Süddeutsche Zeitung

SPD:Die neue Lust an der Konfrontation

  • Die SPD entscheidet sich vorerst gegen einen Ausstieg aus der großen Koalition. Doch die beiden neuen Parteichefs machen deutlich, wie schwer ein Bündnis mit ihnen werden dürfte.
  • Saskia Esken kritisiert CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer deutlich. Und auch Norbert Walter-Borjans zieht klare Grenzen zur Union.

Von Stefan Braun, Berlin

Wer von Bord geht, kann deutlicher werden als alle, die um ihre Karriere fürchten. Das gilt besonders für Politiker, die Adieu rufen. Malu Dreyer, die sich auf dem SPD-Parteitag aus der Spitze verabschiedet, lässt sich diese Chance nicht entgehen. Das Treffen hat am Freitag kaum begonnen, schon gibt sie Antwort auf die Frage, die über allem schwebt: Soll die SPD in der Groko bleiben?

Dreyers Lob für das im Bündnis Erreichte und ihre Hymne auf die SPD-Kabinettsmitglieder zeigen, dass die Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz eine klare Meinung hat. Sie würde einen Ausstieg für falsch halten. "Es macht einen Unterschied, wer regiert." Das solle sich jeder bewusst machen.

Gemessen am Applaus, der folgt, könnte die Frage der Koalition atmosphärisch jetzt schon geklärt sein. Zumal später auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Vizekanzler Olaf Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil mit Verve das Gleiche vertreten. Giffey zählt Erfolge auf wie das Starke-Familien-Gesetz, das Gute-Kita-Gesetz, die Grundrente. Das zeige, was es bringe, "wenn die SPD regiert". Heil ruft in den Saal, es sei "idiotisch", jetzt aufzugeben. Und Scholz betont unter Applaus, dass Großartiges geleistet wurde. Das müsse doch jeder anerkennen.

Ist also alles klar auf diesem Parteitag? Und das Regierungsbündnis nicht in Gefahr? So einfach ist das nicht, jedenfalls nicht bei einer SPD, die seit Jahren um Linie und Zusammenhalt kämpft. Also kommen jetzt Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Und die beiden, die vor einer Woche von der Parteibasis als neue Vorsitzende bestimmt wurden, machen in ihren Reden deutlich, wie schwer ein Bündnis mit ihnen werden dürfte. Dabei sprechen sie wenig über die Koalition und viel über das, was sie grundsätzlich ändern möchten. Sie ziehen Grenzen zum Koalitionspartner, die härter sind als alles, was im Leitantrag steht, der mit großer Mehrheit angenommen wird.

Saskia Esken lenkt den Blick auf den Arbeitsmarkt und verabschiedet sich von den Schröder-Reformen - auf eine Art, wie das bislang keiner getan hatte. Sie übt scharfe Kritik am deutschen Niedriglohnsektor, der fast zwanzig Prozent aller Arbeitnehmer betreffe und verspricht, diesen auszutrocknen. Ein Mindestlohn von zwölf Euro müsse die Untergrenze sein, damit Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, nicht mehr in Armut fielen.

Lob gibt es von ihr für die Grundrente. Zugleich nutzt Esken das Thema, um die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer anzugreifen. Diese habe den Kompromiss "in Geiselhaft" genommen; das sei respektlos gegenüber den Menschen und respektlos gegenüber dem Koalitionspartner. Die CDU-Chefin hatte erklärt, die Rente auf Eis zu legen, solange nicht klar sei, ob die SPD in der Koalition bleibe. Esken will sich das nicht gefallen lassen. Mit Blick auf die Koalition mag sie das auch nicht verstecken. "Ich war und bin skeptisch." Trotzdem werde man der Koalition mit dem Leitantrag eine "realistische Chance" geben. Das klingt nicht nach: Wir machen weiter. Es klingt nach: Wir werden sehen.

Nicht anders ist der Tonfall bei Walter-Borjans. Auch er zieht Grenzen zur Union. Sein erster Schwerpunkt ist die Außenpolitik, und auch er braucht nicht lange, um die CDU-Vorsitzende anzugreifen. Es sei "grundfalsch", wenn die Verteidigungsministerin die Bundeswehr an möglichst vielen Orten auf der Welt einsetzen wolle. Das sei keine Realpolitik, es sei "Irrealpolitik" und leiste einer Militarisierung der Außenpolitik Vorschub. "Dazu dürfen Sozialdemokraten nicht die Hand reichen."

Noch deutlicher wird er bei der Frage, mit welcher Verve die neue SPD-Spitze für Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Klimaschutz kämpfen wird. Ja, man werde mit der Union verhandeln. Und ja, man müsse kompromissfähig bleiben. Aber: "Wenn die schwarze Null einer besseren Zukunft unserer Kinder im Wege steht, dann ist sie falsch und muss weg." Das gelte letzten Endes auch für die Schuldenbremse. Noch ist das keine Kündigung der Koalition. Zumal der Parteitag einen sofortigen Ausstieg klar ablehnt. Aber es zeigt die Entfernung zwischen der Union und der neuen SPD-Spitze.

Die Wahlen dürften beide eher bestärken. Esken erhält gut 75 und Walter-Borjans sogar 89 Prozent. Anschließend sagt Esken, sie wisse, dass die Koalition für niemanden im Saal eine Herzensangelegenheit sei. Herzensangelegenheiten seien die Ziele, die man sich geben werde. "Wir werden sehen, ob das in der Koalition möglich ist oder ob wir sie beenden müssen."

So offen also ist die Lage. Und Kevin Kühnert, der Juso-Chef, bestätigt genau das bei seinem Auftritt. Er habe großes Vertrauen in die beiden neuen Parteichefs, sagt er. Vor allem vertraue er darauf, dass beide verstanden haben: "Kein Weiter-so!" Nicht in Inhalten, nicht in Stil und Form.

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SZ vom 07.12.2019/mxh
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