SPD und Union nach Europawahl:"Wir haben mit der Union keinen Abo-Vertrag geschlossen"

Europawahl - Berlin SPD

Muss ein Wahldebakel mitverantworten: SPD-Vorsitzende Andrea Nahles.

(Foto: dpa)
  • Die SPD hat bei der Europawahl ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren.
  • Die Parteilinken Ralf Stegner, Kevin Kühnert und Matthias Miersch fordern nun Kurskorrekturen in der Partei.
  • Um die eigenen Ziele zu erreichen, müsse künftig außerdem Schluss sein mit innerparteilichen Auseinandersetzungen.
  • Auch die CDU hadert mit ihrem Wahlergebnis.

Von Matthias Kohlmaier

Nur 15,8 Prozent hat die SPD bei der Europawahl geholt - es ist vorläufig der schlimmste in einer Reihe von Tiefpunkten, die die Partei bei vergangenen Wahlen auf Landes- und Bundesebene erlebt hat. Keine Überraschung, dass die Debatte um die künftige Ausrichtung nun wieder Fahrt aufnimmt. Angestoßen hat sie der linke Flügel um Parteivize Ralf Stegner, Juso-Chef Kevin Kühnert und den Chef der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch.

Sie schreiben in einem Positionspapier mit Blick auf die Entwicklung der Partei: "Wir sind gemeinsam der Erwartungshaltung nicht gerecht geworden." Deutschlandweit vermissten die Menschen bei der SPD "inhaltliche Klarheit und deutliche Kommunikation, sie vermissen die letzte Konsequenz unserer Forderungen und damit die Bereitschaft, bei den drängendsten Themen selbstbewusst voranzugehen". Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen könne es daher für die Sozialdemokraten nur eine Devise geben: "Wort halten".

Für die Arbeit in der Bundesregierung forden Stegner, Kühnert und Miersch eine "SPD ohne Angst", ein "linkes Gegengewicht mit der Perspektive fortschrittlicher Bündnisse nach dem Ende dieser Koalition". Damit machen sie auch klar: Die Koalition mit der Union ist eine Momentaufnahme, aber nicht mehr, ihr Enddatum der September 2021. "Wir haben mit der Union keinen Abo-Vertrag geschlossen."

Eine Ansage direkt an Ex-Parteichef Sigmar Gabriel

Um sich bis dahin als echte Konkurrenz beim Kampf ums Kanzleramt in Stellung zu bringen, muss die SPD den Parteilinken zufolge mehrere Anliegen zwingend forcieren: die Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes, des Berufsbildungsgesetzes sowie die Durchsetzung der Grundrente und des Einwanderungsgesetzes. Das seien selbstgesteckte Ziele, an denen die Zusammenarbeit in der Bundesregierung konkret gemessen werde.

Um die eigenen Ziele zu erreichen, solle künftig auch Schluss sein mit innerparteilichen Auseinandersetzungen. "Wir respektieren die Leistungen früherer Verantwortlicher und erwarten umgekehrt von diesen politische Unterstützung für jene, die heute Verantwortung tragen. Diskussionen um Köpfe öden auch uns an." Diese Ansage dürfte sich direkt an Ex-Parteichef Sigmar Gabriel richten. Der hatte noch am Wahlabend in der Talkshow von Anne Will gefordert, nun müssten in Berlin "diejenigen Verantwortung übernehmen, die den heutigen personellen und politischen Zustand in der SPD bewusst herbeigeführt haben".

Gabriels Kritik hatte auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zurückgewiesen. "Was wir nicht brauchen, sind jetzt irgendwelche alten Verantwortlichen, die von der Seitenlinie kommentieren", sagte Klingbeil im ARD-Morgenmagazin. Jedoch erklärte Klingbeil auch: "Es kann kein "weiter so" geben." Das Vertrauen der Wähler sei über Jahre verloren gegangen. "Das bringt man auch nicht durch ein gutes Gesetz zurück."

