SPD im Dauertief:Siechende Partei Deutschlands

Der Koalitionsvertrag für die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg ist unterzeichnet, Winfried Kretschmann wird der erste grüne Regierungschef. Wie paralysiert starren die Sozialdemokraten auf die Erfolgswerte der Grünen. Wird schon irgendwie gutgehen, hoffen sie. Eine einst stolze Partei auf der Suche nach Profil.

Thorsten Denkler, Berlin

Der rot-grüne, Verzeihung, der grün-rote Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg ist fertig. Im Stuttgarter Haus der Architekten wird er an diesem denkwürdigen Mittwoch präsentiert. Ein Tag mit historischem Wert: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik führen die Grünen eine Regierung an. Erstmals ist die SPD in einem Bündnis mit den Grünen der Juniorpartner.

Grün-Rot ringt um Verteilung von Regierungsämtern

Frei nach Gerhard Schröder sind diese beiden Männer grüner Koch und roter Kellner: Der designierte baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (links) und SPD-Landeschef Nils Schmid.

(Foto: dpa)

Dass es so kommen konnte, hat viele spezifische Gründe. Fukushima-1, die Atomdebatte, der Bahnhof Stuttgart 21 - all das hat die Grünen stark gemacht und sie auf 24,2 Prozent der Stimmen getragen. Die SPD um ihren blassen und jungenhaften Spitzenkandidaten Nils Schmid konnte da nur zuschauen und rutschte mit 23,1 Prozent auf ihr historisch schlechtestes Ergebnis im Ländle.

Freuen kann sich die SPD nur darüber: Es reichte, wenn auch knapp, der CDU die Herrschaft zu nehmen. Ansonsten hat die einst so stolze Sozialdemokratische Partei Deutschlands wieder einmal erleben müssen, wie ihr die Wähler davonrennen. Die SPD heute ist die "Siechende Partei Deutschlands".

Hamburg, werfen jetzt wackere Sozialdemokraten ein, in Hamburg hat die SPD im Februar die absolute Mehrheit geholt. Stimmt. Doch wer die Wahl in einer deutschen Großstadt gleich zum Trend erklären will, der schaue doch bitte auf die Wahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und natürlich Baden-Württemberg.

In Sachsen-Anhalt hatte Spitzenkandidat Jens Bullerjahn tatsächlich darauf gehofft, das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen zu können. Ergebnis: dritte Kraft mit mageren 21,5 Prozent. Nur 0,1 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl 2006. In der letzten verbliebenen SPD-Hochburg Rheinland-Pfalz kann Kurt Beck zwar weiterregieren. Die Verluste aber sind dramatisch: minus zehn Prozentpunkte.

Konstant unter 30 Prozent

In den Umfragen sieht es nicht besser aus. Seit der Bundestagswahl 2009 schafft es die Partei nicht, die 30-Prozent-Marke nachhaltig zu knacken. In der Regel ist sie weit darunter zu finden - aktuell sind es laut einer Forsa-Umfrage 22 Prozent. Also noch ein Prozentpunkt unter dem Ergebnis, mit dem sich die SPD bei der Bundestagswahl blamiert hat.

Dabei fing als ganz hoffnungsvoll an. Nach der Wahl 2009 hat Sigmar Gabriel mit einer überzeugenden Rede den Parteivorsitz übernommen. Er hat die Partei beruhigt, die über die Hartz-Reformen zerstrittenen Flügel versöhnt. Das hatte insofern Erfolg, als dass die Westausdehnung der Linkspartei vorerst gestoppt ist. Die SPD taugt offenbar immer weniger als Angriffsfläche für die auch noch schwach aufgestellte Führungsspitze der Linken.

Die Schwäche der Anderen

Nur: Profitiert hat die SPD davon bisher nicht. Weder von der Schwäche der Linken, noch vom katastrophalen Regierungsmanagement der schwarz-gelben Koalition.

