SPD im Ruhrgebiet:"Wat ich heute an Rente kriege, dat is ne Frechheit"

Rheinschleife im Abendlicht zwischen Rheinhausen und Angerhausen Hüttenheim HKM Hüttenwerke Krupp M

Blick auf die Rheinschleife bei Rheinhausen, wo früher noch ein Stahlwerk war und heute ein Logistikunternehmen seinen Sitz hat.

(Foto: imago/Hans Blossey)

Ausgerechnet das Ruhrgebiet war entscheidend für den Absturz der NRW-SPD bei der Landtagswahl. Was ist passiert? Eine Spurensuche in Duisburgs Arbeiterstadtteil Rheinhausen.

Von Benedikt Peters, Duisburg

Auf der Kruppstraße in Duisburg-Rheinhausen sieht es so aus, als sei für die SPD noch alles in bester Ordnung. Arbeiter in Blaumännern laufen nach der Schicht über den Bürgersteig, Gabelstapler sausen über die Fabrikgelände, und an einer Laterne hängt Hannelore Kraft und lächelt. Die SPD hat ihre Wahlplakate noch nicht abgehängt, als habe die Landtagswahl noch nicht stattgefunden. Als hätten die Sozialdemokraten noch nicht ihr schlechtestes Ergebnis ihrer Geschichte in Nordrhein-Westfalen kassiert.

31,2 Prozent waren es am Ende, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist abgewählt und von allen Parteiämtern zurückgetreten. Die Parteioberen haben sich zurückgezogen und analysieren nun, woran es gelegen hat. Dabei schauen sie sehr genau auf Orte wie Rheinhausen in Duisburg im Ruhrgebiet. 77 000 Einwohner, viele Arbeiter und Angestellte. Früher hatte die SPD hier die absolute Mehrheit quasi abonniert. Landtagswahl 1980: 62,6 Prozent. 2005: 58,8 Prozent. 2012: 53,6 Prozent. Bei der Landtagswahl 2017 aber brach die Partei ein, sie verlor ganze 15 Prozent, so viel wie fast nirgendwo sonst. In vielen anderen Hochburgen im Ruhrgebiet hat sie ebenfalls zweistellig verloren. Was ist passiert?

Die örtlichen Sozialdemokraten wissen es so kurz nach der Wahl noch nicht. Sie haben sich reingehängt, sagt Dirk Smaczny vom Ortsverein Rheinhausen-Mitte, sie standen zuletzt jeden Samstag vor dem Marktforum im Zentrum von Rheinhausen. Infostand, Flugblätter, viele Gespräche. Und sie haben ja nicht allein gekämpft. Noch am Freitag vor der Wahl war Hannelore Kraft höchstpersönlich da, ein paar Kilometer weiter, im Zentrum von Duisburg, hielt sie ihre letzte große Wahlkampfveranstaltung ab. Außenminister Sigmar Gabriel redete, Kanzlerkandidat Martin Schulz redete, Kraft redete. Am Ende gab es eine große Party mit einer Rockband aus Köln. Aber genutzt hat es alles nichts. Ein paar Wochen vor der Wahl habe er noch gedacht, alles werde gut ausgehen, sagt SPD-Mann Smaczny. "Aber dann hat sich irgendwas gedreht".

Es gibt Erklärungen, die tiefer liegen

Wenn man mit den Menschen in Rheinhausen spricht, bekommt man den Eindruck, dass Smaczny Recht hat, einerseits. Die Menschen reden hier viel über die verkorkste Bildungspolitik der rot-grünen Landesregierung, über die vielen Staus und über Probleme bei der Inneren Sicherheit. All das waren Wahlkampfbotschaften, die CDU, FDP und auch AfD in den Wochen vor der Wahl verstärkt ausgesendet haben. Dass die Menschen hier gerade die Innere Sicherheit bewegt, ist nicht weiter verwunderlich. Gleich hinter dem Markt von Rheinhausen liegt ein Reisebüro, in dessen Hinterzimmer Jugendliche für die Terrormiliz "Islamischer Staat" rekrutiert worden sein sollen. Auch der Berliner Attentäter Anis Amri, dessen Fall in NRW ein großes Wahlkampfthema war, soll sich hier aufgehalten haben.

