SPD-Chef Gabriel zum ZDF-Interview:"Wir sind keine kalten Fische"

Sigmar Gabriel SPD

Mit markigen Sprüchen Richtung Koalition: SPD-Chef Sigmar Gabriel

(Foto: Imago Stock&People)

Er sei halt auch mal emotional, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel zum verunglückten Interview mit ZDF-Moderatorin Slomka. Stimmt, und derzeit teilt er häufig aus. Gabriel kämpft um ein Ja der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag. Seine kernigen Sprüche folgen einem Muster.

Von Nakissa Salavati und Michael König

Es war ein drolliges Schauspiel, das sich am Donnerstagabend im Heute Journal ereignete: SPD-Chef Sigmar Gabriel und ZDF-Moderatorin Marietta Slomka, giftend, ineinander verbissen. Ein Interview wie ein schwerer Autounfall, aber wenig überraschend: Gabriel kämpft um ein Ja der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag. Erste Umfragen deuten auf einen Erfolg hin. Bekommt er die Mehrheit nicht auf seine Seite, ist das Bündnis mit CDU und CSU dahin - und sein Job wohl auch. Also poltert und kratzt Gabriel, er beißt und buhlt. Nicht nur im Fernsehen, sondern auf Veranstaltungen in ganz Deutschland. Seiner Argumentationsline wird er dabei treubleiben. Wir haben versucht, sie zu interpretieren.

"Lassen Sie uns den Quatsch beenden"

Das altehrwürdige Deutsche Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm versteht unter "Quatsch" eine "breiartige quatschende masse, straszenkoth u. dgl.". Gabriel wirft diese Masse der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka entgegen, als die zu bedenken gibt, vergleichsweise wenige SPD-Mitglieder entschieden über eine Koalition für ganz Deutschland. Das sei verfassungsrechtlich schwierig.

Gabriel hält das - aus durchaus nachvollziehbaren Gründen - für Blödsinn. Aber Blödsinn ist ein elitäres Wort, Quatsch ein kumpelhaftes, volksnahes. Und darum geht es dem SPD-Chef: volksnah zu sein. Als Grund für die Wahlpleite hat er schließlich die große Kluft zwischen SPD-Führung und -Basis ausgemacht. In dem Quatsch steckt nun eine Läuterung. Wer sich mit Straßenkot befasst, kann schließlich nicht elitär sein. En passant stellt er die Medien als Quertreiber dar und schafft ein Wir-Gefühl, dazu später mehr.

"Wir sind ja keine kalten Fische"

So rechtfertigte Gabriel seine verbale Attacke auf Slomka. Ebenfalls in einem Interview, diesmal mit dem TV-Sender RTL bei sonntags.live, sagte er auf die Frage, ob er sauer auf die ZDF-Moderatorin sei: "Nein, ich finde solche Situationen, die sind auch normal. Wir sind ja keine kalten Fische und manche Journalisten glauben, wir Politiker seien so zum Watschenmann da. Dafür bin ich nicht geeignet."

Damit stellt sich Gabriel als Opfer dar ("Watschenmann") und verneint zugleich, eines zu sein ("nicht geeignet"). Die Biologie lehrt übrigens, dass Fische wechselwarme Tiere sind. Sie passen sich der Umgebungstemperatur an. Und die war im Heute Journal entweder hitzig oder frostig, wie man's nimmt.

"Nur wir selber können uns kleinmachen. Niemand anders"

Das ist vielleicht größte Sorge der SPD-Basis: von Angela Merkel kleingemacht zu werden. Wie 2005, als die Genossen schon einmal ihren Juniorpartner gaben. Und bei der Bundestagswahl 2009 mit 23 Prozent abgestraft wurden. So klein will die SPD nie wieder werden. Dass sie 2013 kaum größer ist (25,7 Prozent), wird dabei gerne übersehen.

Gabriel macht sich die kollektive Sorge zunutze und betont sie, indem er bei seinem Auftritt in Hessen von "wir selber" spricht. "Wir" hätte es auch getan. Sein Ziel ist es, den Genossen eine Wagenburg-Mentalität einzuimpfen. Wagenburgen wurden schon im Mittelalter errichtet, um Feinde abzuwehren. Feinde, das sind für Gabriel jene, die Zwietracht und Zweifel säen wollen. Journalisten wie Slomka, beispielsweise. Und Slomka kann einfach auch ätzend insistierend sein, wie das im Wahlkampf unter anderem auch Ex-SPD-K-Kandidat Peer Steinbrück erfahren durfte.

