SPD:Gabriels Abdichtungsprogramm reicht nicht

Parteikonvent der SPD - Pk Gabriel

Der SPD-Parteivorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel (rechts) und Bundesjustizminister Heiko Maas im Willy-Brandt-Haus nach dem Parteikonvent in Berlin.

(Foto: dpa)

Sigmar Gabriel hat sich in Sachen Vorratsdatenspeicherung durchgesetzt. Jetzt ist er seit Monaten damit beschäftigt, Vorwürfe von seiner Partei abzuwehren. Viel wichtiger wäre es aber, sich auf etwas ganz anderes zu konzentrieren.

Von Christoph Hickmann

Sigmar Gabriel hat sich durchgesetzt, die SPD steht zur Vorratsdatenspeicherung. Um das zu erreichen, hat der Parteichef dem bislang erfolgreichen Justizminister Maas die Glaubwürdigkeit genommen, einen tiefen Graben durch die SPD gezogen und den Grünen mal wieder die Gelegenheit gegeben, das Bild einer Law-and-Order-Sozialdemokratie zu zeichnen. All dies für ein Gesetz, das der SPD allenfalls unterhalb der Promillegrenze Stimmen bringen dürfte. Warum tut der Mann sich und seiner Partei das an?

Zu Gabriels Hobbys zählt das Segeln, er weiß sehr gut, dass die schönste Brise nichts bringt, wenn das Boot leckt. Dementsprechend ist er seit Monaten damit beschäftigt, die SPD abzudichten - und zwar gegen Vorwürfe, die man bei nächster Gelegenheit gegen sie erheben könnte. Anders gesagt: Gabriel versucht, präventiv Gründe zu beseitigen, aus denen man die SPD nicht wählen könnte.

Wenn die Parteilinke jault, fühlt sich Gabriel bestätigt

Sein Einsatz für die Vorratsdatenspeicherung speiste sich aus der Sorge, dass es hierzulande irgendwann einen Terroranschlag geben könnte und dann alle Welt, die Union vorneweg, schnell auf die Sozialdemokraten gezeigt hätte: Weil die nicht wollten, haben wir jetzt halt keine Vorratsdatenspeicherung! Der entscheidende Einwand, dass man den Anschlag damit ja nicht verhindert hätte, wäre in der innenpolitisch aufgeheizten Atmosphäre mit ziemlicher Sicherheit untergegangen - so jedenfalls Gabriels Überlegung. Es gibt noch mehr solcher Beispiele, zusammen ergeben sie ein Muster.

Gegen den Widerstand der Parteilinken setzt sich Gabriel als Wirtschaftsminister für den Freihandel ein - weil er darin zum einen tatsächlich mehr Chancen als Risiken sieht, zum anderen aber dem Wahlkampf-Evergreen der Union begegnen will, wonach die SPD im Zweifel stets Ideologie vor Konjunktur stelle. Das Gleiche gilt für Gabriels Abschied von Steuererhöhungen sowie sein Ansinnen, stattdessen die Mittelschicht zu entlasten. Und mit seinem in der Bild-Zeitung platzierten Satz zur Griechenland-Krise, wonach man "nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen" werde, versuchte Gabriel, dem ältesten und zugleich beständigsten antisozialdemokratischen Klischee von den vaterlandslosen Gesellen zu begegnen.

Gabriel ist sich seines Kurses umso sicherer, je lauter die Parteilinken aufjaulen. Die haben sich aus seiner Sicht längst entfernt von den Sorgen der sogenannten kleinen Leute und derjenigen, die in den Worten Bill Clintons "hart arbeiten und sich an die Regeln halten". Das Problem dabei ist bloß: Gabriel mag diesen Leuten (also auch einem guten Teil der bürgerlichen Mitte) mit seinem Rundum-Abdichtungsprogramm die Argumente gegen ein Kreuzchen bei der SPD wegnehmen. Doch damit hat er ihnen noch keinen einzigen Grund dafür geliefert, auch tatsächlich sozialdemokratisch zu wählen. Um noch einmal die Segler-Analogie zu bemühen: Der Kahn mag zwar dicht sein, aber deshalb bewegt er sich noch lange nicht.

Der Partei fehlen Alleinstellungsmerkmale

Dafür müsste die SPD allmählich wieder Alleinstellungsmerkmale entwickeln. Angesichts einer sozialdemokratisierten Union auf der einen und der von Realismus und Realitäten weitgehend unbelasteten Linkspartei auf der anderen Seite ist das schwieriger als je zuvor. Seit einiger Zeit widmet die SPD sich deshalb mehr und mehr den lebensnahen, nahezu jede Familie betreffenden Fragen der Vereinbarkeit von Kindern, Beruf und Pflege der Eltern. Das geht in die richtige Richtung. Aber es reicht nicht.

Wenn Gabriel 2017 eine Chance auf das Kanzleramt haben will, wird er wirtschafts- und finanzpolitisch noch ein gutes Stück nach links und damit von jener Mitte abrücken müssen, in der er die SPD gerade brachial zu platzieren versucht. Das wird nicht gehen, ohne über Verteilungsgerechtigkeit zu reden.

Gabriel fürchtet diese Debatte seit dem Wahldebakel 2013 - aber waren die Steuererhöhungen im SPD-Programm tatsächlich der Grund für die Niederlage? Oder ging es nicht viel mehr darum, dass die Genossen dieses Land als Jammertal beschrieben und damit weit an der Wahrnehmung der meisten Menschen vorbeizielten? Beides muss ja nicht zwingend zusammenhängen. Es ist durchaus möglich, ein starkes Land zu beschreiben, in dem aber dennoch einige Gerechtigkeitsfragen dringend zu klären sind.

Zwar würde Gabriel damit die SPD von rechts auch wieder angreifbar machen. Aber Sozialdemokraten haben noch nie eine Wahl gewonnen, weil die Arbeitgeberverbände ihnen applaudiert hätten. Und außerdem weiß der Hobbysegler Gabriel, dass man ganz ohne Risiko nicht mal über den Großen Wannsee kommt.

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