Die Erleichterung ist den Kandidaten anzusehen, als sie sich zum Schluss noch einmal auf der Bühne des Löwenbräukellers den gut tausend Besuchern präsentieren. Sogar Pokerface Olaf Scholz hat ein entrücktes Lächeln im Gesicht, Karl Lauterbach legt den Arm um seine Duo-Partnerin Nina Scheer. 23 Veranstaltungen haben die Bewerber um den SPD-Vorsitz nun absolviert, jeder hat im Schnitt 8000 Kilometer kreuz und quer durch Deutschland zurückgelegt. Gut 500 Fragen aus dem Publikum wurden beantwortet. Es gibt viel Applaus für diesen Einsatz in eigener Sache. Dann schubsen die sieben Zweierteams große weiße Luftballons in die Menge - als Symbol, dass der Ball nun bei der Basis liegt. Und greifen selbst zur Handykamera, um das lustige Ballon-Gerangel im Saal zu verewigen. Es ist geschafft.
Alle Kandidaten versprachen, sich nach der Abstimmung hinter das Sieger-Duo zu stellen
München bildet den Abschluss der langen Kandidatentour - wie schon in anderen Städten musste die Veranstaltung wegen des starken Interesses in einen deutlich größeren Saal verlegt werden. Und nach wie vor gilt: Ein klares Favoriten-Duo ist nicht zu erkennen. Nun müssen die knapp 430 000 SPD-Mitglieder ans Werk, um die Nachfolge der schon vor vielen Monaten zurückgetretenen Andrea Nahles zu regeln. Vom 14. bis 25. Oktober darf abgestimmt werden, per Brief oder online. Eine Stichwahl, die dann im November stattfände, gilt als wahrscheinlich.
Auf der Kandidatenliste stehen allerdings zwei Namen zu viel. Hilde Mattheis und Dierk Hirschel, beide dem linken Flügel zuzuordnen, zogen ihre Kandidatur am Samstag zurück. Um anderen linken Teams größere Chancen einzuräumen, wie sie sagten. Eine Empfehlung für ein Duo gaben sie nicht ab - nur die Fahrtrichtung links ist klar. "Nehmt diese Chance wahr", rief Mattheis. "Es könnte unsere letzte sein." Zeit, die Wahllisten zu korrigieren, bleibt keine mehr. Nur die Hoffnung, dass die Parteibasis noch rechtzeitig von dem überraschenden Rücktritt erfährt. Denn wer nun Mattheis und Hirschel ankreuzt, gibt eine ungültige Stimme ab.
Bei aller Konkurrenz - eines war den vielen Kandidaten bei der Abschlussveranstaltung besonders wichtig: Nach der Wahl ist vor der Rettung der SPD. Dann geht es erst richtig los, um die deutsche Sozialdemokratie aus dem beispiellosen Stimmungstief herauszuholen - und dabei müssen alle mitmachen. Die 14 Kandidaten bemühten sich daher, die Gemeinsamkeiten unter den Sozialdemokraten zu betonen. Und sie versprachen, sich hinter dem Siegerpaar zu versammeln - Generalsekretär Lars Klingbeil hatte sich diese Zusicherung bei allen Bewerbern abgeholt. Die Ochsentour durch Deutschland soll keine Narben hinterlassen. Sticheleien unter Kandidaten waren daher kaum zu hören. Wenn, dann traf es Olaf Scholz als Mitglied des Berliner Regierungs-Establishments, das auch im Löwenbräukeller einen schweren Stand hatte. Wäre der Applaus der Maßstab, müsste die SPD sofort die große Koalition verlassen. "Man sollte manchmal mit dem Koalitionspartner so kantig umgehen, wie wir das untereinander getan haben", ätzte Norbert Walter-Borjans.
Rein dezibeltechnisch liegen in München eher die dem linken Spektrum zugerechneten Teams vorne. Vor allem die Anti-Groko-Tiraden von Karl Lauterbach sorgten für anhaltenden Applaus, der allerdings im Laufe der Veranstaltung etwas zurückhaltender wurde. Gut möglich, dass Lauterbach ein paar Mal zu oft gebetsmühlenartig das immer Gleiche gefordert hat. Klarer Publikumsliebling war Ralf Stegner, der mit Gesine Schwan antritt. Stegner sprach geschliffen, im Maschinengewehr-Tempo und mit viel Witz - und entsprach damit so gar nicht dem vorherrschenden Bild vom mürrischen Norddeutschen. Manche seiner Thesen zu Steuergerechtigkeit und Abrüstungspolitik waren vor lauter Klatschen gar nicht zu hören. Schwan hielt als einzige Kandidatin eine klassische Bewerbungsrede, die Stichworte lauteten Standfestigkeit und Erfahrung. Auffallend viel Beifall bekam auch das Duo Saskia Esken und Walter-Borjans, das sich dem Kampf gegen rechts sowie für höhere Steuern für Vermögende und Erben verschrieben hat. Christina Kampmann und Michael Roth, beide erklärte Kämpfer gegen rechts und für mehr Klimaschutz, ernteten hingegen nur ordentliche, aber keine überschwängliche Zustimmung.
Auch Klara Geywitz und Scholz wurden nur verhalten bejubelt. Zu den Favoriten dürften sie dennoch gehören, da von der Stimmung bei den Regionalkonferenzen kaum auf die der gesamten SPD geschlossen werden kann: Zwar haben immerhin rund 20 000 Sozialdemokraten in 23 Sälen den Kandidaten gelauscht. Doch die große Masse war nur per Livestream dabei oder vor dem Fernseher. Oder gar nicht.
Nach dem großen Luftballon-Finale ging es noch einmal zum Fototermin, auf die große Freitreppe zum Biergarten. Bilder aktualisieren. Auf denen von vor drei Stunden, aufgenommen am selben Ort, waren noch Mattheis und Hirschel.