Süddeutsche Zeitung

Große Koalition:Führende SPDler zweifeln an der Groko

  • In der SPD wird über die Zukunft der großen Koalition debattiert.
  • Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass zur Halbzeit der Legislatur, also im Herbst 2019, Bilanz gezogen wird.
  • Schon jetzt haben führende Sozialdemokraten Zweifel, ob das Bündnis noch so lange durchhält. Die Gegner wollen es lieber früher als später scheitern sehen.

Von Mike Szymanski

Die Sitzung des SPD-Parteivorstandes am Montag war schon fortgeschritten, da wurde es plötzlich heikel. Auf einmal ging es um den Fortbestand der großen Koalition und auch um Andrea Nahles. Bis dahin hatte niemand, so berichten es mehrere Teilnehmer, das ungeliebte Regierungsbündnis offen infrage gestellt oder eine Personaldebatte über die Parteichefin angezettelt.

Zur Diskussion stand eine Beschlussvorlage, die am Morgen bereits den kleinen Kreis des Präsidiums passiert hatte. Darin ging es darum, als Reaktion auf die Niederlagen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, die Union auf eine bessere Zusammenarbeit in der Koalition zu verpflichten. Die SPD pocht auf einen "vernünftigen Arbeitsmodus". Außerdem wurde in der Sitzung darüber debattiert, den Erneuerungsprozess der SPD zu beschleunigen, sodass Anfang des nächsten Jahres klarer wird, wofür die Partei inhaltlich steht. Daniela Kolbe, Bundestagsabgeordnete und Generalsekretärin der SPD in Sachsen, wollte noch eine Ergänzung. Teilnehmer berichten, sie habe im Vorstand den Vorschlag gemacht, die SPD solle ihren für Ende 2019 geplanten Parteitag konsequenterweise auf den Jahresanfang vorziehen.

Eine Fortsetzung der Groko ist ungewiss

Jedem in der Runde muss klar gewesen sein, wie das draußen aufgenommen worden wäre: Die SPD bereitet ihren Ausstieg aus der Groko vor. Denn längst ist nicht mehr gewiss, dass die Parteispitze abermals eine Mehrheit für die Fortsetzung der Groko mobilisieren kann. Und wo sonst als auf einem Parteitag sollte darüber verhandelt werden? Nicht minder heikel wäre, dass auf einem vorgezogenen Parteitag sich dann wohl auch Nahles und die übrige Parteispitze zur Wiederwahl hätte stellen müssen, denn ein zweiter Parteitag später im Jahr wäre allein aus Kostengründen schwer zu rechtfertigen gewesen. Nahles soll gesagt haben, es müsse über alles geredet werden. Aber der Beschluss wurde schnell vom Tisch genommen. Am Sonntag und Montag kommt die Parteispitze zur Klausur zusammen. Dann wird weitergeredet.

In der SPD ist die Debatte über die große Koalition wieder voll entbrannt. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass zur Halbzeit der Legislatur, also im Herbst 2019, Bilanz gezogen wird. Aber schon jetzt haben viele führende Sozialdemokraten Zweifel, ob die Groko noch so lange durchhält. Die Gegner wollen sie lieber früher als später scheitern sehen. Noch in der Wahlnacht haben Nahles und ihr Generalsekretär Lars Klingbeil ein Papier verfasst, das die Koalition noch ein bisschen über die Zeit retten soll. Es listet Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag auf, die bis spätestens Ende 2019 kommen sollen. Die Erwartung dahinter: Dann erkennen die Bürger vielleicht, wie Politik der SPD ihr Leben besser macht.

Bisher ist vieles, was die Regierung beschlossen hat, nicht konkret für die Bürger geworden. Die Senkung der Kassenbeiträge etwa mache sich "erst in zwei Monaten" auf den Gehaltszetteln bemerkbar, heißt es in Nahles Werbeschrift, mehr Kindergeld gebe es erst 2019. Auch andere verlangen Geduld: SPD-Vize Malu Dreyer sagte, zur Halbzeit der Legislatur werde geschaut, "ob die SPD ihre Vorhaben in der Regierung weiter umsetzen oder auf den Weg bringen konnte und ob sich die Art und Weise der Zusammenarbeit grundlegend geändert hat". Nicht einmal die überzeugten Groko-Gegner haben es eilig mit einem Ausstieg. Juso-Chef Kevin Kühnert sagt: "Die Frage ist, wer eine kluge Exit-Option irgendwann findet." Dazu passte, dass am Wochenende Zeitumstellung war. "Jetzt ist es nicht mehr fünf vor zwölf, sondern erst mal wieder fünf vor elf", scherzte er.

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SZ vom 31.10.2018/fie
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