SPD und Grüne:Das Duell um die bessere Sozialpolitik hat begonnen

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Andrea Nahles nach der Klausurtagung der SPD im Willi-Brandt-Haus am 11.2.2019. (Foto: dpa)
  • Seit der Verabschiedung der neuen sozialpolitischen Pläne der SPD vor gut einer Woche ist Parteichefin Nahles in den Angriffsmodus gewechselt.
  • Schaut man auf Begriffe und Begründungen, sind die Ähnlichkeiten mit den Konzepten der Grünen frappierend.
  • Beide Parteien streiten politisch um sehr ähnliche Wähler. Ob das auch zu neuen Bündnissen zwischen beiden führen könnte, ist nicht sicher.

Von Stefan Braun, Berlin

Seit Tagen erlebt die Republik eine andere Andrea Nahles. Eine, die lacht; eine die selbstbewusst auftritt; eine, die in Talkshows nicht mehr defensiv wirkt, sondern Liberale wie Linke geschickt auskontert. So etwas hätte man kaum mehr für möglich gehalten.

Monatelang wirkte Nahles wie eine schwer getroffene Boxerin, die sich im Ring verzweifelt an den Seilen festhält. Wie gelähmt wirkte sie beim Blick auf die grüne Konkurrenz, die in den Umfragen fröhlich, leicht und locker an den Sozialdemokraten vorbeizog. Schwer beladen erschien Nahles angesichts der schlechten Wahlergebnisse in Bayern und Hessen; verletzt sah sie aus, als immer mehr Sozialdemokraten immer neue Spekulationen starteten, wer wann wie die SPD-Vorsitzende ablösen könnte.

Die reinen Zahlen ähneln sich noch. Aber Nahles' Umgang mit der Lage ist ein anderer geworden. Seit der Verabschiedung der neuen sozialpolitischen Pläne der SPD vor gut einer Woche ist sie in den Angriffsmodus gewechselt. Bürgergeld, Grundrente, Kinderförderung, moderner Sozialstaat - mit einem Mal sagt die SPD-Chefin mit erhobenem Haupte, wie sie sich ihre SPD der Zukunft vorstellt.

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Dabei zeigt sich, dass die SPD nach monatelanger Lähmung nun ziemlich genau die Themen aufgreift, mit denen die Grünen sie seit gut einem Jahr herausfordern. Schaut man auf Begriffe und Begründungen, sind die Ähnlichkeiten frappierend.

SPD gibt Kampf um ihre Kernkompetenz nicht verloren

Vor Monaten entwarfen die Grünen einen Plan, mit dem sie "den Sozialstaat sicher und zukunftsfest machen" wollen. So hatte Parteichef Robert Habeck die eigenen Ideen präsentiert. Die SPD folgt jetzt mit der Botschaft, sie werde "einen neuen Sozialstaat für eine neue Zeit" entwerfen.

Die Grünen kamen mit der Idee einer Grundsicherung und plädieren seither für ein Ende der Sanktionen für jene Arbeitslose, die beim Fordern und Fördern nicht alle Schritte mitmachen; die SPD nennt ihren Vorschlag "Bürgergeld" und empfiehlt mit Blick auf die beschriebenen Sanktionen fast das Gleiche. Die Grünen wollen, dass die Menschen "nicht ihre Würde verlieren". Die SPD spricht davon, den Arbeitslosen mit mehr "mit Respekt zu begegnen".

Schaut man also auf die Ziele im Umgang mit Menschen, die um ihre soziale Sicherheit fürchten (müssen), dann ist die Tonlage bei Roten und Grünen fast identisch geworden. Damit macht die SPD klar, dass sie den Kampf um ihre Kernkompetenz nicht verloren gibt, sondern im Gegenteil von nun an mit großer Verve aufnimmt. Mit neuen Fortbildungsideen, mit mehr Anreiz statt Drohung und mit einem Umbau der Bundesagentur für Arbeit.

Das Duell zwischen Rot und Grün kann man auch beim Thema Rente studieren. Nachdem die Grünen im Herbst ihr Modell einer "Garantie-Rente" vorstellten, hat Sozialminister Hubertus Heil nun für die SPD eine neugestaltete und zusätzlich geschmückte "Grundrente" entworfen.

Die Ähnlichkeiten sind hier besonders eklatant. Obwohl die Koalition schon in den Koalitionsverhandlungen eine Grundrente festgeschrieben hat, geht Heil jetzt über den Konsens mit der Union hinaus und verlangt genau das, was die Grünen gefordert haben: Bei der Berechnung dieser Grundrente auf die Bedürftigkeitsprüfung zu verzichten.

Gemeint ist nicht, dass man gar nicht mehr hinschaut, ob jemand eine solche Grund- oder Garantierente überhaupt brauchen würde. Mit dem Begriff Bedürftigkeitsprüfung verband sich bislang aber der Anspruch, auch das angesparte Vermögen in den Blick zu nehmen. Das wollen SPD und Grüne ändern.

Außerdem beinhaltet Heils Entwurf einer SPD-Grundrente, dass wie beim Grünen-Modell auch die betriebliche und private Altersvorsorge nicht mehr angerechnet werden sollen. Offenkundig ist ihm an der Stelle wichtiger, die Grünen-Vorschläge zu kontern, als einen Konflikt mit dem Koalitionspartner zu vermeiden.

