Süddeutsche Zeitung

Europawahl:Die SPD erlebt ihren Barley-Moment

  • Die SPD verabschiedet in Berlin ihr Programm für die Europawahl mit Spitzenkandidatin Barley.
  • Die Justizministerin begeistert die Delegierten, hat aber einen sehr schweren Wahlkampf vor sich.
  • Die Partei distanziert sich in einem Antrag von den umstrittenen Uploadfiltern, SPD-Chefin Nahles will außerdem beim Exportstopp für Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien hart bleiben.

Von Mike Szymanski, Berlin

Es ist Viertel vor 12 Uhr an diesem Samstag in Berlin, als die SPD ihren Barley-Moment feiert: "Ich habe doch noch gar nichts gemacht", sagt Katarina Barley. Die Justizministerin und nationale Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl steht am roten Rednerpult. Sie bekommt lauten und langen Beifall, obwohl sie noch gar nicht mit ihrer Rede begonnen hat. Die 177 Delegierten in der Kongresshalle am Berliner Alexanderplatz, sie sind jetzt schon hin und weg.

Wenn es doch nur so einfach wäre, den Barley-Moment, die Leichtigkeit dieses Augenblicks, in die nächsten Wochen hinüberzuretten. Aber dieser Europawahlkampf wird alles andere als leicht, alles andere als einfach. Streng genommen kann die Partei gar nicht gewinnen. Bei der Europawahl 2014 hatte die SPD mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ein für die SPD aus heutiger Sicht sensationelles Ergebnis von 27,3 Prozent geholt. Einen solchen Erfolg zu wiederholen, erscheint angesichts der Lage, in der sich die SPD momentan befindet, als nahezu ausgeschlossen. So viel Barley kann die SPD - in Umfragen steht sie weiterhin bei deutlich unter 20 Prozent - gar nicht aufbringen.

Trotzdem, die SPD will ihre Vorbereitungen für die Europawahl an diesem Samstag abschließen. Sie hat in Katarina Barley eine Kandidatin gefunden, die zu begeistern vermag. Die Wahlkampagne steht. Heute soll das Wahlprogramm verabschiedet werden. Alles fertig. Es kann losgehen.

Barley redet. "Dieses Europa kann nur funktionieren, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger an unserer Seite haben", sagt sie. Ein Europa für die Menschen, dafür setze sie sich ein. So kommt es auch im Wahlspot der SPD zum Ausdruck, der eingeblendet wird. Wofür stehe Europa, was ist "eigentlich dieses Europa"? "Ich", sagt ein Handwerker, "Ich", sagt eine Künstlerin.

"Haben sie keine besseren Ideen für Europa, Frau Kramp-Karrenbauer?"

Im Wahlprogramm ist das alles natürlich nicht so knapp formuliert. Da ist nachzulesen, dass sich die SPD für auf die jeweilige Situation in den Mitgliedstaaten ausgerichtete Mindestlöhne einsetzt. Was das für Deutschland bedeutet? Zwölf Euro Mindestlohn die Stunde. "Da wollen wir hin", sagt Barley. Sie will mehr Steuergerechtigkeit durchsetzen. Steuerschlupflöcher will die SPD nicht länger dulden, erst recht nicht für Internetgiganten. "Verdammt noch mal!", sagt Barley, kurz im maximalen Empörungsmodus angekommen. "Europa kann sich wehren. Das müssen wir jetzt auch steuerlich umsetzen."

Der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer wirft sie vor, sie wolle ein Europa der Banken und einen "europäischen Flugzeugträger für 13 Milliarden Euro". So sehe das Europa von CDU und CSU aus, sagt Barley. "Das ist nicht unsere Vorstellung von Europa."

