Abwrackprämie:Zwischen IG Metall und SPD knirscht es

Abwrackprämie: Ein Stuttgarter Schrottplatz im Jahr 2009, in dem die Regierung eine Abwrackprämie eingeführt hatte.

Ein Stuttgarter Schrottplatz im Jahr 2009, in dem die Regierung eine Abwrackprämie eingeführt hatte.

(Foto: imago stock&people)

Die Metaller tragen schwer am Nein der SPD zur Abwrackprämie. Das Verhältnis zwischen Partei und Gewerkschaften hat seit der Agenda 2010 eine kurze Zündschnur.

Von Nico Fried, Henrike Roßbach und Mike Szymanski, Berlin

Er brauchte einen klaren Kopf, also ging Norbert Walter-Borjans in den Wald. Ein privater Termin hatte den SPD-Chef über Pfingsten ins Erzgebirge geführt. In Berlin standen wichtige Entscheidungen an; SPD und Union wollten ein milliardenschweres Rettungspaket für die corona-geschädigte Wirtschaft schnüren. Aber Walter-Borjans wusste, egal wie viele Milliarden sie bewegen würden, am Ende würde es Enttäuschte und Verärgerte geben, die mit dem Finger auf die SPD zeigen und sagen: Ihr seid schuld.

Genauso ist es gekommen. 130 Milliarden Euro haben Union und SPD lockergemacht; die Mehrwertsteuer wird gesenkt, der Staat investiert in Forschung und Infrastruktur, dafür gab es Lob von allen Seiten. Nur aus einer Ecke nicht: Weil die Autoindustrie keine Abwrackprämie für Autos mit Verbrennermotor bekam, ist die mächtigste deutsche Gewerkschaft mächtig sauer. Zwischen IG Metall und SPD, einst natürliche Verbündete, knirscht es.

Die SPD-Spitze ist in diesen Konflikt nicht hineingestolpert. Sie hat ihn in Kauf genommen. Vor dem langen Pfingstwochenende hatte sie zum "Branchendialog" geladen. Auf Gewerkschaftsseite war klar: Eine Kaufprämie muss her. Walter-Borjans aber sah die Politik an einer Abrisskante: Der Staat investiert in eine alte Technologie anstatt in den Wandel? Der SPD-Chef kommt aus Nordrhein-Westfalen. Die drängende Autoindustrie erinnerte ihn an die Energieriesen in den dortigen Kohlerevieren, die sich lange gegen Veränderungen gesperrt hatten.

Auf seinem Waldspaziergang traf Walter-Borjans eine Entscheidung. Anschließend telefonierte er mit IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, und sagte ihm, mit der SPD werde es keine Kaufprämie für Benziner und Diesel geben. Fraktionschef Rolf Mützenich war eingebunden und einverstanden, auch Vizekanzler Olaf Scholz akzeptierte die Verhandlungslinie, wenn auch schweren Herzens. Pfingstmontag soll die Kanzlerin informiert worden sein, dass sich die SPD in dieser Sache "nullkommanull" bewegen werde.

Roman Zitzelsberger sagt, er habe letztlich erst aus der Pressekonferenz der Kanzlerin erfahren, dass es tatsächlich nichts wird mit der Prämie für Verbrenner. "Ein Stück weit abgezeichnet" habe es sich zwar schon vorher, räumt der Leiter des IG-Metall-Bezirks Baden-Württemberg ein. Viel hätten sie erklärt, wenig sei angekommen. "Aber die Hoffnung war da, dass da trotzdem noch was geht."

Und jetzt? "Industriepolitisch ist das problematisch", sagt Zitzelsberger, der Metaller aus dem Südwesten. Die IG Metall wirft der SPD vor, Arbeitsplätze zu gefährden und die Autobranche um ihre Zukunft zu bringen. Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht sagte, seine Kollegen aus der Auto- und Zulieferindustrie seien "stinksauer". Doch der Konflikt geht tiefer: IG-Metall-Chef Hofmann sprach unverblümt von einem massiven Vertrauensverlust zwischen Autoarbeitern und SPD. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, klagt: "Wir vermissen, dass die SPD ihr ehemaliges Markenzeichen, den sozialen Ausgleich zwischen Arbeit und Umwelt, prägnant vorbringt." Für "Irritationen" habe das Verhalten der SPD schon gesorgt.

Der Streit um die Agenda 2010 habe eine ganz andere Qualität gehabt: "Da ging es ums Ganze"

Die Metaller tragen schwer am Nein der Koalition zur Prämie für Benziner und Diesel. Besonders schwer aber tragen sie daran, dass sie dieses Nein der SPD zu verdanken haben, "ihrer" SPD, deren Mitglied viele sind. Klar, es gab auch in der Union mehr Gegner als Fürsprecher. Die Lautstärke und Entschiedenheit aber, mit der die SPD-Spitze ihr Nein in die Verhandlungen getragen hat, führt jetzt dazu, dass sie den Ärger der IG Metall exklusiv abbekommt, während der nette Herr Söder von der CSU, der die Prämie gefordert und dann darauf verzichtet hatte, als Lichtgestalt erscheint.