Einerseits scheinen die anderen Parteien mit ihren Wahlkampfbotschaften dieses Mal einfach besser durchgedrungen zu sein als die SPD. Aber es gibt auch Erklärungen, die tiefer liegen.

Klaus zum Beispiel wusste dieses Mal wirklich nicht mehr, was er wählen soll. Er ist seit 40 Jahren in der SPD, erzählt er, hat früher Wahlplakate geklebt und sich im Bezirksverband engagiert. Er war auch mal eine Nummer bei den Jusos. Sein richtiger Name soll keine Rolle spielen, weil er jetzt einfach mal offen reden will. Am Montagabend sitzt er in der "Kupferkanne" an der Ecke Atroper Straße und trinkt ein König Pilsener. Im Radio läuft "Ich bin wieder hier" von Marius Müller-Westernhagen. "Früher", sagt Klaus, "da hätteste auch nen Besenstiel aufet Plakat machen können. Die Leute hätten SPD gewählt. Die haben uns vertraut."

Die SPD-Botschaft von der sozialen Gerechtigkeit kommt hier nicht mehr an

Rheinhausen hat den Strukturwandel, der das Ruhrgebiet heute kennzeichnet, recht gut bewältigt. Nachdem 1993 das letzte Stahlwerk auf dem Gelände der Firma Krupp in Rheinhausen geschlossen hatte, entstand dort ein Logistikzentrum mit mehr als 2000 neuen Arbeitsplätzen. Viele der ehemaligen "Kruppianer" fanden dort Arbeit. Mit zehn Prozent ist die Arbeitslosigkeit in Rheinhausen niedriger als an anderen Standorten im Ruhrgebiet.

Und trotzdem, sagt SPD-Mann Klaus, sei etwas anders heute. "Zum Beispiel beim Einkaufen. Die Tüte Milch hat früher 60 Pfennig gekostet, heute sind es 60 Cent. Aber die Löhne und Renten der Leute sind nicht mitgestiegen. Die Leute hier haben das Gefühl, dass es ihnen schlechter geht als früher."

Einen Barhocker weiter sitzt Jürgen, ein dünner Mann Mitte sechzig, schwarz-weiß gestreiftes Hemd, früher Stahlarbeiter. Er sieht es ähnlich. "Ich hab' 48 Jahre malocht. Und wat ich heute an Rente kriege, dat is ne Frechheit." Durch die Kneipe geht ein Kopfnicken.

Jürgen war dieses Mal nicht wählen, Klaus schon

Das Paradoxe ist: Während diese Sätze in der Kupferkanne fallen, zieht der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz durch die Lande und macht Bundestagswahlkampf mit "sozialer Gerechtigkeit". Hannelore Kraft hat vor der Landtagswahl auch viel darüber geredet, sie hat versprochen, Jobs für Langzeitarbeitslose zu schaffen, Kinder nicht zurückzulassen und Sozialwohnungen zu bauen. Und trotzdem sagt Jürgen: "Die SPD hat früher was für die Arbeiter getan. Die haben zu uns gehalten. Aber heute?" Niemand in der Kneipe hat eine Antwort darauf.

Klaus glaubt, dass alle Parteien verlernt haben, ihre Sprache zu sprechen, die Sprache der kleinen Leute. "Und weil die Sozialdemokratie früher mal ihre Partei war, sind die Menschen nun besonders enttäuscht von ihr." Die Fehler im Wahlkampf, die schlechte Bildungspolitik, das schlechte Sicherheitsgefühl, auch das Festhalten am umstrittenen Innenminister Ralf Jäger, der gleich um die Ecke seinen Wahlkreis hat - alles das habe schon eine Rolle gespielt. "Aber wenn die Leute noch ihr Grundvertrauen hätten, dann hätten sie ihre Stimme trotzdem der SPD gegeben."

Jürgen sagt, er war dieses Mal gar nicht wählen. "Aus Frust." Klaus sagt, als er in der Wahlkabine stand, da habe er überlegt, ob er einfach zwei Kreuze machen soll, den Wahlzettel ungültig machen. Dann habe er doch noch einmal für die SPD gestimmt. "Aber gut, was soll ich auch machen", sagt er und lacht. "Ich bin ja auch Mitglied."

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