An diesen Stellen geht Barley die Rede leicht von der Hand. Schwieriger wird es für sie, als sie auf die europäische Urheberrechtsreform zu sprechen kommt. Sie kann gar nicht anders. Nur ein paar Kilometer von hier entfernt werden etwas später am Tag Tausende Demonstranten auf die Straße gehen, um gegen den Einsatz sogenannter Uploadfilter zur protestieren. Diese Software überwacht automatisch, was Nutzer ins Internet hochladen. Das neue Urheberrecht könnte Internetplattformen wie Youtube veranlassen, solche Uploadfilter einzusetzen, um Rechte zu schützen.

Barley konnte sich innerhalb der Bundesregierung nicht mit ihrer Position durchsetzen, den entsprechenden Artikel aus der Richtlinie herauszunehmen, obwohl SPD und Union Uploadfilter im Koalitionsvertrag ablehnten. Die SPD macht in dieser Frage gerade keine gute Figur. Jetzt macht Barley noch einmal klar. "Wir halten Uploadfilter für den falschen Weg." In einem Antrag ermuntert die SPD die Genossen im Europaparlament, die Richtlinie bei den Debatten im Europaparlament doch noch zu verhindern. Wenn die Union ihre Glaubwürdigkeit bewahren wolle, könne sie den Anträgen der SPD im Europaparlament ja zustimmen, sagt Barley. In der Parteispitze ist man trotzdem unglücklich darüber, dass diese Debatte in den vergangenen Tagen so viel Raum eingenommen hat. "Als Helden gehen wir in dieser Diskussion nicht vom Feld", sagt einer aus der Parteiführung.

Ohne die Uploadfilter-Debatte könnte dieser Samstag nach langer Zeit mal so etwas wie ein perfekter Tag für die SPD sein. Kein Zwist, kein großes Gemaule, jedenfalls nicht öffentlich. Stattdessen Einigkeit in großen Themen. Parteichefin Andrea Nahles hält eine kompakte, kämpferische Rede. 20 Minuten spricht die Vorsitzende. Sie braucht nicht lange, um in Fahrt zu kommen. Europa lasse sie sich nicht kaputtreden: "Nicht von einem Salvini. Nicht von einem Gauland. Nicht von einem Orbán", sagt sie mit Blick auf Italiens Innenminister, den AfD-Chef und Ungarns Ministerpräsidenten.

"Ich glaube fest daran, dass die Hetzer und Ewiggestrigen nicht durchkommen." Bedroht sei Europa aber auch von "den Lauen", das sind aus ihrer Sicht jene, die nicht engagiert genug für Europa einträten. Da nennt sie gleich darauf Kramp-Karrenbauer. Die CDU-Chefin hatte sich kürzlich unter anderem für die Abschaffung des zweiten Sitzes des Europaparlaments im französischen Straßburg ausgesprochen. Nahles fragt: "Haben sie keine besseren Ideen für Europa, Frau Kramp-Karrenbauer?"

Es ist der Tag, an dem jedem klar werden soll, wofür die SPD in Europa steht, und wofür die anderen. Der nächste Großkonflikt mit der Union zeichnet sich schon ab. Beim Exportstopp für Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien will Nahles hart bleiben, trotz Protesten aus der Union. "Solange im Jemen Woche für Woche Menschen sterben und Kinder hungern, solange Saudi-Arabien dort Kriegspartei ist, solange darf es keine weiteren Waffenlieferungen aus Deutschland dorthin geben", ruft Nahles in den Raum. "Wir wollen keine europäischen Waffen in Kriegsgebieten."

Die vom Koalitionspartner Union aufgebrachte Frage nach der Haltung europäischer Partner könne "so nicht die Lösung sein", sagt Nahles. "Wir stehen ohne Wenn und Aber für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik." Ihre Partei sei perspektivisch für eine europäische Armee und eine gemeinsame europäische Rüstungspolitik. Es gebe dazu aber noch unterschiedliche Sichtweisen. "Für uns ist doch jetzt erst mal nicht die Frage, was wollen die Briten, was wollen die Franzosen, sondern für uns muss es darum gehen, mit welcher Position sich Deutschland in diese zukünftigen Debatten einbringen will", sagt Nahles.

Die SPD sagt zumindest an diesem Samstag sehr deutlich, was sie will.

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