Wer SPD-Politiker trifft, bekommt entweder ratlose Gesichter zu sehen oder Durchhalteparolen zu hören nach dem Motto: Kommt Zeit, kommt Rat. Und wird schon werden.

Tatsächlich reiben sich viele Sozialdemokraten angesichts der grünen Erfolgswelle die Augen. Und scheinen dabei geradezu paralysiert. "Das wird nicht so bleiben, sicher nicht", sagt einer aus der Fraktion. Andere halten es für "einigermaßen absurd", die Grünen in Umfragen bei 30 Prozent zu verorten.

Nun ja, vor nicht allzu langer Zeit wäre es auch für völlig absurd gehalten worden, dass die Grünen irgendwo einmal vor der SPD landen könnten. Dabei legen die Grünen nicht erst seit Stuttgart 21 und Fukushima zu. Sie haben bereits 2009 - von vielen unbemerkt - ihr bis dato bestes Bundestagswahlergebnis eingefahren.

Die Sozialdemokraten aber verschließen die Augen und wiegen sich lieber in ihrem Kinderglauben an die Stärke der ältesten Partei Deutschlands.

In unzähligen Arbeitsgruppen, Diskussionsrunden und Zukunftswerkstätten verzetteln sie sich bei dem Versuch, wieder Fuß zu fassen - zum Teil völlig frei von öffentlicher Wahrnehmung.

Profil bleibt unscharf

Einige Positionen immerhin hat die SPD inzwischen neu justiert. Allerdings ohne sich damit profilieren zu können.

Beispiel Afghanistan. Der Einsatz der Bundeswehr wird nach wie vor für richtig gehalten. Jetzt aber will die SPD die Truppen so bald als möglich abziehen.

Oder die Rente mit 67. Im Prinzip bleibt es dabei. Die schrittweise Verlängerung der Lebensarbeitszeit soll aber erst 2015 und nicht schon 2012 beginnen.

So richtig überzeugend klingt das alles nicht. Die SPD komme "aus ihrem 25-Prozent-Ghetto nicht heraus", klagt DGB-Chef Michael Sommer. Es fehle ein "klares Profil". Statt daran zu arbeiten, zetteln einige Verirrte lieber eine Debatte drüber an, wer Kanzlerkandidat der SPD werden könnte.

Ein neues Projekt soll Abhilfe schaffen: "Deutschland 2020". Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat es angestoßen, um die eigenen Leute auf eine Übernahme der Regierungsverantwortung 2013 vorzubereiten. Sieben weitere Arbeitsgruppen arbeiten an ebenso vielen Zukunftsthemen.

Wahlkampfschlager "Infrastrukturkonsens"

Interessant: Es ist alles dabei - Bildung, Integration, Gleichstellung. Nur zum Thema soziale Sicherung, dem Kerngeschäft der SPD, gibt es nichts. Auch zur Umweltpolitik, wo die SPD derzeit ziemlich blank dasteht, gibt es offenbar keinen Bedarf an "visionären", "realistischen" und "nachhaltigen" Konzepten, wie Steinmeier sie in einem Brief an die Mitglieder seine Fraktion fordert.

Highlight des Programms soll stattdessen ein neuer "Infrastrukturkonsens" sein. Die Erkenntnis dahinter: Deutschland braucht neue Stromtrassen, Straßen und Kraftwerke, um wirtschaftlich stark zu bleiben. Das geht aber nicht, wenn ständig Bürger dagegen protestieren. Also muss irgendwie ein Konsens her.

Das wirkt noch etwas ratlos und ist es wohl auch. Ein Wahlkampfschlager wird ein Infrastrukturkonsens - so wichtig er sein mag - sicher nicht werden.

Und so dümpelt die SPD wohl weiter vor sich hin. In der vagen Hoffnung, dass alles wieder gut wird, irgendwann, irgendwo und irgendwie.

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