„Doktrinäre Positionen“:Historiker Winkler fordert von der SPD andere Asylpolitik

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Der Historiker Heinrich August Winkler, hier im Jahr 2017 in seinem Büro in Berlin, ist seit mehr als 60 Jahren SPD-Mitglied. Sein Wort hat Gewicht in der Partei. (Foto: Florian Gaertner/photothek/imago)

Bisher wollen die Sozialdemokraten auf die Vorschläge von Friedrich Merz und der Union nicht eingehen.  Nun fordert eine intellektuelle Instanz der Partei, mehr Härte zu zeigen – um die Demokratie vor der AfD zu retten.

Von Georg Ismar, Berlin

Das Wort des großen Historikers Heinrich August Winkler hat Gewicht in der SPD. Er macht schon länger keinen Hehl daraus, dass ihm einige Entwicklungen in der Partei, der er seit mehr als 60 Jahren angehört, nicht passen. Im vergangenen Jahr kritisierte er mit anderen Historikern, die ebenfalls Mitglieder in der SPD sind, die Unterstützung der Ukraine im Verteidigungskampf gegen Russland als unzureichend.

Nun setzt er sich in einem im Spiegel erschienenen Gastbeitrag mit der historischen Entwicklung des deutschen Asylrechts auseinander und wirft Grünen und SPD vor, sie würden doktrinär auf Positionen beharren, deren problematische Folgen unbestreitbar seien. „Sie haben daher allen Anlass, ihre Prioritätensetzung selbstkritisch zu überprüfen.“ Die SPD-Spitze verweist auf viele bereits ergriffene Maßnahmen, lehnt aber weitergehende Asylverschärfungen ab und will auch am Familiennachzug zu Menschen mit begrenztem Schutzstatus festhalten. Derzeit betrifft das fast ausschließlich Syrer. Die Union will das beenden, im Bundestag gab es aber keine Einigung auf ein sogenanntes Zustrombegrenzungsgesetz.

Winkler ist nun deutlich näher bei CDU-Chef Friedrich Merz, der – sollte er Kanzler werden – das Asylrecht einschränken und rechtlich umstrittene Zurückweisungen an den Grenzen durchsetzen will. Kanzler Olaf Scholz (SPD) betont hingegen das individuelle Recht auf Asyl, das gelte es beizubehalten. Der Historiker aber kommt für sich  zu der Feststellung, dass sich das Asylrecht in eine andere Richtung entwickelt habe, als von den Vätern des Grundgesetzes beabsichtigt.

Demnach sei es nicht um ein subjektives individuelles Recht auf Asyl gegangen, das ein Flüchtling vor deutschen Gerichten einklagen könne, so wie es heute der Fall sei. „Es ging dem Parlamentarischen Rat um ein institutionelles, vom Staat zu gewährendes Recht. Der Staat kann demnach selbst festlegen, wem er Schutz gewährt.“

Winkler kritisiert auch die Politik von Altkanzlerin Merkel

Die „Legende vom individuellen Recht auf Asyl“ habe sich nach der Verabschiedung des Grundgesetzes durchgesetzt, „weil sie dem (isolierten) Wortlaut des Artikels 16 entsprach, auch in der Rechtsprechung bestätigt wurde und dem bundesdeutschen Kollektiv-Ego zunehmend schmeichelte: dem Gefühl, aus der Unrechtserfahrung der Jahre 1933 bis 1945 die richtigen Schlüsse gezogen, also aus der eigenen Geschichte gelernt zu haben“.

Gepflegt worden sei diese Lesart von den christlichen Kirchen, Nichtregierungsorganisationen, den Grünen, der SPD und nicht zuletzt vom „Merkel-Flügel“ der CDU. „Die anhaltende irreguläre Massenimmigration seit 2015 hat jedoch dazu geführt, dass der gesellschaftliche Rückhalt dieser Position inzwischen stark geschrumpft ist und eine in Teilen rechtsextreme Partei, die AfD, ihren Zulauf, nicht nur in Ostdeutschland, zu wesentlichen Teilen dem Protest gegen eine unerwünschte Zuwanderung verdankt“, schreibt Winkler und kritisiert in diesem Kontext auch die damalige Politik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

„Einen schlimmeren Bärendienst kann man der Demokratie nicht erweisen“, schreibt Winkler

Wer die faktische Umwandlung des deutschen Asylrechts in ein Einwanderungsrecht effektiv beenden wolle, müsse das subjektive durch das institutionelle Asylrecht ersetzen. Allerdings sind Winklers Thesen unter Juristen durchaus umstritten, zudem geht er überhaupt nicht auf die europäische Dimension ein, hier gibt es Rechtsprechungen, die etwa auch einer Zurückweisung an den Grenzen von Asylsuchenden widersprechen. Und heute spielen bei den Asylentscheidungen für Flüchtlinge völker- und europarechtliche Fragen die entscheidende Rolle, was es auch etwas komplexer macht, als es in dem Gastbeitrag den Anschein hat.

Winkler kritisiert zwar, dass CDU-Chef Friedrich Merz noch vor der Bundestagswahl im Bundestag Abstimmungen in diesen Fragen gesucht habe, und für eine Mehrheit auch Stimmen der AfD in Kauf nahm. Richtig bleibe aber der Satz von Merz, das Richtige werde nicht dadurch falsch, dass auch die Falschen es für richtig hielten. „Verzichten die demokratischen Parteien auf eigene, für notwendig erachtete Vorstöße nur, weil auch die AfD ihnen zustimmen könnte, lähmen sie sich politisch selbst. (…) Einen schlimmeren Bärendienst kann man der Demokratie nicht erweisen“, betont der Autor von Standardwerken wie „Der lange Weg nach Westen“.

In der Partei von Kanzler Olaf Scholz gibt es gerade an der Basis Stimmen, die die Frage aufwerfen, warum sich die Zustimmung zur AfD in der Ampel-Zeit praktisch verdoppeln konnte. So sagte der Oberbürgermeister der thüringischen Stadt Gotha, Knut Kreuch, der SZ, es gebe bei der Bundes-SPD einen starken Einfluss des linken Flügels. Man müsse auch bei den Vollzugsdefiziten nachjustieren. Ausreisepflichtige Asylbewerber, wie der Täter von Aschaffenburg, müssten „sofort weg“, sagte er: „In Haft oder raus aus dem Land.“

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese ging auf SZ-Anfrage auf konkrete Kritikpunkte Winklers nicht näher ein, betonte aber, dass die jetzige Koalition beim Migrationsgipfel im Herbst zu einer großen gemeinsamen Lösung aus der demokratischen Mitte heraus offen und bereit gewesen sei. „Wer hatte diese ausgestreckte Hand ausgeschlagen? Merz und die Union“, sagte er.

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