SPD-Chef Martin Schulz:Abgang ins Abseits

Außerordentlicher SPD-Parteitag

"Ich hoffe inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind": Martin Schulz will nun doch kein Regierungsamt.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

SPD-Chef Martin Schulz hat sich ganz allein in eine aussichtslose Lage manövriert. Doch gehindert hat ihn daran in der Parteiführung auch niemand. Von einem, der auszog - und steckenblieb.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Im Nachhinein fragt man sich, ob er ernsthaft geglaubt hat, damit durchzukommen. Ob er nicht gesehen hat, was auf ihn zukommen, was losbrechen, welcher Druck sich aufbauen würde, und zwar binnen weniger Tage, ja Stunden. Aber offenbar hat Martin Schulz das nicht gesehen. Offenbar hat er tatsächlich geglaubt, er könne Außenminister werden, obwohl er am Tag nach der Bundestagswahl klipp und klar ausgeschlossen hatte, in ein Kabinett unter Angela Merkel einzutreten. Warum sonst hätte er sich diese finale Demütigung noch antun sollen?

Und was ist eigentlich mit den anderen, den Personen hinter ihm und um ihn herum, die den Plan mitgetragen haben, auf den Parteivorsitz zu verzichten und sich ins Auswärtige Amt zu retten? Was ist mit Andrea Nahles und mit Olaf Scholz, der designierten Parteivorsitzenden und dem als Vizekanzler vorgesehenen Hamburger Bürgermeister? Haben sie, politische Vollprofis, das alles ebenfalls nicht gesehen? Oder haben sie es gesehen, aber nichts gesagt, weil ihnen klar war, dass sich das Problem ohnehin erledigen würde? Man hält ja inzwischen viel für möglich in der SPD.

Am Ende war es der eigene Landesverband, der Martin Schulz signalisierte, dass es so nicht weitergehen könne

Es ist 14.22 Uhr am Freitagnachmittag, als die SPD-Pressestelle eine "Erklärung des SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz" verschickt. Darin lobt Schulz einmal mehr den vor wenigen Tagen ausgehandelten Koalitionsvertrag und begründet, warum die SPD-Mitglieder dem Bündnis mit der Union aus seiner Sicht zustimmen sollten. Dann teilt er mit, was kurz zuvor bereits durchgesickert ist: Durch die Diskussion um seine Person sehe er "ein erfolgreiches Votum" in Gefahr. Daher verzichte er und hoffe, dass damit die Personaldebatten in der SPD beendet seien.

Das war es. Damit endet eine geradezu einzigartige Geschichte von Aufstieg und Fall, deren Tempo und Dynamik selbst in diesen beschleunigten Zeiten atemberaubend waren. Vor einem Jahr wurde der Europapolitiker Martin Schulz aus Würselen in wenigen Wochen zu einer sozialdemokratischen Lichtgestalt. Ende September war er dann der Wahlverlierer mit dem historisch schlechtesten SPD-Ergebnis seit Bestehen der Republik. Am Mittwoch dieser Woche kündigte er seinen Verzicht auf den Parteivorsitz an. Und nun das.

Die Erklärung

Martin Schulz' Begründung im Wortlaut:

"Der von mir gemeinsam mit der SPD-Parteispitze ausverhandelte Koalitionsvertrag sticht dadurch hervor, dass er in sehr vielen Bereichen das Leben der Menschen verbessern kann. Ich habe immer betont, dass - sollten wir in eine Koalition eintreten - wir das nur tun, wenn unsere sozialdemokratischen Forderungen nach Verbesserungen bei Bildung, Pflege, Rente, Arbeit und Steuer Einzug in diesen Vertrag finden. Ich bin stolz, sagen zu können, dass das der Fall ist. Insbesondere ist die Neuausrichtung der Europapolitik ein großer Erfolg. Umso mehr ist es für mich von höchster Bedeutung, dass die Mitglieder der SPD beim Mitgliedervotum für diesen Vertrag stimmen, weil sie von dessen Inhalten genauso überzeugt sind, wie ich es bin. Durch die Diskussion um meine Person sehe ich ein erfolgreiches Votum allerdings gefährdet. Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind. Wir alle machen Politik für die Menschen in diesem Land. Dazu gehört, dass meine persönlichen Ambitionen hinter den Interessen der Partei zurückstehen müssen." SZ

Wie kam es dazu? Noch am Mittwochabend war Schulz im Willy-Brandt-Haus aufgetreten und hatte wortreich erklärt, wie er sich als Außenminister um eine neue, andere Europapolitik bemühen wolle. Aber da gärte es längst in der SPD. Als Schulz nach seinem Auftritt in der Parteizentrale zur Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion eilte, berichteten dort mehrere Abgeordnete von empörten und verständnislosen Rückmeldungen, die sie im Lauf des Tages von ihrer Parteibasis erreicht hätten. Der Tenor, immer wieder: ein toller Koalitionsvertrag - aber Schulz im Außenministerium, das gehe gar nicht. Spätestens da war klar: Es gab ein Problem.

