutral sein soll. Das bedeutet: Jüngere Arbeitnehmer müssten mit einer verkürzten Bezugdauer rechnen. Beck lehnt das ab.

Es gibt also noch genug Streitpunkte, mit denen sich Becks Projekt in die Länge ziehen ließe. Bis zur Wahl 2009 ist es nicht mehr lange hin. Spätestens in einem Jahr wird die Regierung ihre ernsthafte Arbeit an echten Reformprojekten im Wesentlichen einstellen. Und im Herbst 2009 werden die Karten ohnehin neu gemischt.

Szenario 3: Müntefering gewinnt und die SPD verliert die nächste Wahl.

Fachleute wissen: Inhaltlich gesehen hat Müntefering die besseren Argumente. Das verkürzte Arbeitslosengeld hat die vormals ausufernde Frühverrentung eingedämmt. Ältere Arbeitlose kommen inzwischen schneller wieder in Lohn und Brot. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen nimmt kontinuierlich ab.

Beck will die Frage dennoch auf dem Programm-Parteitag Ende Oktober in Hamburg entscheiden lassen. Für Müntefering könnte genau darin seine Chance liegen.

Parteitage der SPD entwickeln nicht selten eine eigene Dynamik. Auf dem Mannheimer Parteitag 1995 hat Oskar Lafontaine mit einer Rede Parteichef Rudolf Scharping aus dem Amt gefegt.

Müntefering könnte Stimmung noch kippen

Auch Müntefering ist ein hervorragender Redner. Er wäre durchaus in der Lage, dem Parteitag zugleich einen wärmenden roten Schal umzulegen und dennoch die Agenda 2010 zu loben. Nicht auszuschließen, dass er die Stimmung in der Partei zu seinen Gunsten kippen kann.

Wenn nun aber Müntefering glaubt, mit den jetzt sichtbaren Erfolgen der Agenda 2010 ließe sich die nächste Bundestagswahl gewinnen, dann irrt er. Demoskopen messen seit Jahren: Die Agenda wird von den Menschen als Last wahrgenommen, als etwas, das ihnen Sicherheit genommen hat. Das Umfragetief der SPD ist letztlich auf die Agenda 2010 zurückzuführen.

Parteipolitisch gesehen hat also Beck Recht. Wenn die SPD zu alter Stärke zurückfinden will, muss sie die Agenda 2010 aus den Köpfen der Menschen vertreiben. Und das bedeutet, sie an den besonders schmerzhaften Stellen rückgängig zu machen oder abzumildern. Auch dann, wenn es unvernünftig ist.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: