SPD im Umfragetief:Raus aus dem Ghetto

Die SPD verharrt in Umfragen konstant bei 25 Prozent - weil sie sich nicht zu den Menschen traut. Es ginge auch anders.

Von Ludwig Stiegler

Die SPD stagniert in den Umfragen. Das lässt viele irritiert fragen, warum die Partei denn nicht für die sozialdemokratische Politik der großen Koalition belohnt wird. Diese Überlegung lenkt von dem eigentlichen Problem der SPD ab. Das ist zum einen die Möglichkeit einer rot-grün-roten Koalition. Auf einem Konvent hat sich die Partei dafür grundsätzlich offen gezeigt. Wieso wundert sich dann jemand, dass die Wähleranteile der Linken und der Grünen stabil bleiben? Warum soll jemand von der Linken wieder zur SPD wechseln, wenn er Aussichten zu haben glaubt, in einer rot-grün-roten Koalition zu landen?

Am linken Rand ist nichts zu holen

Ist das aber begriffen, ist die Malaise der SPD nur noch eine einfache Rechnung: Am linken Rand kann die SPD nicht offensiv wirken und Wählerinnen und Wähler zurückholen, weil sie sonst Wahlkampf im "eigenen" Lager führen würde. Und ein bloßer Wählertausch zwischen Linken, Grünen und SPD wird nicht genügen, um eine Mehrheit zu gewinnen.

Umgekehrt betreiben Linke und Grüne als Opposition zur großen Koalition ohnehin den "Aktivtausch" - wie man das in der Bilanztheorie nennen würde -, indem sie die SPD angreifen. Auf dieser Seite des politischen Spektrums ist also bei gegebener Gesamtstrategie nichts zu holen. Es sind allenfalls Besitzstände zu erhalten.

In der entideologisierten Mitte herrscht die Merkel-Union

Und in der linken Mitte? Da sitzt die Merkel-Union. Deren Akteure sind darüber zwar nicht glücklich. Es gibt auch Widerstand gegen die "Sozialdemokratisierung" der Union. Aber Angela Merkel hat die Union vom wirtschaftsliberalen Leipziger Programm unter dem Murren des Wirtschafts-Flügels in die linke Mitte getrieben - mit Hilfe der Sozialausschüsse, die mit Unterstützung der SPD manche ihrer Forderungen umsetzen konnten.

Warum sollen Wählerinnen und Wähler, die von Union und SPD zusammen Mindestlohn, Rentenreform, Quotengesetz und andere sozialdemokratische Lösungen zu neunzig Prozent bekommen, in einer entideologisierten Mitte aufhören, Merkel zu vertrauen? Sie hält die CDU auf einem Kurs, der auch denen gefällt, die sich grundsätzlich vorstellen können, SPD zu wählen. Viele von denen, übrigens auch SPD-Wähler, wollen keine Koalition unter Beteiligung der Linken auf Bundesebene. Warum sollen sie auf die SPD setzen, wo sie doch in einer Koalition unter Führung der CDU die Politik bekommen, die sie wollen?

Es genügen also die Grundrechenarten, um zu erkennen, dass die SPD derzeit nicht besser dastehen kann. Bei der Dominanz, die Frau Merkel in europäischen und internationalen Themen ausstrahlt, ist eher die Leistung von Sigmar Gabriel und den anderen sozialdemokratischen Ministern zu bewundern, nicht weiter abgerutscht zu sein. Dieser nüchterne strategische Befund ist kein Grund zur Resignation. Es gibt auch in dieser Lage Optionen, die die Lage der SPD erheblich verbessern können.

Die SPD muss auf die Nichtwähler zugehen

Die derzeitige Stimmenverteilung ist zu einem großen Teil Folge der gesunkenen Wahlbeteiligung. Viele, die früher SPD gewählt haben oder sich vorstellen können, SPD zu wählen, sind nicht mehr zur Wahl gegangen, aus welchen Motiven heraus auch immer. Die Enttäuschungs-Nichtwähler oder die Protest-Nichtwähler sind eine wichtige Zielgruppe, die man abholen muss.

Als Sigmar Gabriel sich kürzlich auf ein Gespräch mit Pegida-Anhängern einließ, haben viele die Nase gerümpft. Mit denen spreche man nicht, die bekämpfe man nur, konnte man hören und lesen. Eine nähere Analyse derer, die im Protest mitliefen, hätte aber nachdenklich machen können. Es sind viele enttäuschte Anhänger der sogenannten Volksparteien, auch der SPD darunter. Wer Demokratie ernst nimmt, muss über die Dörfer gehen und auch an den Stammtischen das geduldige Gespräch suchen.

Hier hat Sigmar Gabriel ein Zeichen gesetzt, das andere erkennen und kopieren sollten: das große Gespräch mit jedermann, auch wenn er andere Ansichten hat. Ich hätte erwartet, dass der Parteivorstand und die Fraktion mit Regionalkonferenzen über die Lande ziehen und um jede Seele kämpfen. Nicht als Partei der Besserwisser, sondern als Partei, die denen, die Sorgen und Probleme haben, wieder Hoffnung gibt. Aus Nichtwählern wieder Wähler zu machen, das ist die Chance der SPD.

Die SPD muss sich um die Arbeiterinnen und Angestellten kümmern

Niemand kann verleugnen, dass wir durch die Agenda 2010 Vertrauen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verloren haben. Das Vertrauen lässt sich aber zurückgewinnen. Die Politik der SPD in der großen Koalition hat manches wieder repariert, das reicht aber nicht.

Ohne intensive und regelmäßige Gespräche mit den Betriebsräten und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten geht es nicht. Es genügt auch nicht, mit der Union die Frauenquote in Spitzenämtern anzuheben. Auch wenn CDU und CSU murren - es bringt keine Wählerinnenwanderung zur SPD. Es ist deshalb ganz wichtig, dass wir uns um die Arbeiterinnen und Angestellten und deren Arbeits-, Lebens-, Bildungs- und Familienbedingungen kümmern, auch im Konflikt mit der Union.

Ohne Duldung durch Handwerk und Mittelstand kann die SPD nicht regieren

Die SPD steht in der Vorstellung vieler für Verteilungsgerechtigkeit. Bevor etwas verteilt werden kann, muss es aber erst einmal vorhanden sein. Sigmar Gabriel betreibt daher eine zweigleisige Wirtschaftspolitik, um Produktion und Verteilung zu gewährleisten. Dies kann die SPD aus der von vielen wahrgenommenen Einseitigkeit holen und auf diesem Wege auch Gründer und arbeitnehmerähnliche Selbständige in den Start-up-Unternehmen an die SPD heranführen. Das bedarf zunächst der Überzeugungsarbeit in der Partei, deren Durchschnittsalter befürchten lässt, dass die jüngeren Entwicklungen nicht voll wahrgenommen worden sind. Ohne das Vertrauen oder wenigstens die Duldung durch das Handwerk und den Mittelstand werden wir dieses Land nicht regieren können.

Kleiner Parteitag Bayern SPD - Ludwig Stiegler

SZ-Gastautor Ludwig Stiegler war bis 2009 Bundestagsabgeordneter der SPD und von 2003 bis 2009 Vorsitzender der SPD in Bayern.

(Foto: dpa)

Die Erwartung mancher, die sozialdemokratische Prägung der Politik der großen Koalition werde sich in steigende Zustimmung zur SPD verwandeln, ist falsch. Die SPD muss mit dem gabrielschen Ansatz auf die zugehen, denen wir fremd geworden sind. Es ist keine Strategie, nur auf das Ende der Ära Merkel zu setzen, solange wir nicht für viele wieder Hoffnungsträger geworden sind. Links haben wir nach Lage der Dinge nichts zu gewinnen.

Die Mitte ist noch in der Hand der Union. Aber fast die Hälfte der Wahlberechtigten geht nicht zur Wahl. Viele von ihnen aus der Resignation zu holen, ist die Bewährungsprobe für die SPD. Die SPD muss sich mit Sigmar Gabriel neu für den Kampf um die Mitte wappnen. In unserer langen Geschichte waren wir die Hoffnung der Menschen auf ein besseres Leben. Mit ihnen müssen wir erneut um Hoffnung kämpfen

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