SPD:Gabriel - der falsche Parteichef

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Die SPD ist am Wahltag nicht einfach in die Opposition geschickt, sie ist gestürzt worden. Jetzt soll der Haudrauf Sigmar Gabriel die Partei retten. Er sollte besser die Fraktion führen. Der bessere Parteivorsitzende wäre der ausgleichende Frank-Walter Steinmeier.

Heribert Prantl

Ja natürlich, Willy Brandt wäre jetzt der richtige SPD-Vorsitzende; er war einer, der noch viel größere Katastrophen erlebt und überlebt hat als eine desaströse Wahlniederlage. Er steht heute, drei Meter vierzig groß, als Skulptur und Mahnung im Erdgeschoss der Parteizentrale in Berlin. Und wären in der SPD katholische Bräuche üblich, würden dort jetzt Kerzen brennen, mit der Bitte um Erleuchtung und Wegweisung.

Wird er neuer SPD-Chef? Sigmar Gabriel (Foto: Foto: dpa)

Es ist sehr finster in der SPD. Die Finsternis ist so groß, dass man es noch gar nicht richtig begriffen hat. Diese Partei ist am Wahltag nicht einfach in die Opposition geschickt, sie ist gestürzt worden; dieser Sturz schmeckt nach Demütigung und Erniedrigung - und in der Parteizentrale auch nach Entlassung von Mitarbeitern. Vom Stolz der ältesten deutschen Partei ist nicht mehr viel da. Es beginnt jetzt die Suche danach: nach dem alten Stolz und nach einer neuen Führung.

Vielen an der Parteibasis wäre es am liebsten, es käme nach Müntefering ein ganz Neuer, einer, der die Erneuerung verkörpert - unverbraucht, nicht kontaminiert von Gerhard Schröder und Hartz IV, und auch nicht beschädigt von der großen Koalition. Aber: Politik ist keine Oper, die SPD ist nicht Elsa von Brabant, und einen Schwanenritter gibt es nicht. Lohengrin kommt nicht.

Es gibt nur Namen wie Sigmar Gabriel, auf den sich die Spekulationen kaprizieren. Gewiss: Es gibt auch noch ein paar andere patinierte Namen; aber die Sensation des Neuen birgt keiner. Ein Neuer wäre vielleicht Heiko Maas, der junge Sozialdemokrat aus Saarbrücken; aber der muss erst einmal zeigen, was ihm zu Hause gelingt. Und Hannelore Kraft, die SPD-Spitzenfrau aus Nordrhein-Westfalen, muss erst einmal versuchen, ihren Landtagswahlkampf im kommenden Jahr zu gewinnen.

Sigmar Gabriel? Er ist der falsche Vorsitzende. Er ist eher ein Haudrauf als einer, der ausgleichen und zusammenführen kann. Er ist eher ein Agitator, der zuspitzen, als ein Moderator, der entschärfen kann. Er kann Kampagnen führen, Menschen aber nicht so gut.

Er ist ein kluger Kopf: Wer kann schon, beinahe aus dem Ärmel, eine respektable Laudatio auf Jürgen Habermas und den "Linguistik Turn" in dessen Philosophie halten? Der studierte Deutsch- und Politiklehrer Gabriel kriegt das hin. Er ist lernfähig, zuletzt hat er sich in seine Aufgaben als Umweltministers fix und gründlich hineingearbeitet und dabei seinen früheren Ruf als Luftikus weggeschafft. Und er hat, anders als der Parlamentsneuling Frank-Walter Steinmeier, Parlamentserfahrung. Kurzum: Sigmar Gabriel ist viel eher ein Fraktions-, denn ein Parteivorsitzender.

Zum Chef der SPD-Bundestagsfraktion wurde aber nun Frank-Walter Steinmeier gewählt, der gescheite, gescheiterte und standfeste Ex-Kanzlerkandidat. Er hat sich im Wahlkampf nicht nur durch heitere Unverdrossenheit empfohlen; er ist auch aus der Rolle von Schröders Hausmeier herausgewachsen, hat den bedächtigen Bürokraten ein gutes Stück hinter sich gelassen und ist in die Rolle des Kanzlerkandidaten so gut hineingewachsen, wie ihm das anfänglich kaum einer zugetraut hatte.

Im Wahlkampf wurde er zur beherzten Führungsfigur der SPD. Er verkörpert die Seriosität, die das Amt des Parteichefs braucht; er hat das Organisationstalent, das die SPD vermisst; er zeigt die Festigkeit, die eine wankende Partei nötig hat.

Das ist für den Anfang und für die miserable Situation der Partei gar nicht so wenig. Für die SPD wäre es also besser, Steinmeier würde der Parteichef und Gabriel der Fraktionschef; es wird aber jetzt, holterdipolter, genau andersherum arrangiert.

Die SPD braucht, wenn sie wieder zu sich kommen will, Beständigkeit. Mehr als hundert Jahre lebte die SPD von der (ja, man muss es mit diesem Wort sagen) Treue an der Spitze: August Bebel, 30 Jahre; Erich Ollenhauer, elf Jahre; Willy Brandt, 24 Jahre.

Seit Hans-Jochen Vogel sich 1991 als Parteichef verabschiedete, hat die SPD achtmal einen neuen Vorsitzenden gewählt, einen davon gleich zweimal, den zuletzt glück-, inspirations- und strategielosen Franz Müntefering. Führung ist aber durch nichts zu ersetzen.

Die Krise der SPD ist nicht nur eine programmatische Krise, sie ist zuallererst eine Führungskrise. Der Verfall der sozialdemokratischen Führungskultur, der nun seit 18 Jahren anhält, ist symptomatisch für den Zustand einer Partei, die ihren inneren Halt verloren hat. Das Spitzendesaster hat Auswirkungen an allen Ecken und Enden. Die SPD-Schöpfer von Hartz IV hatten ihre Reform unter das Motto "Fordern und Fördern" gestellt. Innerhalb der Partei aber hat sich um dieses Motto seit langem kein Vorsitzender mehr wirklich gekümmert. Nachwuchsförderung funktioniert nicht, die Talente gehen kaputt und bleiben aus.

In den härtesten Oppositionszeiten der SPD lagen der Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Hand: Erich Ollenhauer hatte von 1952 bis zu seinem Tod 1963 beide Ämter inne. Hans-Jochen Vogel, Nachfolger von Herbert Wehner als Fraktionschef ab 1983, war zugleich ab 1987 Nachfolger Willy Brandts als Parteichef. Deren Schuhe sind so groß, dass Gabriel und Steinmeier wohl lieber zu zweit hineinschlüpfen. Aber: Nicht das Hineinsteigen in die Schuhe ist das Problem, sondern das damit Vorankommen.

© SZ vom 30.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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