"Ein Koalitionsvertrag für die kleinen fleißigen Leute"

Einer der Kernsätze aus der Pressekonferenz, nachdem Gabriel am Mittwoch den Koalitionsvertrag unterzeichnet hat. Merkel freute sich demonstrativ über Kontinuität und den Verzicht auf Steuererhöhungen und neue Schulden. CSU-Chef Horst Seehofer freute sich über die Pkw-Maut und generell über die große Koalition, weil er die schließlich von Anfang an gewollt habe. Und Gabriel?

Der SPD-Chef betonte mit Inbrunst die sozialen Wohltaten, mit denen sich die SPD durchsetzen konnte: die Rente mit 63 Jahren und den Mindestlohn. Die verkauft er nun so groß wie möglich, schließlich sind andere Forderungen völlig untergegangen: die Abschaffung des Betreuungsgelds und des Ehegattensplittings etwa oder eine Reichensteuer. Die Betonung auf "kleine fleißige Leute" verschleiert die Versäumnisse ein Stück weit. Wer wird denn so kleinlich sein, darauf hinzuweisen?

"Ich kenne meinen Laden"

Eine Reaktion auf die Frage von Berliner Journalisten, was bei einem Scheitern des Mitgliederentscheids passiere. Soll heißen: Machen Sie sich mal keine Sorgen, das geht gut. Gabriel macht sich mit den Genossen gemein - "Laden" ist ein sehr viel volksnäherer Begriff als etwa "Partei" - und betont ihr Chef zu sein ("mein Laden"). Da schwingt eine Drohung mit: Wehe, ihr lasst mich hängen! Im "Laden" ist zudem eine Spur Wagenburg-Mentalität zu erkennen.

"Und wenn der FDP-Vorsitzende Herr Lindner erklärt, der Koalitionsvertrag sei ein sozialdemokratisches Programm, dann scheinen wir ja nicht alles falsch gemacht zu haben"

Um zu demonstrieren, wie SPD-geprägt der Koalitionsvertrag ist, verweist Gabriel dieser Tage immer wieder auf die Gewerkschaften, die den SPD-Mitgliedern die Zustimmung zum Vertrag empfehlen. Die Gewerkschaften sind allerdings der SPD-Spitze traditionell nah, ihr Votum dürfte Skeptiker daher nicht überzeugen können.

Viel wirksamer ist hingegen der Verweis auf den politischen Gegner: Wenn selbst der FDP-Vorsitzende den Koalitionsvertrag für sozialdemokratisch hält, dann kann er doch nicht das Gegenteil sein? Christian Lindner kann schließlich kein Interesse haben, die Genossen zu einem "Ja" zu bewegen. Lehnt die SPD-Basis ab, kommt es zu Neuwahlen - und dann säßen die Liberalen womöglich wieder im Bundestag. Das, so deutet Gabriel implizit an, kann doch keiner wollen.

"Wenn wir das so machen würden wie bei der CDU ..."

Auch wenn SPD und CDU/CSU betonen, einen grundlegend anderen Blick auf die Probleme in Deutschland zu haben - in vielem ticken die Parteien mittlerweile ähnlich. Beispiele sind die Mietpreisbremse oder der Mindestlohn. Doch zu viel Gemeinsamkeit schadet dem Selbstverständnis der SPD, das weiß Gabriel. Um die Konturen der SPD zu schärfen, grenzt er sich im ZDF von der Union ab: "Natürlich ist es besser, wenn die Mitglieder mitbestimmen können", sagt er. "Bei anderen Parteien entscheiden kleine Gruppen".

"Die SPD entscheidet hier nicht über sich ..."

... sondern darüber, "ob eine Floristin mit fünf Euro in der Stunde endlich 8,50 Euro kriegt", sagte Gabriel den SPD-Mitgliedern in Hessen. Soll heißen: Wir sind keine Partei, der es um die Macht geht. Nein, es geht um das große Ganze, die sozialdemokratische Mission, die "kleinen Leute". Und wenn ihr Nein sagt, liebe Genossen, dann beweist ihr das Gegenteil. Und das kann doch auch keiner wollen. Oder?

Koalitionsvertrag
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