Zwar streuten ein paar verbliebene Schulz-Getreue hinterher, die Wortmeldungen seien offenkundig von Sigmar Gabriel orchestriert gewesen, der nach seiner Ausbootung als Außenminister nun Stimmung gegen Schulz mache. Doch das half nichts mehr, dazu war die Empörung in der Partei zu breit. Noch nie habe er so viele Rückmeldungen bekommen, erzählte ein Abgeordneter. Allesamt negativ.

Die Stimmung nahm man auch in Nordrhein-Westfalen wahr, im größten und mächtigsten SPD-Landesverband. Auch Schulz kommt von dort, doch die Landesspitze sah ihn seit Längerem kritisch. Kürzlich, vor dem Parteitag in Bonn, hatten die NRW-Genossen erfolgreich darauf gedrungen, ein paar Zusatzforderungen für die Koalitionsverhandlungen zu beschließen. So wollte Landeschef Michael Groschek die zahlreichen Kritiker in seinen Reihen befrieden. Doch nun sah er, dass dank Schulz alles wieder auf der Kippe stand. Am Mittwochmorgen, als die Personalie noch nicht durchgesickert war, stand Groschek in Berlin vor der CDU-Zentrale, dem Ort des Verhandlungsfinales. Ob er derjenige sei, der Schulz beibringen werde, dass er nicht SPD-Chef und zugleich Minister sein könne - so wurde er gefragt. Da knurrte Groschek nur, er habe genug Brücken gebaut.

Der Tenor war eindeutig: Das geht so nicht.

Doch zuletzt baute er mächtig Druck auf - erst recht nach einer Telefonkonferenz, an der am Donnerstag zahlreiche nordrhein-westfälische Abgeordnete und Parteifunktionäre teilnahmen. Auch hier war der Tenor eindeutig: Das geht so nicht. Es folgen zahlreiche Gespräche, auch mit Schulz. Laut Parteikreisen soll dabei folgendes Szenario im Raum gestanden haben: Entweder Schulz verzichte von sich aus - oder man würde ihn öffentlich zum Verzicht auffordern. Dennoch betont man in der NRW-SPD, man habe Schulz "nicht die Pistole auf die Brust" gesetzt, sondern ihm "eindringlich" die Stimmung in der Partei nahegebracht. Groschek jedenfalls äußert sich am Freitagnachmittag zufrieden und spricht Schulz seinen "Respekt" aus: Mit seinem Verzicht leiste er "einen notwendigen Beitrag dazu, die Glaubwürdigkeit der SPD zu stärken".

Aber was bleibt Schulz nach diesem Verzicht eigentlich noch? Seine eigene Glaubwürdigkeit ist ja seit Mittwoch endgültig dahin. Und die Chance, sich als ernst zu nehmender Politiker zu rehabilitieren, bekommt er nun auch nicht, jedenfalls nicht im Auswärtigen Amt. Vor allem deshalb wollte er ja unbedingt dort hinein: um der Republik zu zeigen, dass er es eben doch kann. Und um mit der Zeit womöglich jenen Popularitätsbonus einzufahren, den das Außenamt bislang noch fast jedem Minister beschert hat, zuletzt Sigmar Gabriel.

Überhaupt, Gabriel: Im Moment des Schulz-Verzichts wäre der geschäftsführende Außenminister aus Goslar eigentlich die logische Ersatzlösung gewesen - wenn er sich nicht am Donnerstagabend mit ein paar Sätzen zu Wort gemeldet hätte, die seine zahlreichen Gegner endgültig in ihrem Urteil bestärkten. Da beschwerte sich Gabriel erst bitter über den respektlosen Umgang mit ihm, um dann richtig fies nachzutreten und seine kleine Tochter ins Spiel zu bringen. Die habe über Schulz gesagt: "Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht." Schulz und Gabriel haben sich mal als Freunde bezeichnet.

Am Freitagnachmittag herrscht bei den allermeisten Genossen die Einschätzung vor, dass sich Gabriel mit seinen Äußerungen endgültig disqualifiziert habe - zumal weder Olaf Scholz noch Andrea Nahles zu seinen Freunden zählen. Und trotzdem gibt es Sozialdemokraten, die sich für Gabriel in die Bresche werfen - Johannes Kahrs zum Beispiel, den Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Bundestagsfraktion. Er twittert: "Sigmar Gabriel ist ein sehr guter Außenminister. Sigmar Gabriel sollte Außenminister bleiben. Alles andere würde ich jetzt nicht mehr verstehen." Das wiederum erzeugt Ärger bei anderen Genossen.

Norbert Römer, Chef der nordrhein-westfälischen SPD-Landestagsfraktion, entgegnet: "Es ist höchste Zeit, dass Johannes Kahrs endlich mal die Klappe hält. Seine Querschüsse nerven." Doch Kahrs steht nicht allein. Der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer pflichtet ihm bei: "Es wäre unverantwortlich, Sigmar Gabriel nicht im Auswärtigen Amt zu belassen", sagt er. "Natürlich hätte er besser nicht sagen sollen, was er am Donnerstag gesagt hat." Aber, so Schäfer: "Man muss ihm doch wegen eines Fehlers nicht gleich ein ganzes Ministerium wegnehmen."

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