Identisch sind die Entwürfe nicht. So will die SPD nach 35 Pflichtbeitragsjahren eine Grundrente möglich machen, die Grünen ihre Garantierente schon nach dreißig Jahren. Außerdem möchten die Sozialdemokraten die Einnahmen des Ehepartners unberücksichtigt lassen; die Grünen dagegen wollen eine Gesamtbetrachtung der ehelichen Einkünfte vornehmen. Ihr Ziel ist es, den CDU-Vorwurf zu kontern, von einer solchen Grund- oder Garantierente könnte auch eine reiche Zahnarztgattin profitieren.

Trotz der Unterschiede ist klar: Die SPD rückt den Grünen auf die Pelle. Und das könnte in diesem Jahr mit einer Europawahl und vier Landtagswahlen ähnlich interessant werden wie die Frage, ob sich die große Koalition über die SPD-Pläne zerstreitet. Letztere ist bislang nämlich aufeinander angewiesen, weil niemand sagen kann, was nach einem Ende der Koalition wirklich käme. Der Kampf zwischen Grünen und SPD dagegen ist konkret und mit dieser Woche voll ausgebrochen.

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Die Kulisse dafür bilden Umfragen, die eindrucksvoll belegen, wie existenziell für die SPD der Kampf um ihre soziale Kompetenz geworden ist. Seit Monaten rangieren die Grünen bei bundesweiten Umfragen drei bis fünf Prozentpunkte vor der SPD. Bisherige Tendenz: eher noch wachsend.

Bleibende Gefahr für die SPD

Was manche in der alten Volkspartei SPD anfangs noch als kurzes Phänomen beschreiben wollten, hat sich aus Sicht der SPD als bleibende Gefahr festgesetzt: Dass die Grünen die Sozialdemokraten als zweitstärkste Kraft ablösen könnten. Die Sozialdemokraten pendeln seit einem Jahr zwischen 14 und 16 Prozent, die Grünen liegen meist zwischen 19 und 20.

Da dürfte es der SPD-Spitze um Nahles gut tun, dass erste Umfragen zu den neuen Vorschlägen in der Bevölkerung hohe Zustimmung signalisieren. Ob das auch etwas bei den Werten für die SPD ändert, ist längst nicht entschieden, deutet sich aber an. In einer Umfrage von Infratest-Dimap, die nach Veröffentlichung der SPD-Pläne erhoben wurde, klettere die SPD leicht auf 17 Prozent, während die Grünen auf 19 Prozent abrutschten.

In den Bundesländern, in denen in diesem Jahr gewählt wird, bleibt die Lage für die SPD bislang bescheiden. So liegt sie acht Monate vor der Wahl in Brandenburg mit 21 bis 23 Prozent zwar noch deutlich vor den Grünen mit zehn. Schaut man aber auf den Trend, dann haben sich die Grünen fast verdoppelt, während die SPD mehr als zehn Prozentpunkte einbüßte.

In Thüringen lagen sie zuletzt mit jeweils zwölf Prozent gleichauf, mit einem starken Anstieg bei den Grünen und Verlusten bei den Sozialdemokraten. Und in Sachsen ist die Konstellation ähnlich, allerdings bei noch niedrigeren Werten.

Gegen diese immer noch düsteren Zahlen sollen der SPD nun zwei Tugenden helfen, die zuletzt nicht hoch im Kurs standen. Einigkeit und gute Laune. So schwelgte Juso-Chef Kevin Kühnert in seiner Reaktion auf die neuen Ziele - und ähnelte dabei plötzlich Olaf Scholz, der für gewöhnlich nicht viel am Hut hat mit dem Groko-Kritiker Kühnert.

Selbstsuggestion, gepaart mit einem programmatischen Neuaufbruch als Partei der sozialen Gerechtigkeit scheint bislang bei allen in der Führung ungeahnte Freude und neue Lust auf die politische Auseinandersetzung auszulösen.

Dass die SPD dabei fast plagiatsverdächtig handelt, soll sie in diesem Überlebenskampf auch nicht mehr stören. Grünen-Chef Robert Habeck hatte im Herbst betont, mit den Plänen seiner Partei skizziere man einen Weg, "wie wir das Hartz-IV-System hinter uns lassen". Nahles erklärt jetzt, dass ihre Partei schon einen Schritt weiter ist. "Wir lassen Hartz IV hinter uns", betont sie lächelnd.

Man muss das nicht für ein Plagiat halten. Aber klar ist, dass da zwei Parteien politisch um sehr ähnliche Wähler streiten. Ob das auch zu neuen Bündnissen zwischen beiden führen könnte, ist nicht sicher. Bislang zeichnet sich nirgendwo ab, dass Grüne und SPD alleine oder mit einer politisch und in Umfragen stagnierenden Linkspartei eine Mehrheit erreichen könnten.

Hinter den Kulissen kann man eine Schärfe der Rivalität erleben, die überdeutlich macht, wie sehr sich Grüne und Sozialdemokraten zurzeit als Kontrahenten und nicht als Partner betrachten. So verrückt das klingen mag: Obwohl sie sich in der Sache wieder stärker annähern, bewerben sie sich nicht um ein gemeinsames Bündnis.

Jeder kämpft für sich allein - und weiß genau, dass nach heutiger Lage der Dinge nur ein Bündnis mit der Union eine Mehrheit möglich machen würde. Dass diese Union sich gerade eher entfernt, spielt dabei für beide keine Rolle. Der Kampf um die Vormacht links der Mitte ist es, der für SPD und Grüne Priorität hat.

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