Süddeutsche Zeitung

Stimmerfolge:Bei allem Respekt

Die SPD hat die Union im Osten weit überflügelt. Was hatten die Sozialdemokraten, was der CDU fehlte?

Von Cerstin Gammelin

Im Umfeld der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat es stets geheißen, jede Wahl bringe eine Überraschung mit sich, etwas, was man nicht vorausgesehen habe. Und so ist es auch bei dieser Bundestagswahl. Die SPD war plötzlich die Partei, die in Ost wie West gleichermaßen gewählt worden war. Die Sozialdemokraten seien "die einzig gesamtdeutsche Partei", sagt Carsten Schneider, der nach drei erfolglosen Anläufen seinen Wahlkreis in Erfurt und Weimar zurückgewonnen hat.

Die SPD hat im Osten insgesamt 24,1 Prozent der Wählerstimmen gewonnen, fast zehn Prozentpunkte mehr als 2017. Die sozialen Netzwerke waren am Montag voll von (jungen) Kandidaten, die das erste Mal gewonnen hatten. Merkels einstiger Wahlkreis ging etwa an die 27-jährige Anna Kassautzki. Auch Kanzlerkandidat Olaf Scholz, erstmals in Potsdam angetreten, gewann mit großem Vorsprung.

Die SPD war von ganz unten gekommen, bei den vergangenen beiden Wahlen hatte sie nur jeweils ein Direktmandat erringen können. Am Montag war plötzlich von Rügen bis Erfurt fast alles rot. Aber was hatten die Sozialdemokraten, was die CDU bei dieser Wahl nicht hatte?

Starke Frauen haben zum Erfolg beigetragen

Da wären die starken Frauen. Die SPD wird wohl künftig (mit Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz) drei Ministerpräsidentinnen stellen, die Union - weiter keine. Manuela Schwesig hat in Mecklenburg-Vorpommern mit knapp 40 Prozent der Stimmen einen Sieg eingefahren, der selbst in Bayern inzwischen nicht mehr möglich erscheint. Schwesig kann sich aussuchen, mit wem sie regieren will. Die andere Siegerin, Franziska Giffey, hat es bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus zwar nur knapp geschafft. Aber am Ende zählte, dass Kanzlerkandidat Scholz am Montag mit zwei ostdeutschen Frauen auf der Bühne des Willy-Brandt-Hauses stehen konnte, die höchstwahrscheinlich bald als Regierungschefinnen bestätigt werden. Die starken ostdeutschen SPD-Frauen, sagt Steffen Mau, Soziologe an der Humboldt-Universität, spielen "eine wichtige Rolle für den Erfolg im Osten".

Zur Ironie des Wahlergebnisses 2021 gehört ja, dass die scheidende Kanzlerin indirekt ihren Anteil daran hatte. Es sei zwar schwer zu sagen, ob die Ostdeutsche Angela Merkel einen generellen Ost-Bonus hatte und dort auch für ihre Herkunft Stimmen eingefahren hat, analysiert Mau. "Aber es war auch kein Schaden für die CDU, dass sie aus dem Osten war." Die Anschlussfähigkeit ihres Nachfolgekandidaten Armin Laschet "an den ostdeutschen Habitus" sei deutlich geringer gewesen. Darauf deuten auch die Wählerwanderungen hin. Die Union hat 13 Prozent ihrer früheren Wähler an die SPD verloren, fast zwei Millionen Stimmberechtigte. Etliche davon, vor allem in den neuen Ländern, dürften den Abschied der ostdeutsch sozialisierten Kanzlerin zum Anlass genommen haben, sich auch von der CDU zu verabschieden.

Was der CDU im Osten außerdem fehlte, war ein Kandidat mit überzeugenden Inhalten. Laschets Verweis auf den Kohleausstieg im Ruhrgebiet hat in der Lausitz wenig zur Vertrauensbildung beigetragen, vor allem, wenn stets zugleich darauf verwiesen wird, dass es in den neuen Ländern inzwischen besser aussehe als drüben im Westen. Er werde, weil er tief im Westen wohne, mit einem Auge besonders auch auf den Osten schauen, hatte Laschet auf eine Frage im ersten Triell geantwortet. Was das bedeuten sollte, blieb unklar.

Zum ersten Mal liegt die SPD vor der CDU

Laschet hat die CDU im Osten zur dramatischen Verliererin gemacht. "Die SPD ist das erste Mal in ihrer Geschichte vor der CDU", twitterte Martin Dulig, SPD-Chef in Sachsen, am Montag. "Die Menschen im Osten haben genau verstanden, wen und was Olaf Scholz meint, wenn wir über Respekt reden." Die SPD hat auch in Sachsen kräftig zugelegt, reicht aber nicht an die Ergebnisse der AfD heran. Dass die AfD in Sachsen so stark ist, hat auch schlichte rechnerische Gründe - sie hat zahlreiche Wahlkreise gewonnen, weil die CDU dramatisch abgesackt ist. Er könne aus diesem Ergebnis keinen Regierungsauftrag lesen, sagte Sachsens CDU-Regierungschef Michael Kretschmer.

Soziologe Mau räumt der SPD eine gute Chance ein, sich stärker im Osten zu verankern und an traditionelle Stärke anzuknüpfen: ein Kanzlerkandidat, der die Leute nicht irritiert habe, starke Frauen und ein neues Interesse an sozialen Themen nennt er zur Begründung. Nach der Wende und der Neugründung der SPD im Osten sei die Partei lange schwach geblieben, "wohl auch, weil der Zusammenbruch so drastisch war und es kaum Verbindungen zu Gewerkschaften gab, die ja selbst zerbröselt waren". Inzwischen gehe es "wieder mehr um typische SPD-Themen, gute Arbeit, Angleichung der Löhne, der Renten, das streichelt die ostdeutsche Seele schon". Viele Jahre habe man die SPD nicht sehen wollen, auch weil sie für Hartz IV gestanden habe. Das habe sich alles beruhigt. Auch die Migrationsfrage sei in den Hintergrund getreten

Carsten Schneider leitet aus dem Ergebnis gleich noch einen Regierungsauftrag ab. Es habe sich gezeigt, dass die SPD die Gesellschaft zusammenhalten könne. "Bei einer Jamaika-Koalition wäre der Osten nicht angemessen repräsentiert."

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