Damit dürfte sich der Generalsekretär mit dem linken Flügel seiner Partei einig sein. Dessen Vertreter schließen in ihrem Positionspapier mit einem Olof-Palme-Zitat: "Politik heißt, etwas wollen!" Es sei an der Zeit für neuen sozialdemokratischen Gestaltungswillen mit Leidenschaft und Entschlossenheit. Dieses Credo muss die SPD recht zeitnah umsetzen: Bereits am 1. September stehen die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg an.

CDU streitet über Gründe für schwaches Abschneiden

Große Verluste hat auch die CDU hinnehmen müssen. Sie liegt nun annähernd gleichauf mit den Grünen. Noch in der Wahlnacht verschickte die Bundesgeschäftsstelle der Christdemokraten eine erste Analyse des schwachen Ergebnisses an die Mitglieder des Bundesvorstands. Zuerst hatte die Welt darüber berichtet.

Die Gründe für das Abschneiden sind demnach: "Die Serie der Unentschlossenheit im Umgang mit Phänomenen wie 'Fridays for Future' und plötzlich politisch aktivierten YouTubern sowie vor allem der vorübergehende tiefe Einschnitt in der Wahrnehmung der CDU bei jüngeren Zielgruppen durch die Debatten zu den 'Uploadfiltern', einem vermeintlichen 'Rechtsruck' bei der JU sowie die medial sehr präsente, sogenannte 'Werte-Union' führten gleichzeitig zu einer deutlichen Abkehr der unter 30-jährigen Wählerinnen und Wähler".

Neben Verzagtheit bei Themen wie dem Klimaschutz sieht die CDU also Probleme mit dem eigenen Personal: mit der Jungen Union wie auch der konservativen Werte-Union. Die beiden Gruppen allerdings wehren sich gegen diese Einschätzung.

"Das eigene Haus hat in der letzten Woche völlig versagt, und jetzt sollen andere schuld sein?", sagte JU-Chef Tilman Kuban der Welt. "Wer auf YouTuber mit einer elfseitigen Hausarbeit antwortet, sollte lieber vor der eigenen Haustür kehren, als seinen Nachwuchs zu beschimpfen." Der Youtuber Rezo hatte wenige Tage vor der Wahl ein fast einstündiges Video veröffentlicht, in dem er die Politik der CDU harsch kritisierte. Die Partei kündigte zuerst eine Video-Antwort von Philipp Amthor an, publizierte das Video schließlich aber doch nicht und antwortete stattdessen schriftlich.

Kritisch äußerte sich gegenüber der Welt auch Alexander Mitsch, Vorsitzender der Werte-Union: "Die Mitglieder der Werte-Union und der Jungen Union haben bis zuletzt für einen Erfolg der CDU/CSU gekämpft. Dass sie nun zum Sündenbock gemacht werden sollen, zeigt, wie weit manche hauptamtlichen Funktionäre von der Realität und der Parteibasis entfernt sind."

Intern scheint die CDU nach dieser Wahl offensichtlich eine Menge aufarbeiten zu müssen. Generalsekretär Paul Ziemiak stimmte der Kritik der JU schon ein Stück weit zu. Er hatte am vergangenen Donnerstag zunächst abweisend auf die Videoveröffentlichung von Rezo reagiert - und diesen erst nach öffentlicher Kritik an diesem Verhalten zu einem Meinungsaustausch eingeladen. Ziemiak sagte dazu am Montag der Bild: "Wir haben zu langsam auf dieses Video reagiert, aber die Ressourcen, die wir in der Online-Kommunikation haben, sind viel zu gering, um mit jungen Menschen in Kontakt zu treten."

Bereits am Sonntagabend hatte Ziemiak im ZDF angekündigt, künftig stärker den Dialog mit jungen Menschen suchen zu wollen. Der Umbau brauche Zeit und Geduld.

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