Positionspapier:Wie sich die SPD von ihrer alten Ostpolitik verabschiedet

Lesezeit: 2 Min.

SPD-Chef Lars Klingbeil veröffentlicht nur noch selten Posts auf X. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Jahrzehntelang galt für Sozialdemokraten der Grundsatz, dass Frieden in Europa nur mit Moskau organisiert werden kann. Nun geht es Parteichef Klingbeil darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren.

Von Georg Ismar, Berlin

Lars Klingbeil ist spürbar verstimmt. "Der größte Gefallen, den wir Wladimir Putin tun können, ist, dass wir uns im westlichen Bündnis, in der deutschen Politik, gerade auseinanderdividieren." Es schwäche doch nur, wenn man nicht die Erfolge in den Mittelpunkt stelle, so sei mit der Ukraine-Konferenz in Ramstein die deutsche Militärhilfe für die Ukraine noch mal um rund eine Milliarde Euro ausgeweitet worden, sagt der SPD-Chef in Berlin. Für ihn gebe es keine roten Linien bei der Ukraine-Unterstützung, sagt er, aber es gehe bei der Leopard-Kampfpanzerfrage um historische Entscheidungen.

Er macht sich derzeit viele Gedanken darüber hinaus, hat in einer Grundsatzrede eine Neuausrichtung der sozialdemokratischen Außenpolitik definiert. Diese Vorstellungen und die Arbeit der parteiinternen Kommission Internationale Politik (KIP) haben nun zu einem Papier geführt, das in den nächsten Monaten in der Partei, besonders aber auch mit den oft überhörten Partnern in Ost- und Mitteleuropa diskutiert und dann beim Bundesparteitag im Dezember beschlossen werden soll. Jahrzehntelang fußte die Außenpolitik der SPD auf dem Grundsatz, dass Sicherheit in Europa nur mit Russland organisiert werden kann. Damit bricht Klingbeil nun, er sagt, es müsse Sicherheit "vor Russland" organisiert werden.

"Solange das Putin-Regime sein imperialistisches Ziel der Eroberung und Unterdrückung souveräner Staaten verfolgt, kann es keine Normalisierung des Verhältnisses zu Russland geben", heißt es in dem Papier. Was das für den Vorsitzenden konkret bedeutet? Ein starker Fokus auf Landes- und Bündnisverteidigung, Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels bei den Verteidigungsausgaben, ein Pakt mit der Rüstungsindustrie, um die Produktionskapazitäten hochzufahren, damit schneller Waffen, Rüstungsgüter und Munition produziert werden können, aber zum Beispiel auch die Bundeswehr-Präsenz in Ländern wie Litauen zu verstärken.

Klingbeil findet, dass zuletzt auch oft verkürzt auf die Ostpolitik Willy Brandts geschaut worden sei, diese habe aus einer Position der Stärke heraus agiert, mit hohen Verteidigungsausgaben und einer starken Bundeswehr.

Klingbeil sieht Deutschland in einer neuen Rolle. Das Wichtigste sei, gemeinsam Europa weiter zu stärken. In dem Papier wird die Erwartung geäußert, "dass Deutschland auf internationaler Ebene mehr Initiative zeigt und eine Führungsrolle einnimmt". Dazu gehöre auch, die Partnerschaften zu Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika zu stärken, wie Scholz das bereits versucht. Allerdings wird bei ihm gerade von den Kritikern die Führungsrolle in der Panzerfrage angezweifelt.

Eine zentrale Lehre für Klingbeil aus dem Fall Russland und der fatalen Energieabhängigkeit ist, dass man künftig in mehreren Szenarien denken müsse. Das führt zum künftigen Verhältnis mit China: "Wir müssen einseitige Abhängigkeiten verringern", sagt Klingbeil. Dabei gehe es nicht um ein komplettes Abkoppeln. Bei der Rohstoffbeschaffung soll aber dem Papier zufolge künftig das Prinzip "China plus eins" gelten, "bei dem wir neben China immer auch einen alternativen Lieferanten haben".

Man müsse Anreize für deutsche Unternehmen setzen, ihre Wertschöpfungsketten und Absatzmärkte zu diversifizieren. China unter Xi Jinping habe sich zu einem Systemrivalen gewandelt. "Der Aufstieg Chinas bedarf einer gemeinsamen europäischen Chinapolitik", betont die SPD. Und als ein Szenario fordert Klingbeil, sich jetzt schon Gedanken zu machen, was aus einem Angriff Chinas auf Taiwan folgen würde.

Klingbeil räumt ein, dass man früher die Einschätzungen der Länder Osteuropas zu wenig ernst genommen habe. Auf die Frage, warum die SPD dann nicht deren Flehen nach Leopard-Panzern für die Ukraine höre, antwortet er: "Das war ein Fehler der Vergangenheit, dass man zu wenig auf die Ost- und Mitteleuropäer gehört hat. Aber ich mache das nicht an einem Waffensystem fest." Kanzler Scholz war bei der SPD-Präsidiumssitzung, in der das Papier vorgestellt wurde, ebenso anwesend wie der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius. Klingbeil betont, der Kanzler finde das Papier ganz gut. "Das ist für einen Hanseaten ja schon mal ein großes Kompliment."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivPanzerdebatte
:Die USA sind wütend auf Scholz

Das Weiße Haus hat sich in ungewohnter Schärfe im Kanzleramt gemeldet: Washington ist offenbar verärgert darüber, dass die Bundesregierung Bedingungen für die Lieferung von "Leopard"-Panzern an die Ukraine gestellt hat.

Von Stefan Kornelius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: