Süddeutsche Zeitung

SPD in einer großen Koalition:Zerrieben von der Verantwortung

Ginge die SPD eine große Koalition ein, wer sollte sie dafür wirklich tadeln? Doch die Sozialdemokraten, die sich fortwährend in die Pflicht nehmen lassen, könnten einen hohen Preis bezahlen. Wenn sie an so einer Regierung nicht endgültig zerbrechen wollen, müssen sie zuerst ihre internen Machtfragen klären.

Ein Kommentar von Nico Fried

Vielleicht braucht die SPD noch etwas Zeit, um ein paar Wahrheiten deutlich auszusprechen. Das Wahlergebnis von 25,7 Prozent ist nicht nur "weniger als erhofft", sondern ein Debakel. Der Wahlkampf, den der Kandidat und die Parteispitze verantworten, mag eifrig gewesen sein; gut war er nicht, sonst hätte die SPD ein besseres Resultat erzielt. Und Peer Steinbrück kann noch so oft erzählen, er sei schon immer eine Art Linker gewesen - die Idee hinter seiner Kandidatur hieß, dass er Stimmen im bürgerlichen Lager holt. Stattdessen sind Hunderttausende SPD-Wähler zu Angela Merkel übergelaufen.

Die Sozialdemokraten befinden sich nach dieser Bundestagswahl in einer wahrhaft misslichen Lage, um es sehr vornehm auszudrücken. Ihr Ergebnis ist so gefährlich, weil es zu schlecht ist, um glaubwürdig als Erfolg gewertet zu werden, aber nicht schlecht genug, dass etwa personelle Konsequenzen nun selbstverständlich wären. Weil dieser Zustand keinem wohl-, vor allem aber niemandem wehtut, hängt die SPD in einer Schwebe, in der niemandem etwas zustößt, solange sich keiner zu heftig bewegt.

Erst das Land, dann die Partei

In diesem Zustand rätselt die SPD nun, ob sie in eine große Koalition gehen soll, die schon von den Kräfteverhältnissen her nichts mit dem Modell von 2005 zu tun hat. Damals begegneten sich Union und Sozialdemokraten nach einem desaströsen Ergebnis Merkels und einem Sensationserfolg der SPD auf Augenhöhe. Diesmal ist die Ausgangslage nicht nur umgekehrt, sondern für die SPD noch prekärer: Bei einem Abstand von circa 16 Prozentpunkten kann man ja nur mit viel gutem Willen überhaupt von einer großen Koalition sprechen.

Mit dem Gesprächsangebot Merkels stellt sich für die SPD die Frage, ob sie sich trotz denkbar schlechter Voraussetzungen noch einmal in die staatspolitische Verantwortung nehmen lässt. Erst das Land, dann die Partei, heißt das politische Glaubensbekenntnis, das auch Angela Merkel gerne als Druckmittel gegen die SPD ins Feld führt.

Die Sozialdemokraten freilich müssen sich in diesem Punkt nun wahrlich keine Vorwürfe machen lassen. Sie haben sich diesem Anspruch nicht nur elf Jahre lang in der Regierung bis zur Selbstaufgabe unterworfen und dabei das Land weit vorangebracht. Genau genommen, hat die SPD in der Opposition noch einmal vier Jahre Verantwortung drangehängt, wenn man an ihre Hilfe bei der Rettung des Euro denkt.

2005 ging es für eine schwer angeschlagene Angela Merkel darum, sich mit der großen Koalition ins Kanzleramt zu retten. 2013 steht ihr diese Variante, aber es stehen ihr auch andere bis hin zu Neuwahlen zur Verfügung. 2005 konnten Gerhard Schröder und Franz Müntefering elementare Forderungen der SPD durchsetzen, ehe überhaupt mit der Union verhandelt wurde. 2013 können die Sozialdemokraten nur im Verhältnis 25 zu 41 Bedingungen diktieren.

Das Argument der Verantwortung fürs Ganze wiegt schwer. Und trotzdem ist ihm entgegenzuhalten, dass eine SPD, die sich fortwährend in die Pflicht nehmen lässt und dafür auf der Strecke einen hohen Preis bezahlt, irgendwann zerschunden sein wird. In dem Zustand, in dem die SPD jetzt ist, mag sie gut genug sein, Mehrheiten zu beschaffen. Aber langfristig geht mit einer ausgelaugten SPD dem Land mehr verloren, als es ihm kurzfristig nützt. Die Sozialdemokratie droht dann zu einer Funktionspartei zu degenerieren, zu einer großen FDP.

Mit einer großen Koalition bleibt alles wie es ist

Die Gefahr einer Koalition mit der Union besteht für die SPD auch darin, dass sie die unumgängliche Neudefinition ihres politischen Kerns wieder der notwendigen Disziplin des Regierens unterordnet. Dafür bietet die erste große Koalition mit dem Konflikt zwischen Vizekanzler Franz Müntefering und Parteichef Kurt Beck jede Menge ebenso lehrreiches wie unerquickliches Anschauungsmaterial.

Ähnliches gilt fürs Personal. Die große Koalition wäre der Garant dafür, dass alles bleibt, wie es ist: ein Parteichef, der an der Basis viel, aber im Rest der Führung zu wenig Vertrauen genießt. Ein Noch-Fraktionschef, der mit diesem Parteivorsitzenden offen über Kreuz liegt. Mehrere Ministerpräsidenten, die sich gegenseitig belauern. Eine B-Mannschaft im Kabinett. Und womöglich noch ein Ex-Kandidat, der in ein Führungsamt gehievt wird, obwohl er mit seiner überflüssigen Festlegung, nicht mehr in ein Kabinett Merkel zu gehen, das Wahlergebnis und so die Voraussetzungen der SPD für eine große Koalition erst richtig verschlechtert hat.

Die SPD kann in die große Koalition gehen. Wer sollte sie dafür wirklich tadeln? Es wäre die einfachste Lösung für alle Beteiligten und fürs Land. Wenn sie aber an so einer Regierung nicht endgültig zerbrechen will, muss sie ihre eigenen Machtfragen klären. Ein fragiles Gleichgewicht des Schreckens in der SPD ist zu schwach, um in einer Koalition mit einem solchen Ungleichgewicht der Partner zu bestehen.

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SZ vom 24.09.2013/sana
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