Süddeutsche Zeitung

SPD in Rheinland-Pfalz: Kurt Beck:Der Chef steht wieder im Ring

Weniger Gewicht, Salzpastillen, gerösteter Saumagen: Kurt Beck möchte mit der SPD wieder stärkste Partei werden. Der Ministerpräsident rechnet sich große Chancen aus und spricht auf seiner Wahlkampftour von "40 Prozent plus x".

Marc Widmann, Bendorf-Sayn

Moritz wird die SPD am Sonntag nicht wählen, so viel ist sicher, trotzdem krault ihn der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz hingebungsvoll. "Ja, das beruhigt", brummt Kurt Beck. Tatsächlich wirkt Moritz, der prachtvolle Hahn am Eierstand auf dem Mainzer Wochenmarkt entspannt.

"Hat er auch 'n paar nette Hühner?", will Beck wissen. Er hat. Dann lassen sie sich fotografieren: der Hahn, der alte Bauer, Beck, auch Passanten knipsen mit, und man fragt sich, wer von den dreien hier wohl das bekannteste Maskottchen ist.

Seit bald 17 Jahren regiert Beck in Mainz, sein Gesicht steht für dieses Land, und wenn es nach ihm geht, soll das noch einmal fünf Jahre so bleiben. Er hat abgenommen. Er lutscht wieder Emser Salzpastillen für die Stimme. Kurt Beck wirft sich noch einmal hinein. "40 Prozent plus x" will er erreichen, das wird laut den Umfragen zwar eng, doch stärkste Kraft könnte seine SPD durchaus werden.

Der Wahlkampf mache ihm Freude, sagt Beck, "jedenfalls mehr, als wenn ich jetzt auf Sylt rumsitzen müsste". Das ist ein Hieb gegen alle Landeschefs, die sich in den vergangenen Monaten aus dem Staub gemacht haben. Ein vorzeitiger Abgang? Undenkbar für ihn. "Die hedonistische Strömung ist mir schon immer auf den Geist gegangen."

Es gibt drei Gründe, warum er die Politik so lange durchgehalten hat und sie noch weiter betreiben will, sie liegen an seinem Lebensweg, am Zustand seiner Partei, aber auch am Land selbst. Vor einem Wurststand wollen Reporter wissen, was Becks Lieblingsessen ist. Er beginnt einen kleinen Vortrag über den perfekt zubereiteten Saumagen. Ganz wichtig: "Dass man ihn im Backofen außen noch mal als Ganzes röstet". Dazu "bissfestes Sauerkraut".

Ausgerechnet Saumagen, das Helmut-Kohl-Gericht. Alle Vorurteile über Rheinland-Pfalz sind in diesem Wort verwurstet: das Provinzielle, Bräsige, Hinterwäldlerische; was haben sich die Reporter im fernen Berlin lustig gemacht über dieses saumagenhafte Land. Und genau darin liegt der erste Grund, warum Kurt Beck noch immer in der Politik ist, trotz seiner größten Niederlage.

Vor zweieinhalb Jahren war er fast am Ende. Geschlagen und gedemütigt kehrte er heim aus Berlin, am Schwielowsee von eigenen Parteifreunden abgesägt als SPD-Chef. Er sah furchtbar aus, er wolle hinschmeißen, sagte er in kleiner Runde. Dann geschah ein kleines Wunder. Eine Woche später war ein Landesparteitag angesetzt, und der Gedemütigte wurde von der Zuneigung seiner Partei überrollt.

Sie wählten ihn mit 99,5 Prozent erneut zum Landeschef. Sie feierten ihn. Sie sagten ihm, dass es eine Sauerei sei, wie die Berliner mit ihm umgingen. Viele sahen das so: Wer Beck als Provinzler beleidigte, der beleidigte alle Rheinland-Pfälzer. "Da hakt man sich unter", sagt ein hoher SPD-Mann aus dem Land. So geschah es, dass die Niederlage im fernen Berlin Kurt Beck noch stärker machte in der Heimat.

Er sei viel vorsichtiger geworden, erzählt er. In Mainz aber ist er sicher vor dem "Wolfsrudel", das er in Berlin zu sehen glaubte, die Zeit scheint hier gemächlicher zu vergehen. Hier ist er bis heute der klare "Chef im Ring", wie es ein SPDler nennt. Niemand stellt ihn in Frage. "Keiner wetzt das Messer." Das ist das zweite Geheimnis von Becks Reich; es ist auch tückisch, weil es niemanden gibt, der Beck kontrolliert, kein Gegengewicht.

62 Jahre ist Beck mittlerweile, es wäre nicht ungewöhnlich, wenn sich hinter ihm ein Finger heben würde für die Nachfolge. Wenn die Ellenbogen ausgefahren würden in der zweiten Reihe. Doch hinter Beck stehen als mögliche Nachfolger nur zwei Männer und eine Frau - und applaudieren. Sie warten artig, was ihr Chef nach der Wahl mit ihnen vorhat, für wen er sich entscheidet.

So hält es Roger Lewentz, Staatssekretär im Innenministerium, der womöglich bald zum Minister aufsteigt. So macht es Doris Ahnen, erfahrene Bildungsministerin. Auch Hendrik Hering, der Wirtschaftsminister. Allen dreien ist klar, dass die SPD in Rheinland-Pfalz ein gewaltiges Problem hat, wenn Beck nicht mehr da ist.

Im Grunde ist Rheinland-Pfalz ein konservatives Land, nur bei Landtagswahlen stimmt es massenhaft für die SPD. Das liegt nicht allein an den lange zerstrittenen Christdemokraten, sondern vor allem an Becks Person. Am dritten Grund, warum er noch im Amt ist. Er kann nicht anders.

"Er lebt voll in der Politik", sagt ein Vertrauter, "außer dem Besuch von Fußballspielen leistet er sich kaum etwas." Beck ist anders sozialisiert als die meisten Politiker. Sein Vater war Maurer, von ihm hat er die Arbeitshaltung. Beck ging in die Volksschule, holte abends die Mittlere Reife nach, lernte Elektromechaniker, zur SPD gelangte er über die Gewerkschaft.

Er kommt aus dem einfachen Volk und kann bis heute am besten mit normalen Menschen. Wenn er wieder einmal von Begegnungen mit Müllmännern erzählt, kann man davon ausgehen, dass er sich tatsächlich mit ihnen unterhalten hat. Solche Begegnungen "sind eine Vitaminzufuhr für ihn", sagt ein SPD-Mann. Aus ihnen leitet er ab, was das Volk will. Distanz hält er zu den Alpha-Tieren, denen mit Manschettenknöpfen.

Am Abend in Bendorf-Sayn, eine alte Industriehalle, 400 Zuhörer, Beck schreit: "Vetterleswirtschaft, das wird's bei mir nie geben!" Die Kampagne der CDU trifft ihn, sie zählt Skandale auf und spricht von Rheinland-Filz. "Dieses Land ist alles andere als ein Skandalland", ruft Beck. Er glaubt, dass die Bürger es genauso sehen, dass sie auf Verlässlichkeit setzen. Auf Erfahrung. Auf ihn.

Um kurz vor zehn ist er fertig. Er streift das Sakko ab, winkt, dann verschwindet er in seinem Dienst-Audi: "Jetzt schnell rein, 's Hemd is nassgeschwitzt."

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Quelle:
SZ vom 22.3.2011/hü
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