Süddeutsche Zeitung

Arbeitsmarkt:Wie die SPD Hartz IV verschwinden lässt

Die SPD berät am Wochenende, wie der Staat künftig Arbeitnehmern und Arbeitslosen helfen soll. Ein Überblick über die Begriffe und die Ideen dahinter.

Von Detlef Esslinger

Vergleicht man den Sozialstaat mit einer Werkstatt, so kann man sagen: Die SPD hat in den vergangenen Jahren darin vieles umgebaut, verschrottet und eingeführt. Nur an die eine große, hässliche Maschine, die sie vor anderthalb Jahrzehnten errichtet hat, traute sie sich nie heran - bis jetzt. "Wir wollen Hartz IV hinter uns lassen", sagt die Vorsitzende Andrea Nahles. Am Wochenende berät der Vorstand über ein Konzept, das Fachleute der Partei in dieser Woche geschrieben haben. Darin werden dem Sozialstaat Aufgaben als Organisator sowie als Mechaniker zugewiesen. Und Hartz IV verschwindet - im buchstäblichen Sinne. Die wichtigsten Begriffe im SPD-Plan sind andere.

Sozialpartner und Tarifbindung

Klingt abstrakt, ist aber sehr konkret. Der Sozialstaat soll organisieren - damit er hinterher so wenig wie möglich als Mechaniker reparieren muss. Der Bund soll sich per Gesetz zwingen, Aufträge nur noch an Firmen zu vergeben, die mindestens zwölf Euro Stundenlohn zahlen. Firmen, die sich Tarifverträgen unterwerfen, sollen Steuervorteile erhalten. Das Arbeitsministerium soll einfacher Tarifverträge für allgemein verbindlich erklären können - indem den Arbeitgebern das Vetorecht gestrichen wird, das sie in einem Ministeriumsausschuss haben. Die Idee dahinter: Je mehr die Menschen verdienen, umso geringer das Risiko, dass sie, spätestens im Alter, Unterstützung durch den Sozialstaat brauchen. Denn niedrige Renten haben ihren Ursprung auch in niedrigen Löhnen. Das SPD-Papier befasst sich nur mit der Lebensphase, in der die Menschen berufstätig sind. Für die Phase danach ist die "Grundrente" gedacht, mit der Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Rentnern den Gang zum Sozialamt ersparen will.

Arbeitslosengeld I und Q

Und nun zum Staat als Mechaniker. Der Begriff "Arbeitslosengeld I" steht unkontaminiert in der Werkstatt, also darf er bleiben. Aber die rigide Begrenzung soll fallen: Wer jünger als 50 ist, erhält dieses Geld bisher maximal ein Jahr lang; lediglich Ältere haben seit einiger Zeit die Chance, es auch zwei Jahre lang zu bekommen. Die SPD will zweierlei. Erstens soll jeder, der nach drei Monaten noch keinen neuen Job gefunden hat, Anspruch auf Weiterbildung ("Qualifizierung") haben - und in der Zeit der Weiterbildung zusätzlich ein "Arbeitslosengeld Q" bekommen, das genauso hoch ist wie das Arbeitslosengeld I. Dauert die Weiterbildung zwischen zwölf und 24 Monate, gibt es in der Zeit weiterhin das volle Arbeitslosengeld Q und das halbe Arbeitslosengeld I.

Darüber hinaus soll künftig nicht mehr nur das Alter den Ausschlag geben, wie lange jemand Arbeitslosengeld erhält, sondern auch, wie lange man Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezahlt hat. Maximale Bezugsdauer künftig: drei Jahre.

Kindergrundsicherung

Hier geht es darum, Kindergeld und Kinderfreibeträge zu ersetzen. In der Werkstatt sollen daher zwei neue Maschinen gebaut werden. Die erste heißt "infrastrukturelle Förderung", es geht darum, noch mehr als bisher Kitas, Ganztagsbetreuung, Mittagessen oder Mobilität frei von Beiträgen zu machen. Die zweite heißt "individuelle Grundsicherung" - ob und wie viel es gibt, soll vom Einkommen der Eltern abhängen. Im Papier steht: "Die Höhe ist noch sachgerecht zu bestimmen."

Bürgergeld

Klingt besser als Arbeitslosengeld II und sehr viel besser als Hartz IV - genau das ist die Absicht dabei. Der Bruch mit Hartz ist aber nicht nur semantischer Art. Wer maximal drei Jahre das Arbeitslosengeld I bezogen hat und immer noch ohne Job ist, muss nun nicht sein Vermögen aufbrauchen und in eine kleinere Wohnung ziehen, damit es "Bürgergeld" gibt. Zwei Jahre lang ist Schonzeit. Mit "sinnwidrigen und unwürdigen" Sanktionen soll Schluss sein. Über die Höhe des Bürgergelds steht in dem Konzept nichts.

Daneben gibt es noch einen Plan des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller. Er will das Bürgergeld auch als "solidarisches Grundeinkommen" auszahlen: Langzeitarbeitslose bekommen einen vom Staat geförderten Job als Helfer in Kitas oder Heimen - und dafür diese Form von Einkommen. In der SPD hat sich Müller allerdings bisher nicht durchgesetzt.

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SZ vom 09.02.2019/lalse
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