Migrationsdebatte:Rot-Grün wirft Merz Wortbruch vor

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Diese Woche könne sich tief in das parlamentarische Gedächtnis eingraben, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

SPD-Fraktionschef Mützenich warnt die Union vor einer Zäsur, sollte sie mit Hilfe der AfD Asylregeln verschärfen. Für Grünen-Fraktionschefin Dröge würde der CDU-Vorsitzende dann mit „Nazis“ kooperieren.

Von Daniel Brössler, Georg Ismar und Vivien Timmler, Berlin

Knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl überziehen sich die demokratischen Parteien im Parlament mit Vorwürfen in einer kaum gekannten Schärfe. SPD und Grüne warfen Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz vor, sich mit seinen Plänen in der Migrationspolitik auf die in Teilen rechtsextreme AfD zu stützen. „Jeder Versuch, mit der AfD hier im Deutschen Bundestag abzustimmen, wird uns und wird unser Land auf eine Rutschbahn bringen“, warnte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. An diesem Mittwoch will die Union zwei Anträge unter anderem zur Zurückweisung aller Asylsuchenden an den deutschen Grenzen einbringen, voraussichtlich am Freitag soll über ein „Gesetz zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland“ abgestimmt werden. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warf Merz vor, mit „Nazis“ zu kooperieren, sollte die Union am Mittwoch und Freitag wirklich gemeinsam mit der AfD abstimmen.

Mützenich warnte vor einer Zäsur, sollte die Union mit Hilfe auch der AfD Mehrheiten für Asylverschärfungen bekommen. Er warf Merz einen offenen Bruch von Absprachen nach dem Ende der Ampelkoalition im November vor. Er habe mit Merz damals vereinbart, dass keine Anträge in den Bundestag eingebracht würden, bei denen man auf die Stimmen der AfD angewiesen sei. „Ich habe mich auf dieses Wort verlassen“, sagte ein sichtlich angefasster Mützenich. „Das ist keine nachlässige Sünde.“ Diese Woche könne sich tief in das parlamentarische Gedächtnis, „wenn nicht sogar in das Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland eingraben“.  Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), wies die Vorwürfe zurück. „Wir stellen das im Bundestag zur Abstimmung, was wir für richtig halten und schon immer für richtig gehalten haben“, sagte er.

Merz sei in eine Falle der AfD getappt, sagt Katharina Dröge.

Er habe sich auf die Integrität und die Berechenbarkeit des CDU-Chefs verlassen, erklärte Mützenich.  „Wenn man das nicht hat, dann kann man auch ein Land nicht führen“, sagte er. Auf die Frage, ob Merz und die Union nach der Bundestagswahl am 23. Februar damit noch ein möglicher Koalitionspartner der SPD sein könnten, antwortete er, alles Weitere werde man sehen. Auch Dröge warf Merz Wortbruch vor. „Was sollen wir der Union eigentlich noch glauben, wenn das Wort des CDU-Parteivorsitzenden nicht einmal zwei Monate gilt?“, fragte sie. Merz sei in eine Falle der AfD getappt. „Es war naiv von ihm anzunehmen, dass er drei Sätze in einen Antrag schreiben muss, die die AfD kritisieren, und dann zu glauben, dass die AfD dem vielleicht dann nicht zustimmen würde“, sagte sie. Die Rechtspopulisten wollten zeigen, dass CDU und AfD im Kern das Gleiche wollten. Merz habe so gezeigt, „was dafür spricht, dass er nicht Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wird“.

Am Mittwoch soll nach einer Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz zum Messerangriff mit zwei Toten in Aschaffenburg über zwei Unionsanträge, die unter anderem direkte Abweisungen an den deutschen Grenzen auch bei Asylsuchenden sowie unbegrenzte Haft für Ausreisepflichtige vorsehen, abgestimmt werden. Am Freitag soll dann im Bundestag ein konkreter Gesetzentwurf der Union abgestimmt werden, der schon seit Monaten vorliegt. Dieser sieht ein Aussetzen des Familiennachzugs für Menschen mit subsidiärem Schutz vor. Zudem sind darin auch die im Fünf-Punkte-Plan erwähnten Abschiebehaftzentren vorgesehen – auch hier könnte die AfD Mehrheitsbeschaffer sein. Zugleich dürfte das Vorhaben dann im Bundesrat scheitern, auch weil CDU-Landesregierungen mit grüner Beteiligung nicht zustimmen dürften. Konkrete Veränderungen dürfte der Vorstoß der Union vor der Wahl daher kaum bewirken.

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In der laufenden Sitzungswoche wollen SPD und Grüne nun gemeinsam zwei Gesetze in den Bundestag einbringen: die Nationale Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sowie jene Teile des Sicherheitspakets, die der Bundesrat zuvor abgelehnt hatte. Die GEAS-Reform sieht unter anderem vor, dass über einen wesentlichen Teil der Asylanträge bereits an den EU-Außengrenzen entschieden wird. Bis zuletzt hatte es dagegen heftige Widerstände innerhalb der Grünen-Fraktion gegeben, auch Dröge selbst hatte sie in der Vergangenheit mehrfach hart kritisiert. Im Nachhinein aber müsse sie sagen: „Gut, dass es sie gibt.“ Es gebe jedoch bislang keine Signale, dass die Union bereit sei, auch nur einem der Gesetzesvorhaben zuzustimmen, sagte Dröge. Sie gehe davon aus, dass die Union nur ihre eigenen Anträge durchbringen wolle. Die Vorschläge der Union seien „der Anfang vom Ende der Europäischen Union“, sagte Dröge. Grüne und SPD verweisen darauf, dass die Pläne nicht mit EU-Recht vereinbar seien.

Der Bundestag hat derzeit 733 Sitze; die Mehrheit liegt bei 367 Sitzen. Union, FDP, AfD und BSW hätten mit 372 Sitzen daher  zusammen genügend Stimmen für eine Mehrheit.

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