Süddeutsche Zeitung

Udo Bullmann:"CDU und CSU sind nicht in der Lage, die Orbánisierung der EVP zu stoppen"

Der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl will die Sozialdemokraten deutlicher abgrenzen vom Koalitionspartner und kritisiert Manfred Weber scharf.

Interview von Leila Al-Serori, Straßburg

Seit zwanzig Jahren sitzt Udo Bullmann für die SPD im Europaparlament, seit März 2018 ist er Vorsitzender der S&D-Fraktion. Für die Europawahl 2019 geht er gemeinsam mit Katarina Barley als Spitzenkandidaten-Duo der SPD ins Rennen. An diesem Montag treten beide gemeinsam mit Frans Timmermans in Berlin auf, der Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident folgen möchte.

SZ: Herr Bullmann, Ihre Kollegin Katarina Barley hat gesagt, dass diese Europawahl die wichtigste Wahl in diesem Jahrzehnt für unseren Kontinent sei. Wie sehen Sie das?

Udo Bullmann: Tatsächlich hatte Europa noch nie so viele äußere und innere Gefahren zu bewältigen: stärker werdende Zerwürfnisse zwischen Arm und Reich, Polarisierungen zwischen abgehängten und prosperierenden Regionen. Viele Menschen fühlen sich alleingelassen, wenn in ihrem Ort der letzte Kindergarten schließt oder nur mehr zweimal am Tag ein Bus fährt. Das nutzen die rechten Rattenfänger aus, um Ängste zu schüren. Dazu kommt die Herausforderung der internationalen Migration, der Klimawandel. All diese Probleme haben uns gezeigt, dass man mindestens europäisch handeln muss, um das in den Griff zu bekommen. Nationale Konzepte reichen heute nicht mehr.

Die Wahl ist auch entscheidend für die SPD, da lief es ja zuletzt nicht so gut.

Aber jetzt geht es um Europa, das ist immer eines unserer großen Themen gewesen. Wir sind eine Reformpartei. Wir sind Kinder der Aufklärung und des Humanismus. Der morgige Tag soll besser werden als der gestrige. Wir wollen nicht am Status quo festhalten wie die Konservativen beispielsweise. Dafür brauchen wir die EU, heutzutage können wir nur mit europäischen Antworten unser Versprechen von zukunftsgerechten Reformen einlösen.

Das klingt jetzt etwas abstrakt. Ein Vorwurf an die SPD lautete zuletzt ja auch, den Anschluss an die Wähler verloren zu haben.

Wir haben viele Fehler gemacht, vor allem im Bundestagswahlkampf. Das haben wir aber aufgearbeitet. Die Erosion unserer politischen Basis, die Reduzierung von einer Million Mitglieder auf die Hälfte war ein schleichender Prozess, bei dem sicher Hartz IV eine Rolle gespielt hat. Ein Vorteil an meinem Arbeitsplatz in Brüssel und Straßburg ist, dass ich nicht nur Deutschland sehe, wenn ich die Sozialdemokratie betrachte. Wie die Entwicklung etwa in Portugal oder in Spanien zeigt, kann man mit einer konsequenten sozialdemokratischen Politik Länder erfolgreich aus der Krise führen. Und mit Frans Timmermans haben wir einen sehr starken europaweiten Kandidaten, der die besten Chancen hat, Kommissionspräsident zu werden. Auch in Deutschland kommen wir wieder voran. Vor allem wenn wir eine klare Ansage machen, wofür wir stehen.

Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hat zuletzt gesagt, wofür er steht, als er vorschlug, Großunternehmen auf demokratischem Weg zu verstaatlichen. Damit entsprach er aber keiner Mehrheitsmeinung der SPD. Hilft das der Profilschärfung?

Die allgemeine Aufregung darüber zeigt ja, dass er mit seinem Beitrag einen Punkt getroffen hat: Die Vermögensverteilung in unseren Gesellschaften ist ein Problem. Es kann nicht so weitergehen, dass die Vermögenden immer vermögender werden und der Rest immer weniger Aufstiegschancen hat. Was er als Lösungen vorschlägt, ist vielfach zu althergebracht und konventionell. Aber wenn sein Impuls dazu führt, dass wir neu über eine stärkere Orientierung am Gemeinwohl nachdenken, hilft das durchaus. Und unser Grundgesetz sagt, Eigentum ist sozialpflichtig.

Wenn wir konkret dabei bleiben, wofür die ganze SPD steht - welche Themen wären das in diesem Europawahlkampf?

Für europaweit armutsfeste Mindestlöhne, eine Stärkung der Regionen, mehr Zusammenarbeit auf EU-Ebene und eine humane Flüchtlings- und Migrationspolitik. Und wir lehnen uns klar nicht nach rechts, um den Rechten hinterherzulaufen, wie das die Konservativen machen.

Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, hat sich doch ebenfalls mehrfach schon von den Rechtspopulisten abgegrenzt.

Das ist eine Inszenierung. Weber ist immer guten Willens, aber er löst das Problem nicht. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat viele Jahre mit der Europäischen Volkspartei Katz und Maus gespielt. Ich bedaure, dass CDU und CSU nicht in der Lage sind, die Orbánisierung der EVP zu stoppen.

Die EVP hat die Fidesz doch suspendiert.

Das sind für mich keine ernsthaften Bemühungen. Und es ist ja nicht nur Orbán. Wir haben auch einen österreichischen Kanzler, der sich gegen den UN-Migrationspakt stellt. Der als Ratspräsident Kampfhubschrauber an die slowenische Grenze schickt, um Migranten abzuhalten, die dort gar nicht sind. Und trotzdem gilt Sebastian Kurz in der EVP als Vorzeige-Wahlkämpfer. Oder Europaparlamentspräsident Antonio Tajani von derselben Parteienfamilie, der Mussolini für seine Erfolge in der italienischen Innenpolitik lobt. Das ist die typische Strategie, die wir auch in Deutschland von der CSU kennen: den rechten Rand zu verhindern versuchen, in dem man ihn rechts einholt.

Was sind denn Ihre Rezepte gegen die Rechtsradikalen?

Wir müssen Europa ein wetterfestes Dach verpassen. Wenn unser Binnenmarkt sozial verträglich funktionieren soll, brauchen wir europaweit ausreichende Mindestlöhne. Das hat ja auch Emmanuel Macron als Reaktion auf die Proteste in Frankreich gefordert und Annegret Kramp-Karrenbauer hat ihm abgesagt. In ihrer Antwort können Sie herauslesen, dass die Union überhaupt nichts kapiert hat. Wir können nicht eine gemeinsame Außengrenze und einen freien Markt fordern, und den Rest dem Zufall überlassen. Man muss der Globalisierung eine soziale Dimension entgegensetzen, man muss mehr Gelder in die Regionalpolitik und den Strukturwandel stecken - sonst hat man immer mehr Menschen, die sich alleingelassen fühlen und von den Populisten eingefangen werden.

Den Umfragen zufolge werden die rechten EU-Kritiker ordentlich zulegen bei dieser Europawahl.

Das halte ich noch nicht für ausgemacht. Noch können wir die Menschen von unserem Weg überzeugen. Europa muss oft als Projektionsfläche für alles Schlechte herhalten - dabei liegt die Antwort auf die meisten Probleme in einem stärkeren und besseren, nicht in einem schwächeren Europa.

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