Das Verhältnis von SPD und Gewerkschaften hat schon seit gut 17 Jahren eine kurze Zündschnur. Im März 2003 brachte Gerhard Schröder als Kanzler der rot-grünen Regierung die Agenda 2010 auf den Weg und die Gewerkschaften gegen sich auf. Den größten Hort des Widerstands vermutete Schröder stets im Berliner Büro der mächtigen IG Metall, in dem damals eine gewisse Andrea Nahles arbeitete. Auch mit DGB-Chef Michael Sommer verscherzte Schröder es sich. Nach einem Staatsbesuch in Ghana Anfang 2004, bei dem Sommer zur Delegation gehörte, sagte Schröder vor der Abreise auf dem Flughafen von Accra zum ghanaischen Präsidenten John Kufuor, er möge doch den DGB-Chef dabehalten, der mache ihm zu Hause nur Probleme. "Das war kein Frotzeln", erinnerte sich Sommer später. "Er wollte den anderen zeigen: Den schneiden wir jetzt!"

Sommers Nachfolger Hoffmann verneint den aktuellen Streit mit der SPD keineswegs. Der damalige um die Agenda 2010 aber habe eine ganz andere Qualität gehabt, "da ging es ums Ganze". Heute sehe er "deutlichen Klärungsbedarf, aber keinen anhaltenden Konflikt". An anderer Stelle laufe die Zusammenarbeit ja auch gut, in der Rentenpolitik zum Beispiel.

Erfolgreicher als Schröder buhlte nach 2005 die neue CDU-Kanzlerin Angela Merkel um die Gewerkschaften. Nach dem Wahlsieg von Union und FDP 2009 erklärte der damalige IG-Metall-Chef Berthold Huber sogar: "Ich setze auf die Vernunft von Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin hat bisher gegenüber Arbeitnehmern einen fairen Kurs gefahren." Kurz danach revanchierte sich Merkel mit der Einladung zu einem festlichen Essen im Kanzleramt, zu Hubers 60. Geburtstag.

Von solchen Bildern verfolgt, versuchten die früheren SPD-Chefs Sigmar Gabriel und Andrea Nahles, das Verhältnis ihrer Partei zu den Gewerkschaften zu entkrampfen. Durchaus erfolgreich, wie das neue Sozialstaatskonzept zeigt, das Korrekturen an der Agenda-Politik vorsieht. Doch die Wunden heilen langsam.

Als Walter-Borjans am Montag dieser Woche vor die Presse tritt, übt er sich in Angriff und Verteidigung: Klar würde die SPD im Blick haben, wie sich die Branche entwickelt. Mehr aber nicht. Und dann erwähnt er noch die Versäumnisse der "Autobosse", so viel Feindbild muss sein.

Als Verbrenner-Lobby, der die Klimaziele egal sind, sieht sich die IG-Metall nicht

Es ist nicht so, als würde die IG Metall das bedeutend anders sehen. "Einige Hersteller haben in den vergangenen fünf Jahren viel Vertrauen verspielt", sagt Zitzelsberger. Dass es bis heute nicht gelungen sei, die Stimmung zu drehen, hätten sie sich selbst zuzuschreiben. "Die Mitarbeiter aber sind mehr als ein paar Vorstände, die das zu verantworten hatten", ärgert sich der Bezirkschef. Missverstanden fühlt sich die Gewerkschaft auch beim Klimaschutz. Sie sieht sich nicht als Truppe von Verweigerern, auch Fridays for Future unterstütze man, sagt Zitzelsberger, selbst wenn sie nicht in allen inhaltlichen Punkten übereinstimmten. "Wir sind keine Verbrenner-Lobby, die sich nicht um Klimaziele schert. Wir haben die aufziehende Klimakatastrophe sehr wohl im Blick und versuchen, gegenzusteuern. Aber die notwendige CO₂-neutrale Zukunft muss nun mal mit den Produkten von heute finanziert werden." Gleichzeitig macht Zitzelsberger deutlich, dass seine Organisation kein Interesse an einer Verewigung der Debatte hat. "Es ist entschieden, Punkt."

Vielleicht ist die entscheidende Frage gar nicht, ob die SPD die Autoarbeiter schon verloren hat. Sondern ob sie noch glaubt, sie zu brauchen. Er sei der felsenfesten Überzeugung, dass eine SPD sich immer um die Industriebeschäftigten kümmern müsse, sagt Zitzelsberger, selbst seit 30 Jahren SPD-Mitglied. Und er sorgt sich, dass der Autoarbeiter, der Angst um seinen Job hat, die AfD wählt. "Die demonstrieren jetzt schon vor den Werkstoren für den Diesel und verleugnen den Klimawandel." Auch DGB-Chef Hoffmann warnt, dass die AfD "in den klassischen Arbeitermilieus mit plumpen Parolen zu punkten versucht".

Gustav Horn kennt die SPD, und er kennt die Gewerkschaften. Früher leitete er das Wirtschaftsforschungsinstitut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, jetzt sitzt er im Vorstand der SPD und gilt als Vertrauter Walter-Borjans. Die Entscheidung gegen die Kaufprämie trägt er mit, den Konflikt mit der IG-Metall hält er dennoch für brandgefährlich für seine Partei. "Steckt das Land im Herbst 2021 noch in der Krise, dürfte es Schuldzuweisungen geben - auch an die SPD."

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