SPD:Gabriel - der Bescheidene

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Drückt seine Daumen sicher für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (l.): Außenminister Sigmar Gabriel (Foto: dpa)

Der neue Außenminister hat sein Amt schnell lieb gewonnen. Allerdings: Wenn Martin Schulz Kanzler würde, müsste er wieder gehen.

Analyse von Nico Fried

Wenn Sigmar Gabriel am Ende erreichen sollte, was er behauptet, erreichen zu wollen, dann kann er einen Bestseller-tauglichen Ratgeber über die Kunst des Verzichts schreiben. Dafür, dass die SPD eine Chance aufs Kanzleramt erhält, hat Gabriel die Kanzlerkandidatur drangegeben. Er hat zudem den Parteivorsitz aufgegeben, den er stets als besonders wertvoll erachtete. Wenn Martin Schulz aber Bundeskanzler werden sollte, müsste Sigmar Gabriel mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein drittes Mal verzichten: auf das Amt des Außenministers. Ein Sieg für die SPD könnte für Gabriel auch schmerzhaft sein.

Als Gabriel im Januar die große Rochade an der SPD-Spitze auf den Weg brachte, wechselte er auch das Regierungsamt. Der damalige Wirtschaftsminister sagte dem Stern: "Ich werde Deutschlands neuer Außenminister. Angesichts der Unruhen in der Welt und auch der Drohungen der neuen US-Regierung ist das eine spannende und große Aufgabe." Das klang nicht so, als ob er sich nur als Interimslösung verstünde. Und in gewisser Weise hatte er sich den Platz im Auswärtigen Amt ja geradezu freigearbeitet, indem es ihm gelang, Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsidenten ins Schloss Bellevue zu hieven.

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Mal mault er, mal ist er nachdenklich und manchmal auch ratlos. Trotz der schlechten Lage der SPD kann sich ihr Vorsitzender immer wieder an sich selbst berauschen.

Von Nico Fried

Schulz: Die SPD werde die stärkste Fraktion stellen

Wenige Tage später wurde Martin Schulz im Spiegel gefragt, ob Gabriel über die Bundestagswahl im September hinaus Außenminister bleiben könne. Antwort: "Ich glaube, dass ich Sigmar in diesem Punkt enttäuschen muss." Die SPD werde die stärkste Fraktion stellen, und er werde Kanzler. Da er aber nicht erwarte, dass die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit erhielten, "wird möglicherweise ein Koalitionspartner den Posten des Außenministers beanspruchen."

Sigmar Gabriel steckt somit in einer Situation, die ein bisschen jener Lage ähnelt, in der sich Angela Merkel 2002 befand. Sie hatte damals auf die Kanzlerkandidatur verzichtet und Edmund Stoiber (CSU) den Vortritt gelassen. Hätte Stoiber die Wahl gewonnen, wären Merkels Chancen auf eine Kanzlerkandidatur mindestens für einige Jahre, möglicherweise sogar ganz erledigt gewesen. Niemand außer Merkel und vielleicht engste Vertraute wissen, ob ihr am Wahlabend 2002 ein Stein vom Herzen fiel, als Stoiber die Wahl am Ende knapp verlor.

Und Gabriel? Er hat sein neues Amt schnell lieb gewonnen, das ist unverkennbar. Gabriel hat ruckzuck die wichtigsten Antrittsbesuche erledigt, hat mit einer frühen Reise in die baltischen Staaten ein politisches Zeichen zugunsten der kleineren Staaten in Europa gesetzt und sich bisher öffentlich noch nichts zuschulden kommen lassen, was man als diplomatischen Ausrutscher bezeichnen müsste.

Gabriel reichert seine Reden und Stellungnahmen gerne mit historischen, oft auch mit persönlichen Exkursen an. Er wirkt bedeutend lebhafter als sein Vorgänger, was die Beobachtung des Bundesaußenministers einstweilen weniger ermüdend macht als in den vergangenen Jahren. An die Koalitionsdisziplin hat er sich bislang weitgehend gehalten, so wie er es schon an jenem Abend versprochen hatte, an dem er seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bekannt gab.

In der Russland-Politik, wo allgemein aufgrund früherer Äußerungen am ehesten eine erkennbare Distanzierung Gabriels von Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet worden war, schlug der neue Minister in den ersten Wochen überraschenderweise eher sogar einen schärferen Ton an als sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier.

Innenpolitisch konfrontativer zeigt sich Gabriel bislang eher in der Diskussion um die Erhöhung der Militärausgaben entsprechend den Vorgaben in der Nato, wobei er sich bei diesem Thema auch mehr mit seiner Lieblingsgegnerin Ursula von der Leyen anlegt als mit der Kanzlerin.

Gabriel kann sich den Anforderungen eines Amtes gemäß zusammenreißen

Gabriel, dem oft Sprunghaftigkeit und Disziplinlosigkeit nachgesagt werden, verfügt durchaus über die Fähigkeit, sich den Anforderungen eines Amtes gemäß zusammenzureißen. In der ersten großen Koalition unter der Kanzlerin Angela Merkel, nachdem Gabriel in letzter Sekunde als Bundesumweltminister an den Kabinettstisch gerückt war, äußerte er sich vier Jahre lang fast ausschließlich zu Fragen seines Ressorts und nur selten allgemeinpolitisch. Erst im Wahlkampf 2009 wurde er zu einem der schärfsten Kritiker der Union, insbesondere in der Atom-Politik.

Eine große Koalition unter Führung der Union nach der Bundestagswahl würde Gabriel am ehesten ermöglichen, Außenminister zu bleiben - vorausgesetzt, Martin Schulz machte ihm das Amt nicht streitig. Je besser sich Gabriel in den nächsten Monaten präsentiert, und je schneller sein Ansehen im Amt steigt - was bei Bundesaußenministern erfahrungsgemäß sehr schnell gehen kann -, desto schwerer wäre ein erneuter Wechsel zu rechtfertigen.

Sollte Schulz aber Kanzler werden, wird es eng für Gabriel. Zwar hat es immer mal wieder Debatten gegeben, ob für einen kleineren Koalitionspartner nicht das Finanzministerium viel wichtiger sei, was in einer Zweier-Koalition mit dem Verzicht auf das Außenministerium verbunden sein könnte. Da es nach derzeitigem Stand wahrscheinlicher ist, dass Schulz - wenn überhaupt - eine Dreier-Koalition bräuchte, um Kanzler zu werden, wäre das Auswärtige Amt kaum zu halten.

Trotzdem drückt Sigmar Gabriel seine Daumen bestimmt ganz fest für Schulz.

© SZ vom 20.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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